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„Ich habe in Europa keinen Verein gefunden“

Die ehemalige deutsche Nationaltorhüterin Almuth Schult erklärt, warum es Mütterim europäischen Fußball so schwer haben und warum das in den USA anders ist

Foto: Denny Medley/imago

Interview Alina Schwermer

taz: Frau Schult, immer mehr Fußballerinnen werden während ihrer Karriere Mütter, neben Ihnen zum Beispiel Melanie Leupolz und Tabea Sellner. Allerdings erleben fast alle große Schwierigkeiten, etwa kaum Einsätze oder DFB-Karriereende wegen hoher Belastung. Was fehlt noch für Mütter im Fußball?

Almuth Schult:Es fehlt vermutlich eine Selbstverständlichkeit. Dieses Proaktive, was es zum Beispiel in den USA gibt. Die Liga hat Vorschriften, dass man Geld für Kinderbetreuung bekommt und jeder Verein die Reisekosten für eine Betreuung und die Kinder übernehmen muss. Kinder sind einfach immer willkommen. Hier in Deutschland beschäftigen sich die Vereine oft erst damit, wenn ein Schwangerschaftsfall auftritt.

taz: Warum ist Deutschland so weit hinter den USA?

Schult:Im Fußball haben die USA das Potenzial erkannt. Wenn Mütter weiterspielen, inspirieren sie den Nachwuchs, weil viele Töchter ihnen vielleicht nacheifern, und sie können zudem eine Breite von Stars behalten. Sie haben auch gemerkt, dass es für die Stimmung in den Mannschaften sehr wertvoll sein kann, wenn Kinder dabei sind. Als meine Kinder dabei waren, war eine andere Fröhlichkeit, Bodenständigkeit und Natürlichkeit da. Ein Kind kann einen auf den Boden holen: Ja, wir haben jetzt verloren, aber daran stirbt man nicht.

taz: Seit Dezember gelten in Deutschland die neuen Fifa-Standards für Mütter im Fußball. Was wird das verändern?

Schult:Ich glaube gar nicht so viel, weil es in Deutschland schon den gesetzlichen Mutterschutz gab. Natürlich sind es jetzt 14 Wochen und nicht acht. Aber niemand regelt, was danach passiert. Wie funktioniert eine Wiedereingliederung? Was ist, wenn man noch nicht spielfähig ist? Wichtig ist die Regel, dass Vereine eine Schwangere ersetzen können außerhalb des Transferfensters und Mütter diese Regel für sich nach der Geburt auch anwenden können.

taz: Wie könnten Klubs ihren Spielerinnen Sicherheit geben?

Schult:Als Zeitarbeiterin ist Nachwuchs schwierig, dann steht man plötzlich in der Schwangerschaft ohne Job da. Das hält sehr viele davon ab. Du musst einen Verein mit Mut haben wie Melanie Leupolz bei Chelsea. Sie war noch nicht mal auf dem Platz zurück, da haben sie ihren Vertrag verlängert, um ihr Sicherheit zu geben. Das war ein herausragendes Zeichen. Ich würde mir wünschen, dass es einen Fifa-Fonds gibt, aus dem bis zu einem halben Jahr nach der Geburt das Gehalt kompensiert wird, wenn eine Mutter vereinslos wird. Und ich wünsche mir eine mit Gehaltsstufen geregelte Wiedereingliederung.

taz: Was macht es in Deutschland schwer, sich zu organisieren?

Schult:Wir haben keine Gewerkschaft für Spielerinnen. Es gab eine Bewegung, dass sich eine Interessensvertretung gründet. Ich hoffe, dass es passiert, weil das absolut wichtig ist. Es ist schwieriger, als Einzelne etwas zu fordern, weil man weiß, es kann individuelle Konsequenzen haben. In den USA muss man keine Angst haben, denn es gibt Regeln, auf die sich jede Mutter berufen kann und die Players Association als Ansprechpartner.

taz: Hatten Sie vor der Schwangerschaft Angst um Ihre Karriere?

