: Das Recht, den Propheten zu schmähen
Zehn Jahre nach dem Attentat auf „Charlie Hebdo“: Im Wilhelm-Busch-Museum in Hannover fragen Zeichner*innen nach den Folgen für die Freiheit der Kunst
Von Nadine Conti
Da ist diese Zeichnung von Coco gleich am Beginn der Ausstellung. Ein Männlein mit nacktem Arsch, Klopapier in der Hand, schreit: „Ich habe keine Angst“ – während es sich offensichtlich einmacht. Denn natürlich hatte sie Angst: Coco, das war die Zeichnerin, die damals den Brüdern Kouachi im Treppenhaus begegnete. Die mit vorgehaltenen Kalaschnikows gezwungen wurde, den Türcode einzugeben. Die den Attentätern also Zugang zu den Redaktionsräumen von Charlie Hebdo verschaffte, in denen ihre Kolleg*innen dann niedergemetzelt wurden. Weil den beiden islamistischen Attentätern die Mohammed-Karikaturen missfielen, die das Satiremagazin veröffentlicht hatte, nachdem sie schon in Dänemark für Aufruhr gesorgt hatten.
Cocos Zeichnung stammt von 2015 und gehört damit zu den Älteren unter den 28 Bildern, die das Wilhelm-Busch-Museum in Hannover jetzt zeigt, zehn Jahre nach dem Anschlag und der Solidarisierung unter dem Slogan „Je suis Charlie“. Auch spricht man von einer „künstlerischen Intervention“ – was vor allem heißt, dass die Werke nun in der normalen Dauerausstellung verteilt sind.
Gleich fünf Häuser in Deutschland gedenken auf diese Weise des Anschlags, dem zwölf Personen zum Opfer fielen: Neben dem Wilhelm-Busch-Museum auch das Caricatura-Museum Frankfurt und die Caricatura-Galerie Kassel, die Ludwiggalerie Schloss Oberhausen und der „schauraum: comic + cartoon“ in Dortmund. Dazu haben namhafte zeitgenössische Künstler*innen Cartoons, Karikaturen und Eindrücke zum Terroranschlag und zum Thema Kunstfreiheit eingesandt, teils sogar eigens dafür geschaffen.
Sie sollen den Diskurs zur Freiheit der Kunst wiederbeleben. Der eben nicht nur historisch oder kulturalistisch geführt werden kann, sondern – angesichts von Rechtsruck und neuen Empfindlichkeiten – längst wieder mitten in modernen, europäischen Gesellschaften geführt werden muss, die vielleicht schon dachten, sie wären ihm entwachsen. Herausgekommen ist dabei eine wilde Mischung aus Beiträgen unterschiedlichster Spiel- und Tonarten. Da sind die klugen, nachdenklichen Beiträge einer Ruth Hebler, die etwa mit ihrem „Karikaturmeter“ dazu einlädt, sich zu überlegen, wo man sich selbst auf dem Spektrum der Meinungsfreiheit bewegt – zwischen harmlosem Katzencontent und zensiertem Propheten. Oder unter der Überschrift „Humor ist eine ernste Sache“ mit zwei Dutzend Denkblasen über dem Kopf der Zeichnerin vorführt, wie die Schere im Kopf schneidet: Versteht man das, so wie ich es meine? Lachen hier die Falschen? Auf den Shitstorm habe ich keinen Bock! Ist es das wert?
Ausstellung „Künstlerische Intervention – Die Freiheit der Kunst – Zehn Jahre nach ‚Je suis Charlie‘“: bis 26. 1., Wilhelm-Busch-Museum Hannover
Comic-Salon „Charlie Hebdo – Wie geht es weiter?“ mit Katinka Kornacker: Fr, 24. 1., 18 Uhr
Zu sehen ist auch ein Bild ihres Schreib- beziehungsweise Zeichentisches, neben dem seit zehn Jahren der aus der Zeitung ausgeschnittene Schriftzug „Je suis Charlie“ vor sich hin gilbt. Ein Schriftzug, der damals überall war, auf Social-Media-Profilen, Medienbeiträgen, Demoplakaten. Wie eine überwältigende Solidarität, die aber auch schnell wieder Risse bekam: Bei der Frage, wer hier jetzt versucht, politisches Kapital aus dem Vorgang zu schlagen oder sich lieber wegduckt.
Nicht alle Beiträge haben eine solche emotionale Wucht. Manche sind eher böse und spitz, beispielsweise Til Mettes „Ich bin auch Charlie“-Mensch, der lieber eine Maske der Peanuts-Figur Charlie Brown trägt statt der Prophetenkarikatur. Oder Oliver Ottitschs Bericht von der Caricatura Islamabad, wo jedes Jahr wieder die frechsten Cartoonisten gehängt werden.
Manche Beiträge sind auch ein bisschen plump oder schlicht weit weg vom Thema: Brösel schickt irgendwas mit Heiligen Drei Königen, Bettina Bexte zeigt bewaffnete Grundschüler in Texas und Nadja Menze stellt eine Kopftuchträgerin, die einen „emanzipierten Islam“ beansprucht, neben einen Wähler, der das AfD-Logo für ein Symbol von „humanem Rassismus“ hält. Aber so war und ist ja auch Charlie Hebdo: manchmal plump, manchmal vulgär, immer streitbar.
Davon – und vom Weitermachen – erzählen auch die Graphic Novels der überlebenden Redakteure Luz („Wir waren Charlie“) und Meurisse („Die Leichtigkeit“): Sie sind in der Ausstellung zu sehen, und ihnen ist am 24. Januar ein begleitender Vortrag gewidmet.
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