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Dämmerung über der Havel

Seit Längerem zeigt sich Potsdam von seinen weniger schönen Seiten. Um handlungsfähig zu bleiben, müssen Millionensummen gespart werden. Während die Kultur- und Sportszene vor dem nächsten Haushalt zittert, wollen die Stadtverordneten erst mal ihren OB loswerden

Potsdam, wie es im Bilderbuch steht. Doch das Bild hat Risse bekommen Foto: Eberhard Thonfeld/imago

von Heike Holdinghausen

Dienstagnachmittag. Draußen spiegeln große Pfützen die Graffiti der Backsteinmauern. Von einem alten Sofa und der Alte-Paletten-Sitzgruppe tropft es. Durch eine Tür und einen Vorhang geht es hinein ins Café. Hier ist es schummrig, warm und trocken. Achim Trautvetter, die Brille auf die pinkfarbene Mütze geschoben, schwarze Skijacke, lehnt auf einem Holzstuhl. Wie es ihm gerade geht? „Na, beschissen.“

Trautvetter ist Geschäftsführer der Cultus UG, einer Unternehmergesellschaft, die das Kulturzentrum Freiland betreibt, ein Club, Projekthäuser, Spielplatz und Garten, auf den 12.000 Quadratmetern eines ehemaligen Industriegeländes. Und das Cafè, in dem an diesem trüben Dienstagnachmittag Ende Januar Trautvetter sitzt und über die Haushaltssituation Potsdams spricht, die irgendwie zum Wetter passt. Denn Potsdam muss sparen. Dem Freiland könnte eine Kürzung der städtischen Förderung von 15.000 Euro drohen. Das ist nicht existenzgefährdend, trifft aber auf eine Einrichtung, die sowieso am unteren Level arbeitet. Andere wird es härter treffen.

1,12 Milliarden Euro will die Brandenburgische Landeshauptstadt 2025 ausgeben, so viel wie noch nie. Trotzdem hängt das Wort vom „Sparhaushalt“ über der Stadt wie ein riesiger, schwerer Betonklotz an einem Kran, und alle gucken bang nach oben und warten, ob er runterkracht. Bislang hat sich die Stadt einigermaßen durch die angespannte Finanzlage nach Corona und dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine gewurstelt, aber ab dem nächsten Jahr wird es eng.

2025 erwartet der Stadtkämmerer ein Defizit von knapp 55 Millionen Euro, 2026 knapp 57 Millionen Euro. „Die dauernde Leistungsfähigkeit ist demnach derzeit nicht nachweisbar“, heißt es im Haushaltsentwurf der Stadtverwaltung, was bedeutet: In Zukunft droht die Zwangsverwaltung der Landeshauptstadt durch das Land. Notwendige Investitionen, etwa in die Wärmewende der Stadt, wären nicht mehr möglich.

Den Ausweg sieht die Stadtspitze in einer freiwilligen Haushaltskonsolidierung. Und weil sie bei Pflichtaufgaben wie dem Betrieb von Schulen oder der Abfallentsorgung nicht oder kaum sparen kann, trifft es den freiwilligen Bereich: Kultur, Jugendarbeit, Sport.

Ende November wurde die erste „Potenzialliste“ der Stadt bekannt. Die listete in allen freiwilligen Leistungen Möglichkeiten auf, zu sparen – 50 Millionen Euro in den nächsten drei Jahren. In einem wilden Ritt führte die Liste durch die Ausgaben der Stadt, von weniger Kästen mit Hundekotbeuteln im Stadtgebiet über die Schließung der Potsdamer Tropenhalle „Biosphäre“ und von drei Jugendclubs bis hin zu Kürzungen bei der Digitalisierung von Schulen. Inzwischen gibt es eine zweite, entschärfte Liste. Sie sieht bei vielen Positionen keine Kürzungen vor, sondern friert die Ausgaben auf dem Niveau von 2023 oder 2024 ein. Doch der Knall der ersten Liste hallt nach, die Verunsicherung ist groß.

