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Kein Schlagermehr

Für das BSW läuft es nicht gut. Gewerkschafter treten wegen Wagenknechts harten Migrationskurses aus. Der Ukraine-Krieg spielt im Wahlkampf nur eine Nebenrolle. Was tun?

Auftritt im BSW-Stammland: Sarah Wagenknecht in Erfurt Foto: Karina Hessland/reuters

Aus Berlin und Erfurt Daniel Bax und Stefan Reinecke

„Bringen Sie alle noch drei Leute zusätzlich mit, wenn Sie wählen gehen“, ruft Sahra Wagenknecht am Ende ihrer Rede in Erfurt in der Saal. „Uns bläst der Wind ins Gesicht.“ Denn: „Sie wollen uns loswerden.“ Alle sollen Freunde, Verwandte und Nachbarn überzeugen, für sie zu stimmen, so die BSW-Chefin.

Der Appell scheint notwendig. Laut Umfragen schrammt das BSW bundesweit an der Fünf-Prozent-Hürde. Und die Massen strömen auch nicht mehr so wie früher. Der Carl-Zeiss-Saal im Erfurter Messezentrum mit Platz für 700 Besucher ist nur zu gut zwei Dritteln gefüllt. Es sind vor allem stramme Anhänger, überwiegend leicht ergraut. Die Welle der Euphorie, die die Partei bei den Wahlen im Herbst in Ostdeutschland in drei Landesparlamente getragen hat, scheint verebbt.

In Erfurt sorgt der ehemalige MDR-Moderator Steffen Quasebarth, der nun für das BSW im Erfurter Landtag sitzt, professionell für Stimmung. Die drei BSW-MinisterInnen in Thüringen, darunter die ehrgeizige Landeschefin Katja Wolf, sitzen in der ersten Reihe. Reden dürfen sie nicht.

Für Wagenknecht ist es ein Heimspiel. In Thüringen hat das BSW bei der Landtagswahl fast 16 Prozent erzielt, laut Umfragen würden dort bei der Bundestagswahl immer noch 13 Prozent für das BSW stimmen. Die Regierungsbeteiligung hat der Protestpartei nicht genutzt – aber auch nicht allzu stark geschadet.

„Der Wahlkampf ist sehr anstrengend, gerade durch die Kälte“, sagt Lucas Saß vor der Veranstaltung. Der 18-jährige Afrodeutsche, der in Jena in einem Plattenbau aufwuchs, kandidiert in Thüringen für das BSW für den Bundestag auf dem dritten Listenplatz. Er ist eine Ausnahme in der Partei, in der die älteren Semester überwiegen. Tagsüber war er in Kranichfeld, einer AfD-Hochburg. Wo die AfD stark sei, müsse er sich oft „unterirdische“ Beleidigungen anhören, es sei ekelhaft. Trotzdem setzt er auf Dialog, an Wahlkampfständen und bei Podiumsdiskussionen in Schulen. Es sei schwer, mit den Menschen in Kontakt zu kommen, sagt der eloquente Teenager, „weil die Leute politikmüde sind“. Nach Kommunalwahlen, Europa- und Landtagswahlen in Thüringen sagten viele Leute: „Lasst uns doch einfach in Ruhe.“ Aber viele seien froh, dass es das BSW gebe, so sein Eindruck.

Aber reicht das am 23. Februar? Migration und der Ukrainekrieg waren Gründe für die spektakulären Wahlerfolge der Wagenknecht-Partei im Osten. Doch seit Trump regiert und Friedrich Merz mit der AfD im Bundestag gemeinsame Sache macht, haben sich die Koordinaten verschoben. Wer für radikale Migrationsbegrenzung ist, kann die Merz-Spahn-Union wählen. Auf der anderen Seite hat die Linkspartei plötzlich wieder Zulauf. Hat das BSW eine Antwort auf die neue Lage?

In Erfurt bietet Wagenknecht bekannte Evergreens: Waffenlieferungen würden den Krieg in der Ukraine nur weiter befeuern. Nur mit russischem Gas komme Deutschland aus der Wirtschaftskrise. Routiniert schürt sie Ängste vor einem Weltkrieg, sollten im nächsten Jahr wie geplant US-Mittelstreckenraketen in Deutschland stationiert werden. Routiniert keilt sie auch gegen „Kriegstüchtigkeits-Pistorius“ und „Pleite-Minister Habeck“, der „das Weltklima im Heizungskeller retten“ wolle, statt die Bahn zu reformieren. Scholz attestiert sie einen „Realitätsverlust wie in den letzten Tagen der DDR“, weil er beim TV-„Kanzlerduell“ für eine zweite Amtszeit geworben hatte. Themen wie Rente, Gesundheit und Bildung seien beim „Kanzlerduell“ gar nicht vorgekommen. Wagenknecht fordert eine Mindestrente, mehr Geld für Bildung und Pflege und keine Zweiklassenmedizin. Das kommt in Erfurt gut an.

In Berlin singt Oskar Lafontaine einen Tag später fast dasselbe Lied wie Wagenknecht in Erfurt. In seiner Variante klingt es aber noch deftiger. Man könne Parteien, „die die Scheiße angerichtet haben“, nicht wählen. Damit ist der Ton für die Schimpfkanonade im Kino Babylon in Berlin-Mitte gesetzt.

Lafontaine erinnert an den Auftritt einer alten Rock-’n’-Roll Band. Man kennt die Hits. Rente in Österreich zum Beispiel. „Warum bekommen Rentner in Österreich 800 Euro mehr als in Deutschland?“, ruft der 82-Jährige. Der Bundestag könne das österreichische Rentensystem doch einfach übernehmen. Das sagt Wagenknecht einen Tag später auch in Erfurt.

