: Putschisten und der Preis für den Sack Hirse
MALI Ein paar hundert Kilometer von der Hauptstadt entfernt ist der Putsch etwas, was im Fernsehen stattfindet. Viele Menschen plagen ganz andere Sorgen. Denn ungeachtet der politischen Entwicklung in Bamako geht die Hungerkrise im Land weiter
AUS SEVARÉ, MALI KATRIN GÄNSLER
So langsam wird es auch in anderen Teilen Malis das Thema schlechthin: Das Militär hat geputscht, und der gestürzte Präsident Amadou Toumani Touré – häufig wird er nur ATT genannt – soll sich irgendwo versteckt halten. Am Donnerstagabend ließ Amadou Konaré, Führer des neu gebildeten Nationalkomitees, in dem sich die Soldaten zusammengetan haben, verkünden: ATT geht es gut. Allerdings sagte er nicht, ob die Soldaten den 63-Jährigen bereits haben oder zumindest wissen, wo er sich befindet. Genau das heizt die Spekulationen in Mali kräftig an.
Auch in der kleinen Bar, die zur namenlosen Auberge in Sevaré gehört und an der Straße gen Norden nach Timbuktu liegt. Auf beiden Seiten des Raumes stehen ein paar Holzstühle und Tische an der Wand. Das Neonlicht ist schwach und flackert ungemütlich. Über der Bar läuft der Fernseher. Ein paar Männer stehen am Tresen und sind extra deshalb gekommen – und wegen der Nachrichten aus dem knapp 500 Kilometer Luftlinie entfernten Bamako. Auch Paul Dolo hat sich gerade ein kleines Bier bestellt und schaut gebannt auf den Bildschirm, auf dem ein paar Soldaten zu sehen sind. Er schüttelt den Kopf. Einverstanden ist er nicht mit dem, was gerade in Bamako geschieht.
„So ein Putsch ist doch nie gut. So etwas richtet sich immer gegen Zivilisten, die mit der ganzen Sache nichts zu tun haben.“ Von Plünderungen habe er schon gehört und von Schusswechseln. Mittlerweile beschreiben Augenzeugen die Lage in Bamako wieder als einigermaßen ruhig. Verschiedenen Angaben zufolge hat es einen Toten und 40 Verletzte gegeben. Das Nationalkomitee hat eine Ausgangssperre verhängt und alle Grenzen dicht gemacht. Dolo hat keine Angst. „Bamako ist einfach weit weg. Hier wird uns schon nichts passieren“, sagt er und nimmt einen kräftigen Schluck.
Es hat ein bisschen gedauert, bis die Nachrichten überhaupt durchgesickert sind. Am Mittwochabend besetzten Soldaten den Präsidentenpalast, danach Staatsfernsehen und Staatsradio und erklärten den Sturz ATTs. Doch im Moment haben viele Menschen in der Region, die einst das beliebteste Touristenziel des Landes war, ganz andere Sorgen. In Wadouba, einem kleinen Dorf gut eine Autostunde von Bandiagara entfernt, steht Moussa Ouologeum in der Sonne.
Er ist ein hagerer Mann und der Erste, der am Donnerstagmorgen seinen Sack Hirse entgegennimmt. 7.500 Cefa – gut 11 Euro – bezahlt er dafür. Möglich macht es ein Projekt der Welthungerhilfe zur Bekämpfung der Nahrungsmittelkrise im Sahel. Allein in Mali sind 1,8 Millionen der rund 14 Millionen Einwohner akut von Ernteausfällen betroffen. Bis zur nächsten Ernte könnten es 5 Millionen Menschen sein. Moussa Ouologuem ist froh über die Unterstützung. „Wir sind 21 in meiner Familie“, sagt er und schaut sich den 50-Kilo-Sack Hirse an. Vermutlich wird dieser gerade mal drei Tage lang reichen. Doch was passiert, wenn der Sack leer ist? Das ist seine große Sorge, nicht das, was gerade in Bamako geschieht. „Ich habe es heute Morgen aus dem Radio erfahren. Aber äußern kann ich mich eigentlich nicht dazu“, sagt Moussa Ouologuem und packt seinen Sack auf den Eselkarren, den er sich mit einem Nachbarn teilt.
Für den Familienvater wird sich durch einen Putsch erst einmal nichts ändern. Dennoch könnte er eine Art Befreiung sein. ATT wäre, auch wenn die Soldaten nicht die Macht übernommen hätten, nur noch fünf Wochen an der Macht geblieben. Denn für den 29. April waren Präsidentschaftswahlen geplant. Nach zehn Jahren im Amt hatte er vor einigen Monaten erklärt, auf eine erneute Kandidatur zu verzichten.
Doch nun könnte endlich Bewegung in die Tuareg-Rebellion im Norden kommen, die als Auslöser des Putsches gilt. Seit Mitte Januar hat die Rebellenarmee der Tuareg, die MNLA (Nationale Befreiungsbewegung Azawad), weite Teile des Nordens von Mali eingenommen. Mittlerweile sollen knapp 200.000 Menschen auf der Flucht sein.
Angst bereitet auch der zunehmende Einfluss von „Al Qaida im Islamischen Maghreb“. Für die malische Armee ist diese Rebellion ein aussichtsloser Kampf gewesen, den die schlecht ausgerüsteten Soldaten letztendlich nicht mehr weiterkämpfen wollten.
Plötzlich mahnt die Kellnerin in der Auberge-Bar zur Eile. „Bitte schnell austrinken“, ruft sie. Irgendein Gerücht über Soldaten in Sevaré ist im Umlauf. Mehr weiß sie nicht, scheucht aber vorsichtshalber alle Kunden auf. Plötzlich ist der Putsch da.