Kenner der Stadtpolitik und ihrer Finanzen kritisieren den Sparkurs nicht. Potsdam habe die vergangenen Jahre zum Teil über seine Verhältnisse gelebt, heißt es. Günstiges Mittagessen in Schulkantinen, die riesigen Parks des Weltkulturerbes subventioniert und kostenfrei zugänglich – das sei schön, aber so gehe es nicht weiter. Nur, so, wie Kämmerer Burkhard Exner und Oberbürgermeister Mike Schubert, beide SPD, die Sparliste präsentiert hätten, sei das maximal unprofessionell gewesen. Mal wieder. Statt die schwierigen Haushaltsberatungen zu moderieren und führen, wackelt der Oberbürgermeister als Verwaltungschef auf seinem Stuhl. Denn die Stadtverordneten wollen Schubert schnellstmöglich loswerden.

Ende Januar haben sie beschlossen, ihn abzuwählen, anderthalb Jahre bevor seine achtjährige Amtszeit regulär endet. Es sei kein Vertrauen mehr da, sagen Stadtverordnete. Der Bürgerservice, die Verwaltung, das städtische Krankenhaus, nichts funktioniere, überall Chaos, verantwortlich: der Oberbürgermeister. Kristallisiert hat sich der Missmut im Sommer in der „VIP-Ticket-Affäre“.

Der Vorwurf: Schubert soll Tickets verschiedener Sportvereine für sich und seine Frau als Geschenke angenommen haben im Wert von 14.000 Euro. Von Korruption und Vorteilsnahme im Amt war die Rede, von viel zu viel Nähe zwischen Schubert und den Vereinen.

Kurz vor Weihnachten stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen den Oberbürgermeister gegen Zahlung von 34.000 Euro ein. Die Organisation Transparency International hatte keine Korruption erkennen können. Schuberts Anwältin hatte ihm empfohlen, es auf einen Prozess ankommen zu lassen.

Schubert aber wollte die Diskussion beenden und zahlte. Doch das half ihm nicht. Der Abwahlantrag wurde nicht zurückgenommen. Derzeit befinden sich alle in der vorgeschriebenen „Abkühlphase“ von einem Monat, bevor die Abgeordneten Anfang April endgültig abstimmen. Bekommt der Abwahlantrag eine Zweidrittelmehrheit, haben Ende Mai die Potsdamer in einem Bürgerentscheid das letzte Wort.

„Ich will über den Haushalt reden, darüber, wie wir bessere Fahrradwege bauen, ob wir im Babelsberger Ratskeller einen Jugendclub einrichten können, wie wir was für die Stadt tun können“, sagt Maxi Hoops (SPD), die für den Ortsteil Babelsberg und Zentrum Ost in der Stadtverordnetenversammlung sitzt, „und nicht ständig nur über den Oberbürgermeister“. Mit den Grünen, mit der Fraktion der Anderen, mit den Linken gebe es so viele Schnittmengen. „Gemeinsam könnten wir Probleme lösen, statt die Stadt in unserer Selbstbeschäftigung lahm zu legen“, sagt sie. „Die anderen Fraktionen haben sich mit ihrem Abwahlantrag verrannt.“

Dienstagabend, am Telefon. Es ist spät, aber Andreas Hueck hat jetzt erst Zeit, das Theater Poetenpack probt ein neues Stück. Hueck ist Gründer, künstlerischer Leiter und Geschäftsführer des freien Theaters, das eine eigene Spielstätte in der Zimmerstraße nahe dem Schlosspark Sanssouci unterhält, vor allem aber als Tourneetheater durch Deutschland tourt.

„Wie es uns mit den Kürzungen geht? Na, beschissen“

Achim Trautvetter, Betreiber des Kulturzentrums Freiland

Bislang funktioniere seine Truppe, weil alle „zu absolut inakzeptablen Honoraren arbeiten“, sagt er. Die Kosten für Transporte, Energie, Räume seien in den vergangenen Jahren explodiert, die Einnahmen nicht. Wenn die Stadt also die Fördergelder auf dem Stand von 2023 oder 2024 einfriere, bedeute das de facto eine Kürzung. Und nun? „Müssen wir abwarten, wie sich die Debatte entwickelt“, sagt Hueck, „und im Zweifel Produktionen streichen.“

Mittwochnachmittag. Der Schulhof der Leonard-da-Vinci-Gesamtschule in Bornstedt ist leer. Um vier Uhr sind die Schulkinder weg, die große, moderne Sporthalle ist frei. Frei für zehn quirlige Fünf- und Sechsjährige einer Kindersportgruppe des SC Potsdam, deren Trainerin sie einzeln in die Halle ruft. Jedes Kind sprintet in die Hallenmitte und lässt sich im Kreis nieder.

