: Wenn die Sonne ausbricht
Alle 11 Jahre erreicht die Sonnenaktivität ihren Höhepunkt. Das macht schöne Schauspiele am Himmel – kann aber auch für Probleme auf der Erde sorgen
Von Svenja Bergt
Grüne, türkisfarbene, rot-gelbe oder blau-lila Lichter, die über den Himmel ziehen wie dicke leuchtende Nebelschwaden – im vergangenen Jahr waren Polarlichter in vielen Regionen der Welt ein beliebtes Fotomotiv. Und es ist davon auszugehen, dass die spektakulären Lichter auch in diesem Jahr noch einmal in Gegenden auftreten werden, die so gar nicht nah an den Polen liegen und in denen das Himmelsphänomen normalerweise nicht zu sehen ist.
Um zu verstehen, warum die Polarlichter gerade so weithin sichtbar sind, hilft ein Blick auf ihren Ursprung. Polarlichter entstehen, wenn energiegeladene Teilchen der Sonne auf das Magnetfeld der Erde prallen und in tiefere Schichten der Erdatmosphäre eindringen. Dort befinden sich unter anderem Stickstoff und Sauerstoffatome. Treffen die geladenen Teilchen auf diese Bestandteile, bringen sie diese zum Leuchten. Die Farbe des Lichts hängt davon ab, wie tief die Teilchen in die Atmosphäre eindringen. Gelangen die Teilchen nur in die oberen Schichten, also mehr als 300 Kilometer von der Erdoberfläche entfernt, erscheinen die Polarlichter rötlich. Bei etwa 100 Kilometern ist das typische Grün zu sehen.
Doch warum erscheinen gerade Polarlichter in Regionen, in denen das Phänomen normalerweise nicht auftritt? Die Erklärung liegt bei dem Stern im Zentrum unseres Sonnensystems. Denn die Häufigkeit und die weite Sichtung von Polarlichtern zeigt: Es ist gerade ordentlich etwas los auf der Sonne.
Die Sonne sendet ständig Strahlung und geladene Teilchen in den Weltraum. Sonnenwind heißt dieser Teilchenstrom. Ist er an einer Stelle ungewöhnlich stark, spricht man von einer Sonneneruption. Die dabei entstehenden Teilchen und die Strahlung bewegen sich durchs All und können die Erdatmosphäre treffen – ein Sonnensturm.
„Die Sonne ist derzeit außergewöhnlich aktiv, verglichen mit den letzten 20 Jahren“, sagt Sami K. Solanki. Er ist Professor für Astronomie und Direktor am Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung. „2024 und auch 2025 befindet sich die Sonne in einer Phase ihres Aktivitätsmaximums.“ Das heißt: Zahlreiche Sonnenflecken sind zu sehen – das sind dunkle Flecken, die auf Gebiete mit starken Magnetfeldern hinweisen –, aber vor allem gibt es viele und starke Sonneneruptionen. Ein Film des Max-Planck-Instituts zeigte vor drei Jahren erstmals, wie so eine Eruption aussieht: Aus der Entfernung ist die Sonne zu sehen, um sie herum das Schimmern der Korona. Das ist die aus Gas bestehende Umgebung der Sonne. Und dann, an einer Stelle, plötzlich, sieht es aus, als würde sich eine kleine Lichtblase aus der Korona lösen und ins Weltall ploppen. Als hätte der Stern eine Erkältung – nur dass statt Nasensekret hier Plasma ausgestoßen wird, das vor allem aus elektrisch geladenen Teilchen besteht.
Alle 11 Jahre ist die Aktivität besonders hoch. Warum? „Das ist eine Frage, die noch nicht restlos geklärt ist“, sagt Solanki. Nach aktuellem Wissensstand ist die Ursache folgende: Im Innern der Sonne gibt es eine Art Dynamo, der das Magnetfeld des Sterns beeinflusst – ähnlich wie der Geodynamo als Teil des Erdkerns das Magnetfeld der Erde bedingt. Doch der Dynamo der Sonne sei deutlich aktiver – daher die schnellen Zyklen von relativer Ruhe und starker Aktivität des Sonnenmagnetfelds. Die Hypothese sei auch daher plausibel, weil auch andere Sterne solche Zyklen zeigten.
Doch die elektrischen Teilchen gelangen nicht nur in die Erdatmosphäre und sorgen für spektakuläre Lichteffekte – sie beeinflussen auch technische Geräte. Besonders betroffen sind hier Satelliten. In ihnen steckt viel Elektronik. Die geladenen Teilchen von der Sonne können bei Satelliten Schaltkreise stören, im schlimmsten Fall für einen Kurzschluss sorgen.
