: Zähmung der widerspenstigen Wurst
Der in New York lebende Hans Haacke sprengte mit provozierenden Interventionen früher oft den Kunstbetrieb. Eine Retrospektive in der Frankfurter Schirn hegt seine politische Konzeptkunst durch Historisierung allzu sehr ein
Von Luise Mörke
„Die Institutionskritik ist tot, lang lebe die Institutionskritik!“ scheint sich die Kunsthalle Schirn auf die Fahnen geschrieben zu haben und erhebt damit den Revolutionär erst zum König, bevor sie ihn einbalsamiert ins Mausoleum verbannt. Solch kaustische Gedanken kamen mir zumindest in den Sinn, als ich nach dem Besuch der Hans-Haacke-Retrospektive vor der Liste illustrer Sponsorenfirmen im Museumsfoyer saß.
Aber der Reihe nach: Haacke, geboren 1936 in Köln und seit 1965 in New York lebend, ist zweifellos einer der wichtigsten Gegenwartskünstler, denn mit Haacke entwickelt die Kunst eine Kritik ihrer eigenen systemischen Bedingungen. Die Schirn feiert ihn gar als „Legende der politischen Konzeptkunst“.
Den Ausstellungsbesucher*innen begegnet Haacke zunächst als Urheber kinetischer Skulpturen, die sich der Formen des amerikanischen Minimalismus bedienen, dessen Tendenz zur erhabenen Objekthaftigkeit aber aufbrechen. So zum Beispiel der „Große Kondensationswürfel“ von 1963 bis 1967 aus Plexiglas, in dessen Innern eine kleine Menge Wasser fortwährend ihren Aggregatzustand ändert. Der Rhythmus von Kondensation und Verdunstung sowie das Muster der Laufspuren wandeln sich mit Lichteinfall und Raumklima, werden also auch von der eigenen Anwesenheit beeinflusst. Man beobachtet demnach einen im Vakuum stattfindenden Prozess, auf den man als Außenstehende:r dennoch eine Wirkung hat – eine pointierte Metapher für den kritischen Standpunkt, den Haacke in späteren Arbeiten einnimmt.
In einem schmalen Nebenraum spielt der selten gezeigte Film „Selbstporträt eines deutschen Künstlers in New York“ aus dem Jahr 1969, der Haacke und eine Gesprächspartnerin auf dem Weg von Manhattan bis zum Strand von Coney Island begleitet. Aufnahmen von der U-Bahn, dem geschäftigen Treiben in einer Metzgerei und Hotdog essenden Ausflügler*innen wechseln sich mit Close-ups von Haackes Skulpturen ab, in denen Wasser durch durchsichtige Rohre fließt oder ein weißer Ballon im künstlich erzeugten Luftstrom tanzt. In der Gegenüberstellung von chaotischer Lebendigkeit und kontrolliertem System streben beide Pole aufeinander zu, als sei nicht nur das Straßennetz, sondern auch der Wurstgenuss Teil eines größeren Gefüges.
Haackes Skulpturen in diesem städtischen Kontext zu sehen, schärft den Blick auf sein Werk der 1960er-Jahre auf erhellende wie humorvolle Weise. Dass die Schirn den Film dennoch in einer kleinen Kammer und von den Skulpturen isoliert zeigt, ist beispielhaft für den Hang der Kuration, seine Arbeiten einfalls- und kontextlos aneinanderzureihen. Zum Beispiel erfährt man so gut wie nichts über seine Weggefährt*innen, Lehrer*innen und Förder*innen, was vor allem in Bezug auf Verbindungen zu westdeutschen Kunstbewegungen wie ZERO von Interesse gewesen wäre.
In den folgenden Räumen sind vor allem Haackes institutionskritische Arbeiten zu sehen. Die 1972 entstandene „Rheinwasseraufbereitungsanlage“ ist das Scharnier, das sein Interesse an natürlichen Systemen mit der politischen Stoßrichtung seiner späteren Interventionen verbindet. Für eine Ausstellung in Krefeld hatte Haacke Strategien entwickelt, um die Verschmutzung von Flusswasser nicht nur sichtbar zu machen, sondern auch zu verbessern.
Fragwürdige Umstände arbeitet er auch in „Shapolsky et al. Manhattan-Immobilienbesitz – Ein gesellschaftliches Realzeitsystem, Stand 1.5.1971“ heraus, eine nüchterne Dokumentation über Geldwäschepraktiken eines Immobilienunternehmers. Sie war einst der Grund für die Absage einer geplanten Einzelausstellung im New Yorker Guggenheim Museum. Wie auch in späteren Werken verweigerte Haacke sich hier allzu großer ästhetischer Raffinesse, als wolle er dem geldgesteuerten System „Kunst“ eine peinliche Blöße geben, indem er nichts verschleiert. Diese Unmissverständlichkeit mag man ihm zum Vorwurf machen. Allerdings steckt genau darin die Aufmüpfigkeit, mit der Haacke die Institutionen des Kunstsystems im Lauf seiner Karriere immer wieder in die Verteidigungshaltung der Entlarvten gebracht hat.
Und komisch ist er dabei auch: „Der Pralinenmeister“ von 1981 widmet sich auf goldgeränderten Postern dem Kölner Unternehmerpaar Peter und Irene Ludwig, Namensgeber*innen des Museums Ludwig, die ihre Kunstsammlung mit Einnahmen aus der Produktion von Schogetten und Aero-Schokolade finanzierten. Die süßen Freuden der Wirtschaftswunderjahre in der Bundesrepublik stehen also in unmittelbarer Verbindung zur größten europäischen Sammlung mondäner Pop-Art.
In der Schirn entfalten sich diese kritischen Einschnitte allerdings einzig in der Vergangenheit. Der berüchtigte „MoMa Poll“ von 1970, der Ausstellungsbesucher*innen nach ihrer Meinung zum republikanischen Gouverneur und Museumspatron Nelson Rockefeller fragte, erfährt jetzt als „Frankfurt Poll“ eine Reinkarnation, nun allerdings mit zahmen Fragen zur Demografie und politischen Haltung der Museumsbesucher*innen.
Sicherlich ist die Lage mittlerweile eine andere, und Haackes ehemals von den Museen abgelehnte Arbeiten sind nunmehr in deren Besitz. Gerade vor diesem Hintergrund muss man von einer Retrospektive allerdings erwarten, die zukunftsweisenden Möglichkeiten eines Lebenswerks offenzuhalten, statt dessen Sprengkraft zu zähmen, indem man die darin angestoßenen Prozesse zu Artefakten macht.
Hans Haacke: Retrospektive. Schirn Kunsthalle, Frankfurt am Main, bis 9. Februar. Katalog: 49,90 Euro
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