Zur Begrüßung wird gesungen und geklatscht, danach geht es über einen Parcour, vom Trampolin auf eine Matte springen, über Bänke balancieren, Trittsteine heraufklettern, Kästen hinabspringen. Die Eltern sitzen auf der Tribüne und schauen von oben auf ihre purzelnden Kinder, versuchen, kleinere Geschwister im Zaum zu halten oder helfen älteren bei den Hausaufgaben.

„Ein Sportverein ist kein Fitnessstudio“, sagt Anne Pichler, Geschäftsführerin des Stadtsportbundes. Sport im Fitnessstudio sei auch gut. „Aber ein Verein ist eine Gemeinschaft, die Werte lebt und vermittelt, kein Geschäftsmodell.“ Bildung, Gesundheit, Teamgeist, das alles lerne und lehre man im Sportverein, und zwar überwiegend in ehrenamtlichen Strukturen. „Dass die Vereine die städtischen Sporthallen kostenlos nutzen können, ist die Grundlage für all diese Angebote“, sagt Pichler. Diese kostenlose Nutzung steht zur Disposition, denn auch sie stand auf der ersten Sparliste der Stadtverwaltung. Auf der zweiten „Potenzialliste“ erscheint das Bezahlmodell nicht mehr, aber die Drohung ist in der Welt.

Donnerstagabend. Ein nüchterner Raum in einem Bürogebäude am Rande des Zentrums Ost, dass der Stadtverwaltung als Dienstort gilt, solange das Rathaus saniert wird. Es ist Abend, schon dunkel, drinnen strahlen weiß die Wände. Der Kulturausschuss der Stadtverordneten hat zur außerordentlichen Sitzung geladen. Die Ausschussmitglieder bilden ein inneres Viereck, auf den Stühlen in der zweiten Reihe quetschen sich Zuschauer:innen.

Soll abgewählt werden: Oberbürgermeister Mike Schubert Foto: Michael Bahlo/dpa

Die Potsdamer Kulturszene verfolgt angespannt die erste Diskussion der Fraktionen über den Haushalt. Nach zwei Stunden Debatte sind sich die Kommunal-Kulturpolitiker von CDU bis Linke grob einig, dass die 2 bis 2,5 Millionen Euro zu vernachlässigen seien, die die Kultur zum Sparhaushalt beitragen könnte. „Bauen wir doch eine Kita weniger, das bringt viel mehr“, wird vorgeschlagen. Die Millionen, die das städtische Hans-Otto-Theater oder das Potsdam-Museum einsparen sollten, seien schmerzhaft. Doch Kürzungen bei den freischaffenden Künstlern, die zum Teil von auch geringen Fördersummen lebten, die wirkten vernichtend.

Auch Hueck und Trautvetter sind gekommen. Trautvetter, wieder mit pinker Mütze, zappelt im Laufe des Abends immer mehr auf seinem Stuhl herum. Kein einziges Mal sei eine konkrete Zahl genannt worden, wieviel in der freien Szene und ihren Trägern gespart werden solle, sagt er empört nach Sitzungsende.

Hueck verweist auf den offenen Brief der Potsdamer Kulturjury, in dem sie warnt, der Etat der Projektförderung solle von rund 244.000 Euro im vergangenen Jahr auf 71.000 Euro in diesem Jahr gekürzt werden. „Wenn das stimmt, ist alles noch viel schlimmer als das, was ich am Telefon gesagt habe“, sagt er.

Im Moment fehle ihm ein bisschen die Idee, wie es weitergehen könne in Potsdam.

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