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Wahlprogramme zur RenteHeikle Verteilungsfragen zwischen den Generationen

Sollen Millennials schon an die Rente denken oder ist das eher Thema für Babyboomer? Ein Vademecum durch die Pläne der Parteien zur Altersvorsorge.

Umlagefinanzierter Lebensabend: Rentner unterwegs in Bernau Foto: Sebastian Wells/ostkreuz

Berlin taz | Das Beispiel mit der Krankenschwester sollte die Bür­ge­r:in­nen überzeugen. Wenn eine Krankenschwester, heute 49 Jahre alt, 2040 in Rente ginge, bekäme sie im Jahr 1.100 Euro mehr an Rente durch sein Rentenpaket II, sagte Sozialminister Hubertus Heil (SPD). Wer aber 46 Jahre alt sei oder jünger, würde durch höhere Beiträge draufzahlen, rügten Kritiker. Das Rentenpaket II genüge nicht der „Generationengerechtigkeit“, urteilte auch der Bundesrechnungshof. Das Paket wurde nicht umgesetzt.

Aber was ist das jetzt genau – Generationengerechtigkeit? Muss man sich nur einfach die Wahlprogramme der Parteien in Sachen Rente genauer anschauen, die Vorschläge mit dem eigenen Geburtsdatum abgleichen und schon ist klar: „Diese Partei ist die richtige für mich und jene nicht“? Ganz so einfach ist es natürlich nicht.

Die SPD und die Grünen zum Beispiel wollen das sogenannte Rentenniveau auf dem bisherigen Wert von 48 Prozent festschreiben, so stand es im gescheiterten Rentenpaket II, und so steht es nun in ihren Wahlprogrammen. Das Rentenniveau ist eine statistische Größe, die das Verhältnis einer angenommenen Standardrente zur Lohn­entwicklung darstellt.

Ohne diese Haltelinie von 48 Prozent würde das Rentenniveau ab 2027 absinken und im Jahre 2040 nur noch bei 45 Prozent liegen. Das Renten­niveau sinkt nach herrschender Gesetzeslage unter anderem deswegen, weil die existierende Rentenformel mit dem sogenannten Nachhaltigkeitsfaktor das Verhältnis von Rent­ne­r:in­nen zu beitragszahlenden Ar­beit­neh­me­r:in­nen berücksichtigt. Je mehr ruheständige Alte es gibt im Verhältnis zu den arbeitenden Jüngeren, desto bescheidener fällt die jährliche Rentenerhöhung aus. Heute und auch in Zukunft. Das liegt an der Rentenformel und am Umlageverfahren, in dessen Rahmen erwerbstätige Junge den Ruhestand der Alten finanzieren.

Die Gerechtigkeitsfrage

Mehr Alte, weniger Junge bedeuten damit also weniger Rente. Das klingt einigermaßen generationengerecht. Nur leider lösen sich die künftigen Rentenprobleme für die Jüngeren damit nicht. Denn in einigen Jahrzehnten wird es eher noch mehr Alte und noch weniger Junge geben. Im Jahre 2020 kamen auf 100 Menschen im Erwerbsalter 34 im Rentenalter. Im Jahre 2040 werden es 43 Rent­ne­r:in­nen auf 100 Jüngere sein, im Jahre 2060 dann 44. So die Rechnung der Deutschen Rentenversicherung, die auf Prognosen des statistischen Bundesamtes beruht.

Wer sich heute also als Mittdreißiger, als „Millennial“, über die angeblichen Rentenprofiteure der Babyboomer-Generation beklagt, muss sich im Klaren darüber sein, dass es dann, wenn er oder sie im Rentenalter ist, wahrscheinlich noch weniger Menschen im Erwerbsalter gibt, um dann seinen oder ihren Ruhestand mit ihren Beiträgen zu bezahlen. Die künftige Zuwanderung in den Arbeitsmarkt ist in diesen Rechnungen übrigens eingepreist.

Die Union verspricht in ihrem Wahlprogramm nur ein durch „wirtschaftliches Wachstum garantiertes stabiles Rentenniveau“, ohne eine konkrete Prozentzahl zu nennen wie SPD und Grüne. Das Rentenniveau müsste dann laut Union allein durch wirtschaftliches Wachstum und eine hohe Beschäftigungsquote gesichert werden. Auch eine CDU-geführte Regierung kann aber kein hohes Wachstum garantieren. Dieses Rentenversprechen ist unseriös.

Womit man bei der Glaubwürdigkeit der Rentenversprechen ist. Die Linke will das Rentenniveau auf 53 Prozent anheben. Die AfD verspricht ein Rentenniveau von 70 Prozent. Das Bündnis Sarah Wagenknecht (BSW) hat ein Niveau von 75 Prozent im Auge. Die Gegenfinanzierungen dieser Rentenerhöhungen sind nicht geklärt.

Es gibt einige Vorschläge zur Stabilisierung der Rentenkasse, die schon lange kursieren und die sich auch jetzt wieder in den Wahlprogrammen der Parteien finden. SPD, Union, Grüne, Linke und BSW wollen Selbstständige in das Rentensystem auf die eine oder andere Weise einbeziehen. Nicht jeder kleine Selbstständige kann aber mal eben ohne Weiteres fast 20 Prozent seines Einkommens in die Rentenkasse abzweigen.

