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Im Dauereinsatz

Alba Berlin will viel. Die Basketballteams der Männer und Frauen zum Strahlen bringen und sein riesiges Breitensportangebot für benachteiligte Kinder vorantreiben. Doch der Männer-Bundesligist schwächelt und hat ein massives Problem

Spieler vom Männerteam von Alba schauen den Frauen bei einem Finalspiel um die Deutsche Meisterschaft 2024 zu Foto: imago

Aus Berlin Johannes Kopp

Mehr als sein halbes Leben steht Marco Baldi schon in Diensten von Alba Berlin. Die sportliche Leitung übernahm er mit der Vereinsgründung vor 33 Jahren. Und seine Identifikation mit dem Klub unterstreicht der 62-Jährige an diesem Tag zum Gespräch auf der Geschäftsstelle mit seiner Garderobe. Er trägt einen schwarzen Hoodie mit Alba-Wappen auf der Brust. Die Lage ist ernst. Ein Boulevardblatt schrieb bereits im November von der größten „Alba-Krise der letzten 25 Jahre – mindentens“. Seither hat sich die Situation kaum verbessert. Das Männerteam steht in der Basketball-Bundesliga trotz zweithöchstem Etat auf dem 14. Platz. Erstmals droht Alba die Playoffs zu verpassen. In der EuroLeague belegt man den letzten Tabellenrang. Das entspricht zumindestens der Budgetrangliste.

Der Krisenbefund trifft zu und wiederum auch nicht. Denn Alba hat mehrere Gesichter und zeigt sich andernorts in seiner schönsten Blüte. Am Vortag, erzählt Baldi, sei er in der Sömmeringhalle beim 65:46 des Frauenteams von Alba gegen Hannover vor knapp 2.000 Zuschauern gewesen. „Das ist nicht nur eine persönliche Freude. Da wächst und entsteht etwas.“ Binnen kürzester Zeit hat sich Alba zum Publikumsmagneten im Frauenbasketball entwickelt und schon in der zweiten Bundesligasaison vergangenes Jahr den deutschen Meistertitel gewonnen. Wie bei den Männern profitiert das Team von einem organisch gewachsenen einmaligen Nachwuchsprogramm in Deutschland, das immer wieder Talente bis an die Spitze befördert.

Und Alba hat noch eine dritte Seite. Der Verein hat sich in Zusammenarbeit mit Schulen, Kitas, kommunalen Behörden und Stiftungen der Förderung des Breitensports verschrieben mit besonderem Augenmerk auf Kinder, denen der Zugang durch soziale Barrieren erschwert wird. 15.000 Kinder sind in Berlin in die Alba-Projekte involviert. Daraus ist mittlerweile unter Federführung des ehemaligen Nationalspielers und Alba-Vizepräsidenten Henning Harnisch mit „Sport Vernetzt“ eine bundesweite Ini­tiative mit über 50 Kooperationspartnern geworden.

In Berlin sind für Alba um die 350 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Einsatz. Baldi sagt: „Wir haben viele Menschen bei uns, die nicht nur sehr viel Energie für ihre Arbeit aufbringen, sondern auch unseren Wertekanon in sich tragen und Ideen weiterentwickeln. Das ist unser eigentliches Kapital.“ Vom Berliner Modellprojekt in der Gropiusstadt berichtet Marc Ulrich, Schulleiter der Janusz-Korczak-Schule: „Wir haben in letzter Zeit weniger Gewaltvorfälle an der Schule zu verbuchen, und das schreiben wir auch der Arbeit von Alba Berlin zu.“

Der Verein wächst an allen Ecken und Enden. Die Gleichzeitigkeit der Prozesse ist gewollt, wie Baldi versichert. „Es ist ein Zusammenspiel. Wir haben zwei Teams, die strahlen und das ganze Grassrootprogramm in positiver Art und Weise anzünden und motivieren. Das ist unsere einzigartige Kraft.“

Doch wie stabil ist dieses so groß gewordene Gebilde, wenn der größte Stützpfeiler, das Männerprofiteam, mehr ins Wanken geraten würde? Marco Baldi räumt ein: „Die Strahlkraft des Ganzen hängt schon massiv davon ab, wie wettbewerbsfähig wir mit diesem Team sind.“ Eine dauerhafte Krise wäre auch für das Ganze ein Risiko.

Die aktuelle Misere führt Baldi vornehmlich auf Verletzungspech historischen Ausmaßes zurück, das schlechte Ergebnisse begünstigt hätte und diese wiederum einen kollektiven Vertrauensverlust des Teams in die eigenen Fähigkeiten. Ein Teufelskreis. Und er bestätigt, dass der Kader von Alba, mit dem der Verein zuletzt 2020, 2021 und 2022 Deutscher Meister wurde, in den vergangenen beiden Jahren an Qualität verloren habe. Baldi erklärt: „Es fließen mittlerweile erhebliche Mittel in unsere Infrastruktur, die dem Team fehlen.“ Gemeint ist die im Sommer 2023 erneut deutlich hochgesetzte Miete für die Multifunktionshalle am Ostbahnhof durch den amerikanischen Eigentümer, der Anschutz Entertainment Group. Es ist die derzeit größte Baustelle des Vereins. Gespräche mit dem Berliner Senat über einen Umzug in eine alternative Sportstätte, das Velodrom etwa, blieben in den letzten Jahren ergebnislos.

