: „Taylor Swift ist nie ein Hype gewesen“
Aus dem Feuilleton wird über Massenphänome wie Taylor Swift immer wieder geklagt: Was so vielen Menschen gefällt, könne keine gute Kunst sein. Mumpitz!, meint Popkulturforscher Jörn Glasenapp. Er bringt das Taylorverse zum taz lab.
Interview Julian von Bülow
taz: Herr Glasenapp, was lief in letzter Zeit gut, womit müssen wir weitermachen?
Jörn Glasenapp: Als Popmusikforscher muss ich sagen: Es läuft gerade sehr gut mit weiblichen Popstars. 2024 waren die diskursprägenden Alben der Popmusik wahrscheinlich zu 80 Prozent Alben von Frauen. Es setzt sich derzeitig etwas massiv durch, das sich schon seit Jahren immer deutlicher abgezeichnet hat.
Jetzt ätzen einige mit Adornos Kulturindustrie-Verständnis: Weil die erfolgreich sind, hören sie alle, also gehen sie noch viraler. Erfolg und Qualität würden sich da voneinander lösen.
Erst mal müssen die Künstler*innen ja erfolgreich werden. Die Kulturindustrie ist möglicherweise dazu fähig, eine Künstlerin für ein Album hochzujazzen. Aber die Populärkulturforschung weiß, dass letztlich nur eines von zehn Produkten beim Publikum ankommt. Und seien Sie sicher: Die Kulturindustrie will alles verkaufen, schafft es aber nicht.
Auch Taylor Swift geht mehrfach auf Tiktok viral, steht in den Charts ganz oben. Ist Swift ein Beispiel im Sinne Adornos These?
Bei Taylor Swift sprechen wir mittlerweile von elf Platten, die sie veröffentlicht hat. Ich weigere mich aufs Entschiedenste, gemäß Adorno zu sagen: Seit 20 Jahren irren sich Millionen von Menschen weltweit. Nennen Sie mir einen einzigen im Radio laufenden Evergreen, wie zum Beispiel „Yesterday“ von den Beatles oder „Enjoy the Silence“ von Depeche Mode, der objektiv miserabel ist. Adorno in allen Ehren, aber diese verächtliche Haltung sowohl gegenüber den Machern von Populärkultur als auch deren Konsumenten teile ich nicht. In der Popkulturforschung kann man, was Fantum anbelangt, nicht mehr mit Adorno argumentieren.
Wieso nicht?
Adorno ist ein schwarzsehender Verächter des Populären und als solcher ein Untoter des Feuilletons und seiner Kommentarspalten. Immer wieder wird seine These „Alles nur Kommerz, alles nur standardisiert, alles nur Schrott“ aus der Mottenkiste geholt. Das ist natürlich die leichteste Geste der Kritik. Man stellt sich hin und sagt: „Das ist alles nur auf Kommerz ausgerichtet und von der Kulturindustrie hochgejazzt.“ Man nimmt eine kritische Position ein, aber eine arg wohlfeile und simple.
In Bamberg bieten Sie an der Universität ein Seminar zu Taylor Swift an. Was ist an ihr so faszinierend?
Swift liefert Qualität in Kontinuität! Taylor Swift mit dem Begriff ‚Hype‘ zu verbinden, ist daher völlig unzutreffend. Sie ist seit 2006 eine Millionensellerin. Ihr erstes Album wurde bereits sieben Millionen mal verkauft und ist verdammt gut. Selbst der eher konservative, rockistische Rolling Stone hält es für eines der besten Debüts aller Zeiten. Sie ist seit zwei Jahrzehnten im Geschäft und wandelt sich fortwährend, ohne ihre „Handschrift“ aufzugeben. Sie ist eine hervorragende Geschäftsfrau, die die bestehenden Regeln des Business nie akzeptiert hat. Hinzu kommt, dass sie die Wünsche und Bedürfnisse ihrer Fans bestens kennt.
Wie gelingt ihr das?
Jörn Glasenapp Der Popkulturprofessor hat an der Universität Bamberg den Lehrstuhl für Literatur und Medien inne.
Seit Beginn ihrer Karriere hat sie Social Media als Tool der Fanbindung verwendet. Sie kennt ihre Kund*innen bestens und weiß, was für sie erfolgversprechend ist. Den Kundenstamm zu kennen, ist für jedes Unternehmen das Nonplusultra.
Swift hat sich eine sehr loyale Fangemeinschaft aufgebaut. Was macht die Swifties besonders?
Fan-Communities sind immer Wohlfühlzonen. Meinungsdifferenzen gibt es höchstens bei Fragen à la „Welches ist ihr bestes Album?“ Die Fan-Community von Taylor Swift hat eine starke Inklusivität. Das merkt man besonders auf den Konzerten. Diversität, Body Positivity und Weiblichkeit sind groß geschrieben. Dafür steht das Taylorverse ein, und das in Zeiten, in denen hypermaskuline Machomänner wie Putin und Trump die Welt in Atem halten. Dass die Fan-Community mit den Freundschaftsbändern ein Symbol gefunden hat, diese Inklusivität zum Ausdruck zu bringen, ist durchaus bezeichnend.
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