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die sache istEin mythisches Demokratie-Ding

Wahlurnen symbolisieren den Kern der Demokratie, aber sehen aus wie Mülltonnen. Ein Projekt sucht Vorschläge für neue Designs und Ideen, wie sich das Wählen weiterentwickeln ließe

Eine Lageristin schiebt in Hamburg eine Wahltonne in die Halle einer Spedition Foto: Christian Charisius/dpa

Die meiste Zeit über setzen sie in den hintersten Ecken der Garagen und Keller der Bezirksämter Staub an – gebraucht werden sie ja nicht oft und nur kurz. Am Wahlsonntag stehen die Wahlurnen dann im Rampenlicht: In Hamburg sind es große, weiße 120-Liter-Plastiktonnen mit rotem Deckel mit Schlitz und Schloss, vorn drauf ein Zettel mit Stadtwappen und Wahllokalnummer. Auch woanders sehen die Urnen meist ähnlich aus: wie Mülltonnen. Einer der ersten Scherze, die Wäh­le­r:in­nen nach der Abgabe der Stimme in der Urne beim Wahlhelfenden daneben abgeben, geht deshalb so: „Dann ist meine Stimme ja jetzt im Müll, hihi.“

Wer mal Wahl­hel­fe­r:in war, weiß: Beim Stimmzettel-Einwurf ist so ein Spruch für das Wahlteam ein ungeschriebenes Gesetz. Auf Platz zwei der launigen Varianten: „Habe ich jetzt eine Waschmaschine/Urlaubsreise gewonnen? Höhö.“

Häufig sind aber auch ernste Varianten: „Nun habe ich also meiner Bürgerpflicht Genüge getan!“ Die unscheinbare Plastiktonne im Wahllokal ist schließlich ein mythischer Versammlungsort. Sie symbolisiert den Kern des demokratischen Prozesses und repräsentiert die Macht des Volkes. Sie wird zum Sammelpunkt, an dem der Wille der Bür­ge­r:in­nen in greifbare Form gebracht wird, ein Symbol dafür, dass jede Stimme zählt – und dass jede Stimme gehört werden sollte.

Aber die Urne steht auch für die Fragilität dieses Prozesses, für das Vertrauen, das in die Integrität der Wahl und in die Fairness des Systems gesetzt werden muss, gerade in Zeiten, in denen demokratische Institutionen unter Druck stehen. Die häufigste Misstrauensbekundung beim Stimmzetteleinwurf dazu: „Nun wissen Sie ja, was ich gewählt habe!“ Dass dann wirklich später noch jemand kommt, um beim Leeren der Tonnen und beim Auszählen der Stimmzettel zuzusehen, ist wiederum selten.

Genau diese Fragilität und das Misstrauen an der Wahltonne greift das Projekt „Redesign Democratic Representation – Wählen neu gestalten“ auf. Die Frage: Drückt sich „dieser grundlegende demokratische Akt in der gestalterischen Erscheinung der Wahlurnen angemessen aus?“ Die Vermutung: „Sicherlich nicht, wenn … die Bür­ge­r*in­nen ihre Wahlzettel in eine umfunktionierte Mülltonne werfen.“

Wettbewerb „Re-Design Democracy – Wählen neu gestalten“: Verbesserungsvorschläge können bis zum 14. April eingereicht werden. Alle Details gibt es ab 17. Februar online unter t1p.de/v2est

Die Hamburger Hochschule für bildende Künste ruft deshalb gemeinsam mit der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung anlässlich der Bundestagswahl am 23. Februar einen Wettbewerb für das Re-Design von Wahlurnen und den Prozess des Wählens aus. Wer Vorschläge hat, wie die Urnen der Zukunft aussehen könnten oder wie sich die performative Handlung „Wählen“ weiterentwickeln ließe, kann diese bis zum 14. April einreichen – ausdrücklich von disruptiven Visionen bis hin zu konkreten Produkt­ideen. „Ziel ist, für den Akt der Wahl einen angemessenen und zeitgemäßen Rahmen zu finden – und so Demokratie zu stärken“, schreibt die Hochschule. Eine Jury bewertet die Vorschläge, insgesamt stehen 3.000 Euro Preisgeld zur Verfügung. Robert Matthies

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