: „Die Entscheidung von Meta ist verheerend“
Uschi Jonas von Correctiv beurteilt die Übernahme von Twitter durch Musk, erklärt die Bedeutung von Faktenchecks und wünscht sich eine respektvolle Debattenkultur
Interview Moritz Martin
taz: Das diesjährige Motto des taz labs lautet „weitermachen“. Frau Jonas, wie machen wir 2025 auf Social Media weiter?
Uschi Jonas: Wenn es nach mir ginge, dann würden wir Social-Media-Konzerne dazu bringen, auf ihren Plattformen wirksam gegen Hass, Gewalt, Beleidigungen und Desinformation vorzugehen, um Räume für fairen und respektvollen Austausch und Diskussion zu schaffen. Demokratie lebt von einer regen Debattenkultur – angesichts der aktuellen Entwicklungen im digitalen Raum sehe ich aber nicht, dass wir uns hier in eine gute Richtung bewegen.
Wie schätzen Sie die aktuellen Entwicklungen ein?
Jonas: Ich kann vor allem meine Einschätzung zum Thema Desinformation abgeben. Wir beobachten die aktuelle Dynamik – gelinde gesagt – mit großer Sorge. Seit der Übernahme von Twitter durch Elon Musk, der es in X verwandelte, ist der Ton dort rauer geworden. Tiktok bemüht sich teilweise, aber auch hier sehen wir, dass Desinformationsakteure leichtes Spiel haben. Erst kürzlich deckten wir zu den Landtagswahlen ein Netzwerk von rechts außen auf, das über Monate dabei half, die AfD auf Tiktok künstlich groß aussehen zu lassen. Das verstößt eigentlich gegen die Richtlinien der Plattformen.
Neben X und Tiktok steht auch Meta in der Kritik, insbesondere seit der Entscheidung, die Kooperation mit unabhängigen Faktencheckorganisationen in den USA einzustellen. Wie beurteilen Sie dies?
Jonas: Die Entscheidung von Meta ist verheerend, da die Arbeit von Faktencheckredaktionen nachweislich dazu beiträgt, Desinformation in sozialen Netzwerken effektiv zu bekämpfen. Dieser Schritt unterstreicht zudem eine mangelnde Bereitschaft des Konzerns, seiner Verantwortung gegen Desinformation gerecht zu werden. Hass und Diskriminierung könnten auf Facebook, Instagram und Threads weiter zunehmen – das schadet einer respektvollen Debattenkultur massiv.
Zuckerberg argumentierte jedoch, dass eben durch Faktenchecks „legitime politische Debatten eingeschränkt“ würden.
Mit solchen Aussagen wird seit Jahren versucht, die Arbeit von Faktenchecker:innen weltweit zu diskreditieren. Es ist allerdings keine Form der „Zensur“ oder schafft Meinungsfreiheit ab, denn die Beiträge, die im Zuge des Meta-Programms gelabelt werden, werden nicht gelöscht.
Immer wieder wird uns vorgeworfen, wir hätten einen politischen Bias. Wahr ist: Unsere Faktenchecks greifen häufig Behauptungen auf, die aus der rechten Szene stammen. Das liegt auch daran, dass in diesen Kreisen mehr Desinformation verbreitet und bewusst eingesetzt wird – das belegt auch die Forschung. Trotzdem prüfen wir natürlich Falschbehauptungen aus allen politischen Richtungen.
Bereiten Sie sich bereits darauf vor, dass die Entscheidung auch auf den europäischen Raum ausgeweitet wird?
hat als Redakteurin bei der deutschen Ausgabe der HuffPost und bei Focus Online viele Facetten des Onlinejournalismus kennengelernt und seit 2018 konstruktiven Journalismus vorangetrieben. Ab Juni 2020 war sie Faktencheckerin bei Correctiv, seit Mai 2022 ist sie Teil der Teamleitung.
Jonas: Ja, wir befürchten, dass Meta auch in Europa die Zusammenarbeit mit Faktencheckredaktionen beenden will. Aber egal, was kommt: Wir machen weiter. Wir sind überzeugt, dass es Faktenchecks mehr denn je braucht – und wir dafür auch Bürger:innen stärker einbeziehen müssen. Deshalb bauen wir mit dem Faktenforum Deutschlands erste Faktencheckcommunity auf. Die Grundidee ist: Redakteur:innen leiten die Community an und stellen dabei die Einhaltung hoher journalistischer Standards sicher.
Correctiv hat sich vor über einem Jahr entschieden, die Plattform X zu verlassen. Der Account Correctiv_Faktencheck wird noch betrieben. Stellen Plattformen wie Mastodon oder Bluesky sinnvolle Alternativen dar?
Jonas: Wir haben uns als Faktencheckredaktion entschieden, auf X zu bleiben, solange wir das Gefühl haben, dort mit unserer Arbeit zur Aufklärung beitragen zu können und an Ort und Stelle Falschbehauptungen etwas entgegenzusetzen. Mastodon und Bluesky werden für uns vor allem dann relevant, wenn dort Desinformation in die Welt gesetzt wird. Ob und wann das im größeren Stil geschehen wird, wird sich zeigen. Erste Anzeichen gibt es aber zum Beispiel bereits auf Bluesky: Erst kürzlich wurde dort eine pro-russische Einflusskampagne entdeckt.
Mehr über Correctiv und ihre Arbeit erzählt Uschi Jonas auf dem tazlab.
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