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Back to the roots

Schon zum zweiten Mal in seiner langen Geschichte wird der alternative Veranstaltungsort KvU weggentrifiziert. Immerhin: Es gibt einen Lichtblick – in Räumen der Kirche

Linda Steffl und Frida Schlegel am Eingang der KvU Foto: Steve Braun

Von Leonore Kogler

Beim Öffnen der schwarzen Metalltür scheppert es ohrenbetäubend. Der Raum dahinter ist dunkel und kalt, aber durch die bunt zusammengewürfelten Möbel gemütlich eingerichtet. Die Wandfarbe ist nicht zu erkennen, überall kleben Sticker, Plakate und Zeichnungen.

In diesem Raum an der Storkower Straße in Prenzlauer Berg veranstaltete die KvU bis vor Kurzem nichtkommerzielle Konzerte, Theater und andere Events. Doch das ist bald vorbei. Den Ma­che­r:in­nen der KvU wurde der Mietvertrag gekündigt. „Ich stand an dem Tag gerade draußen vor der Tür“, berichtet Linda Steffl, Sozialarbeiterin in der KvU. „Dann kam so ein Typ an. Ich hab den gesehen und ich wusste: Das bedeutet nichts Gutes.“ Der unbekannte Mann habe sich weder vorgestellt noch gefragt, wer Steffl sei. Dann habe er mündlich den Mietvertrag gekündigt. „Das war für mich ein Schock. Ich war sprachlos“, sagt Steffl.

Die KvU – mit vollem Namen: Kirche von Unten – ist 1987 in Ostberlin entstanden, zunächst nur als innerkirchliche Oppositionsgruppe. Noch im selben Jahr erweiterte sie ihre Aktivitäten und begann, sich auch politisch zu engagieren. „Es hat damals einige Gemeindeleitungen gegeben, die Gruppen wie der KvU geschützte Räume geboten haben“, sagt Matthias Lohenner, Pfarrer und Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Stadtmitte, der sich um die Ortsteile Mitte, Tiergarten, Prenzlauer Berg, Friedrichshain und Kreuzberg kümmert.

„Nach der Wiedervereinigung war man sich einig, dass die KvU so wertvoll ist, dass man sie erhalten sollte“, sagt Linda Steffl. Heute ist die KvU offiziell eine Jugendeinrichtung mit einem Träger, der auf Jugendarbeit spezialisiert ist. Sie hatte zunächst Räume der St.-Elisabeth-Gemeinde in Mitte, danach für viele Jahre in der Kremmener Straße in der Nähe des Mauerparks. „Die KvU war dort sehr präsent in der Nachbarschaft“, sagt Steffl. Es gab nicht nur Konzerte und Diskos, sondern auch „Küchen für Alle“ und Nachbarschaftsveranstaltungen.

Aber: 2014 war auch hier Schluss. Die KvU wurde weggentrifiziert. Die Suche nach neuen Räumen begann. Fündig wurde man in der Storkower Straße 119, für die die KvU einen auf fünf Jahre befristeten Mietvertrag bekam. Seit 2019 gibt es nur noch einen mündlichen Mietvertrag. Genau der wurde im August vergangenen Jahres gekündigt. Mithilfe eines Anwalts konnte die KvU eine Galgenfrist heraushandeln. Doch auch die läuft jetzt aus. Ende März 2025 muss die KvU raus sein.

Linda Steffl und ihre Kollegin Frida Schlegel führen durch die Räume in dem unwirtlichen Gewerbegebiet an der Storkower Straße. Im zentralen Raum steht ein großer Tisch, es gibt bunt zusammengewürfelte Stühle, eine Bühne, alte Kinosessel, ein altes DJ-Pult, eine Bar, einen Proberaum für Bands, einen Büroraum und einen großen Saal. Schlegel sagt: „Es ist Fluch und Segen, dass das hier alles so groß ist. Es sammelt sich ganz schön viel Zeug an.“

Zugleich bietet die große Fläche die Möglichkeit für Veranstaltungen der verschiedensten Art. „Hier gab es alles, was von den Leuten eingebracht wurde“, sagt Steffl. Theater, Videodrehs, Bandproben, Konzerte, eine Fahrradwerkstatt, Kampfsportkurse, Tresenabende, Kickerturniere. Steffl schaut auf den Kicker und seufzt. Noch ist nicht klar, was mit „dem ganzen Zeug“ passiert, das hier noch steht.

„Es ist so bitter, dass in Zeiten des Rechtsrucks und der Chancenungleichheit ein Freiraum wie die KvU verschwinden soll“, sagt Steffl. Die KvU ist ein politischer Ort. Trotzdem glauben die Sozialarbeiterinnen nicht, dass der Rauswurf des Vermieters ein politisches Statement ist. Steffl sagt: „Wahrscheinlich hat er jetzt einfach die Möglichkeit, mehr Geld zu machen.“

Die Räume gehören der Delphi Vermögens- und Verwaltungs-GmbH. Auf eine Anfrage der taz hat das Unternehmen bis Redaktionsschluss nicht reagiert. „Das sind nur ein paar Leute“, glaubt Steffl, „aber Leute mit Macht, die in einer anderen Welt leben als wir.“ In einem Raum der KvU hängt ein großes Banner mit der Aufschrift: „Hey Macker, mach dich raus hier, was soll ich denn noch mit dir hier?!“ Das trifft die Stimmung mit Blick auf den Vermieter ganz gut.

„Uns ist klar, dass wir uns keine normale Gewerbemiete leisten können“, sagt Steffl. Deswegen habe die KvU auch beim Senat und der Deutschen Bahn nach Räumen angefragt. „Das war viel Recherchearbeit für am Ende nichts, weil alles nichts geworden ist“, sagt Schlegel.

Seit einigen Wochen gibt es immerhin einen Lichtblick für die KvU. „Wir als Kirchengemeinde haben eine freie Gewerbeeinheit im Hansaviertel“, sagt Simon Gramß, Geschäftsführer der Evangelischen Gemeinde Tiergarten. Steffl und Schlegel haben die Räumlichkeiten besichtigt und sehen dort Potenzial. „Wir haben denen gesagt, was KvU ist. Dass wir auch mal laut sind und die Wände nicht lange weiß bleiben werden“, sagt Steffl: „Wenn es jetzt back to the roots geht, sind wir natürlich gespannt, wie offen die Kirche heute für uns ist.“

„Wahrscheinlich hat der Vermieter einfach die Möglichkeit, mehr Geld zu machen“

Linda Steffl, KvU

Gramß ist aufgeschlossen: „In der Gemeinde hat es sich bewährt, dass man Dinge ausprobiert und wenig Berührungsängste hat.“ Die endgültige Entscheidung, ob die KvU die Räume der Gemeinde nutzen darf, wird an diesem Mittwoch im Kirchenrat fallen.

Dass die KvU jetzt wieder in die Räume einer Kirche ziehen könnte, ist aus historischen Gründen interessant. Die Rolle der Kirche in der Gesellschaft habe sich seit 1990 verändert, so Matthias Lohenner vom Evangelischen Kirchenkreis Stadtmitte. Trotzdem glaubt er, dass „die Suche nach geschützten Räumen wieder ein Thema werden könnte“. Und genau das passiert gerade bei der KvU.

„Die evangelische Kirche hat jetzt wieder die Chance, die linke Subkultur und ihre gesellschaftskritische Orientierung mit ihren Räumlichkeiten zu unterstützen“, sagt Steffl. „Damals wegen des gesellschaftlichen Ausschlusses, heute wegen der Gentrifizierung“, ergänzt Schlegel.

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