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Im Taumel der Pixel

Pipilotti Rists Pixelwälder werfen einen ins Bild hinein. Die Kunsthalle Bremen hat nun eine solche Rauminstallation aus explodierten Farbpunkten erworben

Das Rauschen der Lichter: Pipilotti Rists „Pixelwald Wisera“ in der Kunsthalle Bremen Foto: Tobias Hübel; Courtesy der Künstlerin, Hauser & Wirth und Luhring Augustine / VG Bild-Kunst, Bonn 2025

Von Benno Schirrmeister

Vielfältig sind heute die Wege künstlerischer Einfälle. „Ich hatte eine VR-Brille auf“, erzählt die Schweizer Videokünstlerin Pipilotti Rist. Und sie habe in der Virtual Reality bestimmt etwas total Cooles erlebt – „aber ich war so alleine dabei in meinem Körper“. Die Antwort auf den Schock der Einsamkeit im Digitalen gibt Rist mit einer seit 2016 entstehenden Serie von Audio-Video-Installationen: den Pixelwäldern. Den weltweit fünften (und ersten in einer deutschen Museumssammlung) haben sie und ihre Produzentin Kaori Kuwabara nun auf 160 Quadratmetern in die Bremer Kunsthalle gepflanzt.

Banal gesagt handelt es sich dabei um maximal verdunkelte Säle. Von deren Decke hängen an Kabeln aufgefädelte, individuell geformte Diffu­sionshüllen aus gehärtetem Polycarbonat: fast 3.000 Stück sind es. In ihnen scheinen je vier LEDs im Rhythmus von Musik auf. Sie ändern aber, anders als etwa bei einer Lichtorgel, unabhängig vom Sound ihre Farbe von Granatapfelrot über Schmutzgelb bis Amethystlila. Es ist nämlich ein nach der Musik geschnittenes Video, das die Aktivität der Lichtquellen steuert. Die Kugeln entsprechen den Bildpunkten, also Pixeln, eines Bildschirms. Sie sind aus dessen Flächigkeit aber in den Raum regelrecht explodiert und dann in der Bewegung erstarrt. Dazwischen wandeln die Be­su­che­r*in­nen – und begegnen einander. „Es soll ein Raum sein, in dem der andere nicht als Störung empfunden wird“, sagt Rist.

Der Gang durch einen solchen Pixelwald stimmt ebenso glücklich wie eine Wanderung in einem durchsommerten Hain. Dabei verunsichert er, lässt regelrecht taumeln. Die Lichtwechsel und das schwerelose Waldraumgefühl sind hier alles.

160 Quadratmeter, das ist viel für ein Einzelkunstwerk. Die Bremer Erwerbung gehört noch in den Rahmen des großen Jubiläums. Der dortige Kunstverein wurde 1823 gegründet. Heute hat er 10.000 Mitglieder. Seit den 1990ern hat man in Bremen Videokunst zu ­einem Sammlungsschwerpunkt ausgebaut.

Zwei Säle wurden für Rists Pixelwald zusammengelegt und umgestaltet, unter anderem mit poliertem schwarzem Keramikfußboden, der spiegelt großartig. Ein bisschen Lokalkolorit muss sein: das Werk heißt „Pixelwald Wisera“, denn Wisera lautet der althochdeutsche Name der Weser. Die fließt keine 200 Meter entfernt vorbei an der Kunsthalle, die Rist „ein geniales Haus“ nennt, ja, neben dem dänischen Louisiana Museum, als „das beste Museum Europas“ bezeichnet. Hier wird die altehrwürdige Sammlung mit aktueller Kunst kurzgeschlossen und jenseits historisch-chronologischer Abläufe erzählt.

Ich bin ein taz-Blindtext. Von Geburt an. Es hat lange gedauert, bis ich begriffen habe, was es bedeutet, ein

Arbeiten von Pipilotti Rist waren schon in vielen großen Häusern weltweit zu sehen. Zweimal hat sie den Schweizer Pavillon bei der internationalen Kunstbiennale in Venedig bespielt. Rist gilt seit Mitte der 1990er als wichtige internationale Videokünstlerin, wohl auch, weil sie mit dem Medium Video so ehrfurchtlos und spielerisch umgeht: „Technik sollte man nicht zu devot behandeln“, sagt Rist selbst: „Man muss sie kneten.“

Wer’s nicht selbst erlebt, könnte den Pixelwald für eine Lichterkette de luxe halten, die Farbwechsel für beliebig: Man sieht schließlich das Bild vor lauter Pixeln nicht. Aber zufällig sind hier nur die Besucher*innen. Das Video, das Helligkeit und Tönung der vieltausendfach vergrößerten Bildpunkte steuert, ist höchstens eine Ahnung, obwohl „jedes Pixel weiß, wo es ist“, wie Rist sagt: Mithilfe ungezählter Excel-Tabellen hat Kaori Kuwabara die grobe Körnung des Bewegtbilds ins dreidimensionale Koordinatensystem der Installation übertragen. Von etwa 200 Metern über der Kunsthalle aus und sofern deren Decken transparent wären, könnte folglich das Video angeschaut werden. Dem Publikum, das ins Bild eingegangen ist, bleibt aber nur übrig, daran zu glauben.

Pipilotti Rist: „Pixelwald Wisera“. Kunsthalle Bremen – Der Kunstverein in Bremen, Dauerausstellung ab 6. Februar

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