Schult:Ich wusste, dass es sein kann, dass meine Karriere vorbei ist. Aber ich habe mir vorher klargemacht, dass ich sehr zufrieden und dankbar bin. Und falls es vorbei sein sollte, bin ich mit mir im Reinen. Das hat mir viel Kraft gegeben. Und natürlich hat mir auch meine Position geholfen, mich für Veränderung einzusetzen. Wenn ich die Nummer 3 gewesen wäre, hätte meine Rückkehr nicht so im Fokus gestanden und das Gewicht meiner Stimme wäre sicher anders gewesen.

taz: Welche Rückmeldungen bekommen Sie zu Ihren Äußerungen?

Schult:Es gab viele positive Rückmeldungen von Spielerinnen oder auch von Frauen aus anderen Berufen. Leider wird von Verbänden und Vereinen oftmals nicht so gern gesehen, wenn man sich öffentlich mit Themen auseinandersetzt. Da muss man in der Wortwahl sehr vorsichtig sein. In Deutschland wird immer sehr schnell etwas negativ aufgefasst. Es gab zum Beispiel die Fifpro und internationale Verbände, die mich als Quelle benutzt haben. Die wollten nachfragen: Was müssten wir tun für eine schwangere Spielerin? Das fand ich sehr fortschrittlich.

taz: Und das hat in Deutschland niemand gemacht?

Schult:Doch, aber erst im Nachhinein. Es gab vom DFB auf Initiative von Doris Fitschen eine Projektgruppe, um Richtlinien für die erste und zweite Liga zu erarbeiten. Ich habe mich darüber sehr gefreut, weil sie als Co-Mutter selber miterlebt hat, wie schwierig dieser Spagat ist.

taz: Sie sind nach den Schwangerschaften nicht auf den Zenit Ihrer Karriere zurückgekommen. Woran lag das?

Almuth Schult, 33, stand von 2013 bis 2022 im Tor des VfL Wolfsburg. Zuletzt war sie bis Dezember 2024 in den USA bei Kansas City Current vertraglich gebunden. Für das DFB-Team bestritt sie 66 Länderspiele.

Schult:Woran macht man den Zenit fest? Wenn man sich die Statistiken meiner letzten Saison bei Kansas City anschaut, war ich eine der weltbesten Torhüterinnen. Aber gerade auf meiner Position kommt es auch darauf an: Wer hat in der Zwischenzeit übernommen? Setzen die Trainer und Trainerinnen auf mich? Ich hatte erst recht nach der zweiten Schwangerschaft das Gefühl, dass ich nicht nur als Sportlerin gesehen werde, sondern ich habe nun mal drei Kinder. Dazu bin ich ein Charakter, der seine Meinung äußert. Das ist vermutlich der Grund, weswegen ich in Europa keinen Verein gefunden habe, also keinen Topverein. Aus den USA gab es mehrere Angebote.

taz: Fehlt es im deutschen Fußball weiter an Kritikfähigkeit?

Schult:Das ist vielleicht ein Teil davon, aber es fehlt auch einfach der Innovationsgedanke: Vielleicht in die Richtung „Ich möchte der Verein sein, der führend auf der Welt im Umgang mit Müttern ist“. Bei Angel City und auch Kansas City Current hatte ich das Gefühl: Sie tun alles, ohne sich gedanklich einzuschränken.

taz: Welchen Unterschied macht es, wenn vor allem weibliche Investorinnen da sind wie bei Angel City?

Schult:Das macht schon einen großen Unterschied. Weibliche Kräfte haben normalerweise einen anderen Blickwinkel. Und es wäre auch wünschenswert, dass so etwas im DFB und der Fifa in allen Bereichen abgebildet ist. Es geht nicht nur darum, Frauen zu finden, sondern Frauen mit Qualität. Und da haben wir im Fußball ein riesengroßes Problem, weil viele Frauen, die Qualität haben, sich im Fußball nicht erwünscht fühlen.

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