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Schachgenie soll Abstieg von St. Pauli verhindern

Magnus Carlsen ist der derzeit beste Schachspieler der Welt und gibt jetzt sein Debüt für den FC St. Pauli in der Schach-Bundesliga. Er passt zum Image des Vereins

Alle wollen nur ihn sehen: Schachstar Magnus Carlsen spielt für den FC St. Pauli Foto: dpa/Markus Brandt

Von Franka Ferlemann

Im grauen FC-St.-Pauli-Hoodie, mit Jeans und weißen Sneakern betritt der Star des Tages den Raum: Schachgenie Magnus Carlsen. Lässig schlendert er zum Getränkekühlschrank, greift sich eine Flasche Wasser und setzt sich an seinen Platz. Heute sitzt er hinter den weißen Schachfiguren. Ihm gegenüber: sein Gegner Wei Yi, Weltranglisten-Achter aus China. Pünktlich um 10 Uhr beginnt der Wettkampf. Carlsen reibt sich die Augen, er wirkt etwas verschlafen.

Es ist das Debüt-Wochenende des Schachweltstars für den FC St. Pauli in der deutschen Schach-Bundesliga. An diesem Wochenende finden in Hamburg die fünfte und sechste Runde statt. Insgesamt besteht eine Saison aus 15 Runden, denn alle 15 Teams treten einmal gegeneinander an. Nachdem der FC St. Pauli am Samstag gegen den SG Solingen gewann, geht es am Sonntag gegen den Düsseldorfer SK.

Der 34-jährige Norweger Carlsen ist der derzeit weltbeste Schachspieler und das prominenteste Gesicht des Schachs. Von 2013 bis 2023 hielt er den Titel als Weltmeister. Im vergangenen Jahr trat er nicht mehr an, weil das klassische Schach ihn langweilte. Er spielt lieber Free Style Chess, eine kreativere Variante des Spiels, bei der die Anfangsaufstellung der Figuren zufällig erfolgt und die Eröffnungszüge erschwert werden.

Mit der Fide, dem internationalen Schachverband des Schachs hatte Carlsen sich zuletzt immer wieder angelegt. Zuletzt im Dezember. Da sorgte Carlsen mit seinem Outfit bei der Schnellschach-WM in New York für Aufregung. Er trat in Jeans an, ein Verstoß gegen die Kleiderordnung.

In Hamburg findet das Wettkampfwochenende im Brahms-Kontor statt. Die Räumlichkeit ist schick, aber klein. 20 Tickets wurden verkauft, mehr Be­su­che­r*in­nen passen auch nicht rein. 16 eng beieinander stehende Tische füllen den Raum, nummeriert von eins bis acht. Die stärksten Spieler sitzen an Tisch eins, entsprechend ihrer ELO-Wertung. Parallel zum Spiel des FC St. Pauli gegen den Düsseldorfer SK findet noch ein weiteres Spiel im selben Raum statt. Acht Spieler spielen jeweils parallel gegeneinander. Die Zuschauenden tummeln sich vor allem um den Tisch des Superstars.

Der Wettkampftag ist auf fünf Stunden angesetzt und im Spielsaal herrscht konzentrierte Stille. Zu hören ist nur das Umschalten der Schachuhren und das Klicken der Kulis, mit denen die Spieler ihre Züge notieren. Die ersten Züge gehen schnell. Nach ihren Spielzügen stehen die Schachspieler immer mal wieder auf, laufen durch den Raum und werfen einen Blick auf die Bretter der anderen Partien.

Der Andrang auf die Tickets übertraf bei Weitem die wenigen verfügbaren Plätze. „1.000 Tickets hätten wir locker verkaufen können“, sagt Hajo Kehr, Schach-Abteilungsleiter des FC St. Pauli. Normalerweise wird die Besetzung erst zwei Stunden vor Spielstart bekannt gegeben. Carlsen hatte man extra früh angekündigt. Im Online-Stream via Youtube und Instagram verfolgten rund 350/550 Zuschauende das Geschehen. Die Kamera ist auf Carlsen gerichtet.

Was aber brachte den Weltstar nun ausgerechnet zum Hamburger FC St. Pauli? Der Verein ist in dieser Saison das erste Mal in der Bundesliga vertreten und stand vor Carlsens Debüt auf einem Abstiegsplatz. Aber beim genaueren Hinsehen überrascht diese Entscheidung dann doch weniger. Einer der Sponsoren des FC St. Pauli ist die Weissenhaus Chess Academy. Deren Gründer Hans Eric Buettner stand über die Freestyle-Chess-WM bereits in engem Kontakt mit Carlsen.

Magnus Carlsens selbst begründet seine Entscheidung für den FC St. Pauli damit, dass der Verein Werte vertrete, die ihm wichtig seien. Er bezeichnete den Klub als „coolste Marke Deutschlands“. Die deutsche Schach-Bundesliga ist für ihn nicht neu. Schon als Kind war er für Baden-Baden angemeldet. In den vergangenen Jahren hat er jedoch nicht gespielt, weil er schlicht keine Zeit hatte und: „Sonntags um 10 Uhr schläft Carlsen noch“, grinst Hajo Kehr.

Dass er diesen Sonntag um 10 nicht mehr im Bett liegt, freut nicht nur die Verantwortlichen des FC St. Pauli und seine Teamplayer, sondern vor allem seine Fans. Zum Event gekommen sind Schach-Fans, FC-St.-Pauli-An­hän­ge­r*in­nen und vor allem Bewunderer des Superstars. Der zehnjährige Mats zum Beispiel, er ist seit Kurzem in der Schach-AG der Schule angemeldet und großer St.-Pauli-Fan. Ein älterer Herr erzählt, dass er die 99 Euro für das Ticket gern ausgegeben hat. „Das ist nun mal einmalig.“ Die Be­su­che­r:in­nen sind zum Teil extra für das Schachevent nach Hamburg angereist, viele tragen Merch vom FC St. Pauli.

„1.000 Tickets hätten wir locker verkaufen können“

Hajo Kehr, Schach-Abteilungs­leiter des FC St. Pauli

Unter den Besuchern ist auch der 16-jährige Noah Lentfer, der noch ein frei gewordenes Ticket ergattern konnte. Er will Carlsen sehen. Den Schach beschreibt er als zweitrangig. Er spielt auch selbst noch nicht lange, aber probiert, es nun zu lernen. Auch die Streams hat er zuvor online verfolgt. Fan ist Noah von Carlsen wegen seiner „coolen und selbstbewussten Personality“. „Dass er für Jeans auch mal eine Schach-WM blitzen lässt“, bewundert er. „Deshalb passt es auch so, dass Carlsen für den FC St. Pauli antritt“, findet er. „Er passt eben zum Verein und seinem Standing.“

Carlsen ist zwar der prominenteste, aber nicht der einzige Schachprofi der diesjährigen Saison. Seit 1980 gibt es die Schach-Bundesliga in der heutigen Form und sie gilt als stärkste Schachliga der Welt. „In dieser Saison sind 22 der 25 Weltspitzenspieler dabei. Aber auch Amateure sitzen vor den Brettern. Das ergibt eine bunte Mischung“, erzählt Markus Schäfer, Präsident der Schach-Bundesliga.

Magnus Carlsen hat an diesem Sonntag das Spiel mit einem Remis, dem Unentschieden im Schach, beendet. Seine Mannschaft verlor am Ende gegen den Düsseldorfer SK. Im März wird Carlsen eventuell wieder die Figuren für St. Pauli setzen – dann auch in einer größeren Location im Millerntor-Stadion und vermutlich wohl wieder in Jeans.

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