So muss Alba vermutlich sich selbst helfen. Die Lösung dieses Problems könnte aus Sicht von Marco Baldi mit der Lösung eines anderen Problems verbunden sein – der Reform der europäischen Basketballordnung. Momentan ist Alba Berlin nur dank einer Wildcard in der EuroLeague, dem hochklassigsten Wettbewerb, dabei und müsste aufgrund seiner schwachen sportlichen Bilanz um den Verbleib dort bangen. Doch 2026 laufen ohnehin die A-Lizenzen der 13 festen EuroLeague-Anteilseigner aus – und die Unzufriedenheit der Klubs ist groß. Über 170 Millionen Euro Verlust machten die 18 Teilnehmer in der Vorsaison. Es fehle eine Strategie des nachhaltigen Wirtschaftens. Und die nordamerikanische NBA denkt offenbar über einen Liga-Ableger in Europa in Zusammenarbeit mit dem Weltbasketballverband (Fiba) nach. Der Handlungsdruck auf die EuroLeague sei groß, stellt Marco Baldi fest.

Seine Sympathie zum NBA-Modell will er gar nicht verhehlen. Nicht in allem sei die Liga ein Vorbild, aber wenn ein turbokapitalistisches Land wie die USA sozialistische Elemente in seine Liga trage, wenn die starken Märkte (New York) die schwachen Märkte (Indiana oder Sacramento) unterstützen würde, es eine Gehalts­obergrenze gebe und die schlechtesten Teams sich die besten Talente auswählen könnten, dann müsste man sich das schon mal genauer anschauen. Der europäische Basketball müsse seine Kultur beibehalten, aber besser zusammenarbeiten und nicht ohne Rücksicht auf Verluste auf den kurzfristigen Erfolg setzen.

Der Wildwuchs von Wettbewerben hat in den vergangenen Jahren in Europa zu einer Unübersichtlichkeit und Planungsunsicherheit geführt. Aus Sicht von Baldi hat man dadurch nicht ansatzweise die Wachstumspotenziale ausgeschöpft, die Marktanalysen dem Basketball verheißen. In einem Wandel des Basketballangebots sieht Alba Berlin also seine Zukunftschance. Baldi weiß, dass auch in Berlin die Schulterklopfer vor allem nach sportlichen Erfolgen kommen. Das Grassrootprogramm sei dagegen eher ein „Nice to have“. Der Berliner Senat begründe seine immensen Ausgaben für drei Gastspiele der National Football League aus den USA (ca 12,5 Millionen Euro) mit der hohen Rendite für die Stadt. „Das kann man machen“, sagt Baldi, „aber ich würde mir wünschen, dass einmal die Stadtrendite von Alba auch unter dem sozialen Aspekt berechnet würde.“

Mit dem Engagement im Frauenbasketball will Alba wiederum eine ganz andere Aufgabe schultern, die Umgestaltung eines extrem amateurhaften Umfelds. Svenja Brunckhorst, die im Sommer erst Olympiasiegerin im 3x3-Basketball wurde, leitet das Projekt seit dieser Saison. Die nationale Spitze hat man mit dem Titel bereits vergangenen Sommer erklommen, zur europäischen Spitze ist es noch ein weiter Weg. Brunckhorst sagt: „Es bringt nicht viel, wenn Alba sein eigenes Ding macht und die Bundesliga kommt nicht hinterher. Wir müssen daran arbeiten, das ganze System weiterzuentwickeln.“ Um das zu beschleunigen, wäre es „eine große Hilfe“, wenn Männerbasketballklubs wie Bayern München oder die Telekom Baskets Bonn mit Frauenteams einsteigen würden. Man könnte auch sagen, Alba ist darauf angewiesen, dass derartige Klubs folgen.

In Berlin hat man die professionellen Strukturen des Männerteams auf das Frauenteam übertragen. Die Spielerinnen haben den gleichen Zugang zu Einzeltrainings, Physiotherapie, medizinischer Betreuung, Ernährungsberatung oder psychologischer Beratung.

Alba will die Gleichzeitigkeit der Prozesse. Darin liege die einzigartige Kraft des Vereins

Noch ist das Frauenteam von Alba ein Solitär insbesondere mit seiner Fan-Comunity, die in der Sömmeringhalle, wo einst auch die Männer groß wurden, allein mit ihrer großen Präsenz und Lautstärke die staunenden Gästeteams in eine andere Basketballwelt entführen. Das zahlreiche Publikum speist sich auch aus dem vielen Alba-Basketballnachwuchsprojekten und trägt dazu bei, dass der Weg zur finanziellen Selbstständigkeit bereits in zwei, drei Jahren abgeschlossen sein soll, wie Baldi sagt. Bis zu 20 Prozent vom Budget des Frauenteams würden momentan noch aus der Männerabteilung quersubventioniert werden, sagt er. Von der Frauenbasketball-WM 2026 in Deutschland verspricht sich der Verein weiteren Rückenwind für die Entwicklung.

Angst, Alba könne angesichts des kriselnden Männerteams vom Prinzip des gleichzeitigen Vorantreibens seiner Projekte abrücken und die Kräfte bündeln, hat Svenja Brunckhorst nicht. „Ich glaube, wir sind schon sehr eigenständig. Wir zeigen durch unsere Leistungen und die volle Halle unsere Bedeutung. Auch in der Vereinsführung sind alle begeistert.“

In der Gleichzeitigkeit des Engagements von Alba liege die Kraft, sagt Marco Baldi. Die Projekte würden sich gegenseitig „beatmen“. Das sei aber verdammt anstrengend. Selbstverständlich gebe es auch Stimmen im Verein, die davor warnen, zu viel auf einmal zu machen. Ambivalenzen gehören sozusagen zum alltäglichen Geschäft. Baldi räumt ein: „Die Zweifel gibt es manchmal auch bei mir.“

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