Lafontaine ist einer der wortgewaltigsten Rhetoriker der deutschen Politik in den letzten Jahrzehnten. Keiner kann schneidender formulieren. Sein Talent für Wortspiele blitzt in Berlin auf. Die Kritik an Friedrich Merz wegen der gemeinsamen Abstimmung mit AfD hält der Ex-SPD-Chef für überzogen; „Merz ist doch kein Reichskanzler, sondern ein Reichenkanzler“, ruft er in donnernden Applaus.

Doch das polemische Talent hat eine brüchige Stimme. Und Lafontaine ist noch ideologischer, noch polemischer geworden. Den Anschlag auf die Pipeline Nord Stream 2 nennt er einen „Terrorakt gegen Deutschland“. Man müsse deshalb sofort alle Zahlung an die Ukraine einstellen. „Sind wir denn bekloppt?“, ruft er. Und: „Die Welt ist verrückt geworden.“ Er klingt wie ein Wutrentner, der den Fernseher anbrüllt. Wie Gernot Hassknechts Bruder.

Im Publikum im Babylon dominieren ältere Männer. Knapp 400 Leute sind gekommen. Immerhin. Aber es gibt wie in Erfurt noch freie Plätze.

Schräg gegenüber im Karl-Liebknecht-Haus hatte Lafontaine drei Jahre lang ein Zimmer, als er Vorsitzender der Linkspartei war. Die Linkspartei rangiert in Umfragen vor dem BSW. Die Linke im Bundestag, das BSW draußen – es wäre eine letzte Pointe in diesem Kampf. Lafontaine erwähnt seine Ex-Genossen in seinem Empörungsreigen nicht. Deutschland, ruft er, sei „ein kläglicher Vasall der USA“. Scholz – ein Vasall von Trump? Das ist kein nostalgisches Abschiedskonzert eines alten Rocks-’n’-Rollers. Eher ein Auftritt mit kreischend übersteuertem Ton.

Ein paar Tage davor, im 5. Stock des IG-Metall-Hauses in Berlin-Kreuzberg: „Nein zum Krieg und Sozialabbau“ steht auf den Plakaten. Das Publikum – ungefähr 60 Leute, viele Männer, wenig Frauen, viel grau – müht sich die Treppen hoch zum Saal unter dem Dach. Der Aufzug ist seit Langem kaputt. Einer sieht darin ein Zeichen für die Deindustrialisierung Deutschlands. So ist es nicht. Der Fahrstuhl funktioniert nicht, weil die Aufzugfirma an Auflagen des Denkmalschutzes scheiterte.

Sevim Dağdelen, Ex-Außenpolitikerin der Linkspartei, ätzt, dass die „dummen Deutschen“ ihre Waffen an die Ukraine verschenken und einen Wirtschaftskrieg gegen Russland führen, statt an sich selbst zu denken. Kein russisches Gas und Öl zu kaufen, sei „scheinmoralisch“. Die USA seien doch schlimmer als Russland.

Doch seit Trump an der Macht ist, ist vieles anders. Im Wahlkampf spielt die Ukraine kaum eine Rolle. Die BSW-Agitation gegen die „Kriegstreiber“ in Washington dreht leer. Die Diskussion im IG-Metall-Haus plätschert entsprechend überraschungsarm dahin. Man ist für Frieden mit Putin, die anderen sind für den Krieg, so der Konsens. Aber seit Trump fehlt der Schwung. Populistische Parteien sind stimmungsabhängig. Wenn ihre Themen keine Konjunktur haben, ist die Baisse tiefer als bei Parteien mit beständigem Wertegerüst.

Nach eineinhalb Stunden fragt eine Frau leise und vorsichtig, ob die Migrationspolitik des BSW nicht „in die Nähe von unappetitlicher Parteien“ führe. Der Satz wirkt wie ein Streichholz im Heuhaufen. Das BSW hat im Bundestag mit der AfD die Hand für das Zustrombegrenzungsgesetz gehoben. „Wir können nicht jedes Jahr 250.000 Leute aufnehmen“. so Dağdelen. Einen Aktivisten mit grauem Zopf und Palästinensertuch hält es da kaum noch auf seinem Stuhl. „Das ist verdeckter Rassismus“, ruft er in den Saal. Dağdelen kontert, das BSW mache „Politik für die Mehrheit“, um die AfD klein zu bekommen. Aus dem Publikum schallt es zurück: „Nein, ihr redet der AfD nach dem Mund.“

Wagenknechts Plan, mit restriktiver Migrationspolitik die AfD zu bekämpfen, spaltet nicht die AfD, sondern die eigenen Reihen. Die Wählerschaft des BSW speist sich bisher vor allem aus Ex-Anhängern von Linkspartei, SPD, Union und sogar den Grünen – weniger aus AfD-Anhängern.

Im Moment wirkt das BSW weder nach links noch nach rechts attraktiv. In Bayern sind ein halbes Dutzend BSW-Gewerkschafter wegen Wagenknechts rüder Ansagen in der Migrationspolitik ausgetreten. Die IG Metall in Bayern legte dem BSW-Bundestagsabgeordneten und Gewerkschafter Klaus Ernst am Mittwoch den Austritt aus der IG Metall nahe. Er habe sich, so der Vorwurf, „mit Ras­sis­t*in­nen gemein gemacht“.

Der Moderator im IG-Metall-Haus in Berlin stellt am Ende seufzend fest, es gebe Diskussionsbedarf. Und: „Wir sollten alle zusammen bleiben.“ Das ist keine Selbstverständlichkeit mehr. Sogar Wagenknecht will lieber wieder Bücher schreiben, wenn das BSW an der Fünf-Prozent-Hürde scheitert. Es läuft, kurz vor der Wahl, nicht rund für das BSW.

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