piwik no script img

Politologin Ingeborg Maus gestorbenDen Motorradhelm hatte sie im Büro

Die Politikwissenschaftlerin Ingeborg Maus betrieb Aufklärung der Demokratietheorie. Ziel von Politik war für sie, Gewalt einzudämmen. Ein Nachruf.

Die Politikwissenschaftlerin Ingeborg Maus (1937-2024) Foto: privat

Für Ingeborg Maus war der Gang der Demokratie im 20. Jahrhundert keine Fortschrittsgeschichte, sondern vielmehr die andauernde Entfremdung der Demokratie von sich selbst, der sie praktisch und theoretisch entgegenzuwirken versuchte. Mit der Erfahrung von Nationalsozialismus und Bombenkeller im Hintergrund analysierte sie im Geist der Kritischen Theorie, wie politische Exekutiven und Justiz sich verselbständigen und gesetzgebende Körperschaften entmachten. Anstelle der Demokratie droht die Refeudalisierung sozialer Verhältnisse im Sinne Max Webers und des frühen Habermas.

Als junge Mitarbeiterin der Politikwissenschaft in Frankfurt am Main hatte sie seit den späten 1960er Jahren demonstriert, wie Carl Schmitts Theorie das Rechtsdenken in der Bundesrepublik bis weit in die „bürgerliche Rechtstheorie“ prägte. In dieser Zeit hatte sie auch einen Motorradhelm im Büro, um für die Teilnahme an Demonstrationen gewappnet zu sein.

Für eine Wiederbelebung der demokratischen Tradition griff Maus weit zurück bis zu Immanuel Kant. Sie beschrieb die Malaise demokratischen Denkens in Deutschland als ein anhaltendes Unverständnis gegenüber den radikaldemokratischen Vorstellungen Kants und Rousseaus.

Gegen eine typisch deutsche obrigkeitsstaatliche Lesart, die Demokratie allein in Bürgerrechten verwirklicht sieht und in Opposition zu einer Bewegungslinken, die allein auf spontane Demokratie von unten setzt, entwarf Maus Demokratie als Zusammenwirken institutionalisierter und nichtinstitutionalisierter Partizipationsformen.

Lehre für die Bewusstseinsbildung

Anders als andere kritische Diagnosen nahm Maus dabei den Stand des Bewusstseins der wissenschaftlichen Ideologieproduzenten selbst in den Blick. Ihr Grundlagenwerk zu Kant von 1992 nannte sie folglich „Zur Aufklärung der Demokratietheorie“. Von 1992 bis 2003 wirkte sie als Professorin für Politische Theorie und Ideengeschichte an der Goethe-Universität Frankfurt aufopferungsvoll für die Bewusstseinsbildung von Studierenden und Kolleg:innen.

2011 versammelte sie ihre Schriften zur Volkssouveränität unter dem zurückhaltenden Titel „Elemente einer Demokratietheorie“. Diese Arbeiten wirkten wie die danach gesammelten Aufsätze zur internationalen Politik (2015) und zur Rechtstheorie (2018) stilbildend für die Demokratietheorie des 20. Jahrhunderts.

Ihre Spuren finden sich nicht nur im Werk von Jürgen Habermas, sondern bei all jenen, die die Verwirklichung der Demokratie in einer Ermächtigung der gesellschaftlichen Basis und einer Eindämmung der Willkür der „Staatsapparate“ sehen. Heute kann ihre Deutung der Volkssouveränität als Gegenmittel zu populistischen Aufladungen des Begriffs „Volk“ mit Ethnie und Kultur dienen.

rechtlich gebändigte Verhältnisse

Seit der Mitte der 1990er Jahre rückten für Maus Fragen der internationalen Politik ins Zentrum ihrer Kritik. Konsequent widersprach sie überpositiven Begründungen für humanitäre Interventionen und Demokratieexport. Die einmal entfesselten militärischen Dynamiken erschienen ihr unbeherrschbar, die freigesetzten moralaffinen Prozesse als eine grundsätzliche Gefährdung des Rechts.

Auch im Völkerrecht darf es keinen „ungerechten Feind“ geben, der als außerhalb des Rechts stehend begriffen wird. Dass gegen den Nationalsozialismus nur die militärische Intervention erfolgversprechend war, brachte sie nicht von einer Friedenspolitik ab, die Eskalation fürchtet und Recht hütet. Erstes Ziel einer solchen Politik ist, Gewalt einzudämmen. Das Mittel dazu sind Verhandlungen und vertragliche Vereinbarungen. Auch wenn diese die vorhandenen Machtasymmetrien nicht aufheben können, sind sie der Neubeginn rechtlich gebändigter Verhältnisse, die gegen alle Widerstände immer wieder neu begründet werden müssen.

­Ingeborg Maus starb am Sonnabend mit 87 Jahren in Frankfurt am Main.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!