Die Vorschläge, Be­am­t:in­nen in die gesetzliche Rente zu integrieren, haben ein hohes Verhetzungs-potenzial

Die Grünen, die Linke, das BSW und die AfD möchten die Be­am­t:in­nen in die gesetzliche Rente integrieren. Das wäre erst mal sehr teuer für den Staat, der als Arbeitgeber der Be­am­t:in­nen ja die Beiträge für die Staats­dienenden bezahlen müsste. Be­am­t:in­nen würden zudem Privilegien verlieren. Im Übrigen würden alle Ein­zah­le­r:in­nen später auch wieder zu Leis­tungs­be­zie­he­r:in­nen – und Beamte leben lang. Die Vorschläge sind langfristig sinnvoll, haben jedoch ein hohes Verhetzungspotenzial in den Mittelschichtmilieus.

Demographische Misere

Einige Parteien setzen auf die Renditen des Kapitalmarktes, um der demografischen Misere des Umlageverfahrens zu begegnen. Die FDP will einen Teil der Rentenbeiträge in eine „gesetzliche Aktienrente“ anlegen. Die Grünen möchten aus Bundesmitteln einen nachhaltigen und klimafreundlichen „Bürger-innen-Fonds“ einrichten und damit einen „Einstieg in eine notwendige ergänzende Kapitaldeckung“ in der gesetzlichen Rente schaffen, wie es im Wahlprogramm heißt. Die Vorlaufzeiten dieser Programme wären allerdings lang, hohe Summen müssten erst mal aus der Rentenkasse oder aus Bundesmitteln dafür abgezweigt werden. Außerdem schwanken die Renditen auf dem Kapitalmarkt stark.

Einige Parteien wollen, wie schon bei der Riester-Rente, wenigstens die individuelle private Vorsorge fördern. Die Union verspricht eine „Früh-Start-Rente“. Zehn Euro im Monat sollen 6- bis 18-Jährige künftig vom Staat geschenkt bekommen für ein Altersvorsorge­depot. Das erinnert an Sparschweine für Kinder, in die die Oma gerne mal was reinsteckt.

Die FDP will die Einführung eines steuerlich geförderten individuellen Altersvorsorgedepots. Die SPD und die Grünen möchten die private Altersvorsorge fördern und die Unterstützung dabei auf „kleine und mittlere Einkommensbezieher“ (SPD) konzentrieren, um wenigstens einen kleinen Umverteilungseffekt zu erreichen. Die Beschäftigung der Alten jenseits des Rentenalters wird zudem von Union, SPD und Grünen in deren Wahlprogrammen gefördert.

taz Themenwoche Gerechtigkeit

Selten sind die Ärmsten so diffamiert worden, selten war der Wohlstand so ungleich verteilt. Die taz begibt sich auf die Suche nach dem sozialen Gewissen des Landes. Alle Texte zum Thema finden Sie hier.

Große Umwälzungen mit hohem Shitstormrisiko hat keine der Parteien im Programm. In einigen Renten­reformen in Skandinavien etwa ist das Rentenzugangsalter an die Entwicklung der Lebenserwartung gekoppelt. Je älter die Bevölkerung in Zukunft wird, desto später darf man dann erst in Rente gehen. Das stabilisiert die Rentenkasse. Gerechter als heute aber ist es nicht, wenn dann Jüngere vielleicht in Zukunft erst mit 70 in den Ruhestand wechseln könnten.

Verschleißberufe und geringere Lebenserwartung

Die größte Ungerechtigkeit im Rentensystem ist nämlich gar nicht die Tatsache, dass die Jüngeren künftig womöglich weniger oder später Rente bekommen, weil es dann zu wenig Erwerbstätige gibt, die im Umlageverfahren ihren Ruhestand finanzieren. Eine noch größere Ungerechtigkeit liegt darin, dass Menschen in Verschleißberufen erstens oft eher wenig verdienen und daher nur eine kleine Rente bekommen und zweitens es in der Arbeit nicht bis in ein hohes Renteneintrittsalter schaffen und drittens auch noch eine geringere Lebenserwartung und Rentenbezugsdauer haben als Aka­de­mi­ke­r:in­nen zum Beispiel.

Die Vorschläge zu Mindestrenten, wie sie die Linke und mit Abwandlung auch die Grünen im Programm haben, zielen zumindest auf dieses Problem. Eine steuerliche Mitfinanzierung solcher Mindestrenten wäre angebracht.

Womöglich läuft es nach der Wahl mit der Rente einfach nur so weiter wie bisher. Dann sinkt in den nächsten Jahren das Rentenniveau, die Beiträge steigen dennoch wegen der Demografie. Die Rentenkasse braucht mehr Zuschüsse aus Steuermitteln. Und immer noch wagt es keine Partei, Verteilungsfragen nicht nur zwischen den Generationen, sondern auch innerhalb der Generation der Älteren anzusprechen. Innerhalb der Generation der Alten wachsen die Ungleichheiten, wie der Altersbericht der Bundesregierung feststellte.

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