Solanki nennt noch einen zweiten Faktor, der hier zum Tragen kommt: Die energiereiche Strahlung der Sonne heize die oberen Schichten der Erdatmosphäre deutlich auf. Diese dehne sich dadurch aus – und die dort befindlichen Satelliten würden abgebremst. So musste die US-Weltraumfirma SpaceX vor drei Jahren den Absturz von 40 der 49 Starlink-Satelliten, die sie an einem Februartag ins All geschossen hatte, vermelden. Die Satelliten stürzten ab und verglühten in der Erdatmosphäre. Dies geschah zwar drei Jahre vor dem Höhepunkt der Sonnenaktivität, aber der Zyklus funktioniert auch nicht wie ein Lichtschalter, der mal an und mal aus ist, sondern wie eine Welle.
Auch auf die Stromversorgung kann die Sonnenaktivität laut Solanki Einfluss haben. Gelangten die geladenen Teilchen ins Stromnetz, könnten sie Transformatoren lahmlegen. Das sei aber extrem selten. Polnähere Regionen sind von starker Sonnenaktivität besonders betroffen, da hier die Erdatmosphäre durchlässiger ist für die Teilchen.
Der letzte größere Störfall, an den sich der Wissenschaftler erinnert, begab sich im kanadischen Quebec Ende der 80er Jahre. Dort legten die Folgen eines Sonnensturms das komplette Stromnetz lahm, sechs Millionen Menschen waren von dem Ausfall betroffen, Krankenhäuser mussten sich mit Notstromaggregaten behelfen. In Großbritannien habe das Netz im vergangenen Mai einen starken Stromstoß abbekommen – es habe nicht viel gefehlt, das Netz dort lahmzulegen.
Das Problem dabei: „Die Vorhersage ist praktisch nicht existent“, sagt Solanki. Wann die nächste große Eruption auf der Sonne bevorsteht, das lasse sich nicht prognostizieren. Zwar seien Sonnenflecken ein erstes Warnzeichen – mehr aber auch nicht.
Die Vorhersage ist nicht die einzige Unwägbarkeit. Im Dezember hat ein internationales Team von Forscher:innen unter Leitung des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung ein Paper in der Fachzeitschrift Science veröffentlicht, dessen Inhalt gerade im Kontext der aktuellen Welle an Ausbrüchen der Sonne von besonderer Bedeutung erscheint.
Sami K. Solanki, Astronomieprofessor
Die Forscher:innen haben 56.450 sonnenähnliche Sterne untersucht. Das Ergebnis: Im Durchschnitt kommt es pro Stern etwa einmal alle hundert Jahre zu einem extremen Ausbruch – einem sogenannten Superflare. Der setze mehr Energie frei als Billionen Wasserstoffbomben. Im Vergleich zu einem solchen Superflare verblasse selbst die aktuelle Ausbruchswelle.
Könnte diese Beobachtung auch auf die Sonne zutreffen? „Ja“, sagt Solanki. „Das wäre für einige wichtige technische Systeme ein massiver Effekt.“ Nicht nur Satelliten, auch Strom- und Mobilfunknetze könnten dann merkbar von Störungen betroffen sein. Einer der heftigsten Sonnenstürme der vergangenen 200 Jahre geschah 1859. In der Folge brach in weiten Teilen Nordeuropas und Nordamerikas das Telegrafennetzwerk zusammen.
Vermeiden lassen sich Sonnenstürme nicht – aber besser vorhersagen und die Folgen damit abmildern. Schon aktuell schalten Satellitenbetreiber im besten Fall ihre Satelliten ab, wenn ein starker Sonnensturm bevorsteht. Die europäische Weltraumagentur ESA plant unter anderem eine neue Raumsonde, die von einem anderen Blickwinkel die Sonne beobachten und so entsprechende Prozesse früher registrieren soll als erdnahe Sonden. Die Sonde soll aber erst ab 2031 einsetzbar sein.
Für 2025 müssen sich also auch Polarlichtsuchende mit den aktuell eher vagen Prognosen behelfen – und mit dem Blick in den Himmel. Zur Herausforderung gehört dabei auch, Orte zu finden, die so dunkel sind, dass die Lichter richtig gut am Himmel leuchten. Wer optimale Bedingungen haben will, orientiert sich an der International Dark Sky Association. Die engagiert sich gegen Lichtverschmutzung und zertifiziert besonders dunkle Orte, die sich gut für die Beobachtung von Himmelsphänomenen eignen. In Deutschland sind unter anderem die Nordseeinseln Pellworm und Spiekeroog dabei sowie das brandenburgische Westhavelland.
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