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Ein Stochern im Ungewissen

Sogenannte Autoantikörper sollen Long Covid mitverursachen, glauben Wissenschaftler*innen. Nun suchen sie nach Wegen, diese zu zerstören, zu neutralisieren oder zu verhindern, dass sie überhaupt entstehen

Wenn die Behandlung von Long Covid doch bloß so einfach wäre wie ein Corona-Schnelltest Foto: Steffen Oliver Riese, aus dem Bildband „Call it Corona“, Edition Bildperlen, 2023

Von Martin Rücker

Zwei Tierversuche nähren die Hoffnung, das Rätsel um die Krankheitsmechanismen von Long Covid zu lösen. Vor einigen Monaten hatten zunächst Wissenschaftler aus Amsterdam Autoantikörper aus dem Blut von Patienten auf Mäuse übertragen. Kurz darauf veröffentlichten US-Forscher ein ganz ähnliches Experiment, ebenfalls als Preprint, also noch nicht unabhängig begutachtet. In beiden Studien lösten die Autoantikörper in den Mäusen dieselben Symptome aus wie bei Long-Covid-Patienten – etwa Konzentrationsmängel, Gleichgewichtsprobleme oder ein erhöhtes Schmerzempfinden.

Autoantikörper sind fehlgeleitete Proteinstrukturen, die sich gegen körpereigenes Gewebe richten. Bei Autoimmunerkrankungen wie Multipler Sklerose spielen sie eine große Rolle, und auch als Ursache für einen Teil der Long-Covid-Beschwerden sind sie im Gespräch. Die Mäusestudien stützen diese Hypothese – und die wissenschaftlich dominante Auffassung, dass postvirale Syndrome organisch und nicht psychisch bedingt sind.

Für Carmen Scheibenbogen, Professorin für Immunologie an der Berliner Charité, sind die Studien „richtungsweisend“. Scheibenbogen leitet die Nationale Klinische Studiengruppe, einen Verbund von Universitäten, der Therapien für Betroffene von Long Covid und der Multisystemerkrankung ME/CFS entwickeln soll. Mindestens 2,4 Millionen Menschen in Deutschland sollen von Long Covid betroffen sein.

Ein Therapieansatz ist es, die aggressiven Autoantikörper unschädlich zu machen. Positive Resultate zeigte eine Vorstudie mit Menschen, die nach einer Coronainfektion ME/CFS entwickelten. Ihnen wurde per Immunadsorption – einer Blutfiltration – Autoantikörper entfernt. Bei 14 der 20 Teilnehmer verbesserte sich so der Zustand deutlich. Allerdings fehlte der Studie eine Kon­trollgruppe. Belastbare Ergebnisse wird daher erst eine kontrollierte Folgestudie liefern. Scheibenbogens Team will sie Ende des Jahres vorlegen.

Wenig zurückhaltend hatte bereits im Sommer 2021 die Uniklinik Erlangen erfolgreiche Heilversuche mit einem neuen Wirkstoff öffentlich gemacht und gewaltige Hoffnungen unter Betroffenen ausgelöst: Das DNA-Fragment BC007 sollte schädliche Autoantikörper nicht entfernen, sondern neutralisieren. Im November 2024 aber räumte der Entwickler, das Start-up Berlin Cures, sein Scheitern auf dem Weg zur Medikamentenzulassung ein. In seiner klinischen Studie hatten Long-Covid-Patienten mit BC007 keinen stärkeren Effekt erzielt als mit einem Placebo.

Die Daten sind bisher nicht publiziert. Beteiligte sahen jedoch große Mängel am Studiendesign, zudem könnte die fast irrationale Erwartungshaltung den Placebo-Effekt in die Höhe getrieben und die Ergebnisse verzerrt haben. Ob BC007 wirkt, lässt sich abschließend wohl noch gar nicht sagen. Der Weg zu einer Zulassung aber scheint erst einmal verbaut.

Neben der Immunadsorption setzt die Nationale Klinische Studiengruppe auf Medikamente, die bereits für andere Erkrankungen zugelassen sind – etwa solche, die bereits die Produktion von Autoantikörpern verhindern. Vor Weihnachten hatte das Bundesforschungsministerium jedoch eine in Aussicht gestellte Förderung für eine Studie zurückgezogen. Bei einem Teil der Long-Covid-Fälle vermutet man andere Auslöser wie anhaltende Entzündungen – hochdosiertes Cortison soll nun getestet werden. Weitere Studien laufen mit einem durchblutungsfördernden Medikament und der Sauerstoffhochdruckbehandlung.

Wie in der Therapieforschung verhält es sich bei der Versorgung der Betroffenen. Es gibt viele kleine Schritte, während die ganz großen Sprünge fehlen. So sind ärztliche Hausbesuche für bettlägerige Pa­ti­en­t:in­nen weiterhin eher die Ausnahme als die Regel. Dafür setzt sich in den ärztlichen Empfehlungen, etwa in der Leitlinie für die Long-Covid-Reha und in der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses, durch, wie wichtig ein Beachten der Post-Exertionellen Malaise ist. Bei dem Symptom, das vor allem ME/CFS-Erkrankte betrifft, führt ein Überschreiten der individuellen Belastungsgrenze zu einer teils erheblichen und anhaltenden Zustandsverschlechterung. Je nach Ausprägung bedeutet das: Die sonst gängigen, aktivierenden Trainings können sogar schaden.

Was sich medikamentös machen lässt, fasste im September eine von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach einberufene Expertengruppe erstmals zusammen. Auf 27 Seiten enthält ihr „Therapiekompass“ Arzneimittel, die Arztpraxen bei bestimmten Symptomen bereits heute auf Kassenrezept verschreiben dürfen. Es handelt sich ausnahmslos um lindernde, nicht um heilende Ansätze.

Noch auf sich warten lässt die längst angekündigte „Off-Label-Liste“. Auf ihr sollen Medikamente stehen, die sich bei Long-Covid-Heilversuchen als hilfreich erwiesen haben, die bisher aber nur für andere Krankheiten zulässig sind. Künftig sollen dennoch Krankenkassen dafür aufkommen. Österreich ist da schon weiter. Eine Liste, welche Off-Label-Medikamente die Gesundheitskasse für Long-Covid-Betroffene bezahlt, liegt seit diesem Januar vor.

Quelle: AOK

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