piwik no script img

Der Esel war meistens der Dumme

Die Ausstellung „Einfach unentbehrlich“ im Neuen Museum in Berlin handelt vom Esel in der antiken Welt. Sie erzählt eine Geschichte von Ausbeutung, Gewalt – und ein bisschen Menschlichkeit

Eine Szene aus Luxor in Ägypten. Vielleicht sahen so Eselin und Fohlen aus, die dort ein Phasis von einem Stotoetis mietete? Die Ausstellung zum Esel in der Antike ist noch bis zum 4. Mai 2025 zu sehen Foto: Bernt Müller

Von Heike Holdinghausen

Bald hat er wieder seinen einen großen Auftritt im Jahr, der Esel, das alte Grautier. Darf vor der Krippe stehen und ein weiches, weißes Maul haben. Dabei können Esel auch anders. Auf einem Relief im Grab des Anch­mahor in der ägyptischen Begräbnisstätte Sakkara dreht sich ein Esel um und starrt mit gebleckten Zähnen und angelegten Ohren den Eseltreiber hinter sich an. Vor rund 4.300 Jahren in den Kalkstein gemeißelt, sieht dieser Esel noch immer bedrohlich aus, zumindest wehrhaft. Besser so: Im etwas älteren Grab des Ti am gleichen Ort, etwa 20 Kilometer südwestlich von Kairo am Nil gelegen, zeigt ein Relief einen Hirten, der mit einem Stock auf einen Esel einprügelt, ein anderer zieht ihm an Ohr und Vorderbein. Tierquälerei gehörte zur Hochkultur.

Zu sehen sind diese Fotografien alter Grabwände in der Ausstellung „Einfach unentbehrlich. Der Esel in der antiken Welt“ im Neuen Museum auf der Berliner Museumsinsel. Weil der Esel zwar nach Hund, Ziege, Schaf, Schwein und Rind, aber vor Pferd, Kamel und Dromedar domestiziert wurde – vielleicht vor fünf-, sechs- oder gar siebentausend Jahren –, spielte er im Alltag der Be­woh­ne­r:in­nen der alten Reiche Ägyptens und Mesopotamiens und auch in der späteren griechisch-römischen Zeit eine tragende Rolle. Also findet er sich auch in den Objekten dieser Epochen, die die Staatlichen Museen Berlin besitzen. Fotografien aus Gräbern, Tontafeln, kleine Terrakottafiguren, Papyri und Tontöpfe haben die Kuratoren aus den Depots von Ägyptischem und Vorderasiatischem Museum geholt, kleine Amulette, einen Eselsattel – kontrastiert mit Eselfotos aus der Jetztzeit. Wie heute war die Haltung der Menschen gegenüber dem Esel zwiespältig.

Eine kleine Tonfigur, getöpfert irgendwann zwischen 300 vor und 300 nach Christus in Ägypten, zeigt einen Esel, der zwei Tragekörbe auf seinem Rücken trägt, im Verhältnis riesig groß. Ein Spielzeug? Ein Kultobjekt? Das wissen wir nicht, nur, dass die Figur vom Alltag der Tiere berichtet. Geritten wurden sie in Ägypten eher nicht. Esel schleppten schwere Lasten, Säcke mit Getreide, Olivenöl, Textilien, Bitumen, Holz, Edelsteine, Salz oder Metalle. Die Karawanen, die zu Beginn des 2. Jahrtausends in dem weit verzweigten Handelsnetz zwischen Mesopotamien, Anatolien und Ostsyrien Rohstoffe und Waren transportierten, konnten bis zu 3.000 Esel und Maultiere umfassen, heißt es in dem Katalog zur Ausstellung. Die Tiere bildeten „das Rückgrat des internationalen Handels und hatten maßgeblichen Einfluss auf das wirtschaftliche Wachstum“.

Etwa 20 Prozent seines eigenen Gewichts kann ein Esel tragen. Wie schwer das ist, können Be­su­che­r:in­nen der Ausstellung auf einem runden, grünen Podest ausprobieren. In der Mitte ist eine Ziehwaage angekettet. Wer sein Gewicht kennt, kann so lange ziehen, bis 20 Prozent erreicht sind. Einmal Schwung nehmen und ziehen ist leicht – das Gewicht ein paar Minuten halten hingegen schwer. Die Esel der Karawanen trugen ihre Krüge und Säcke Wochen und Monate durch die trockene Landschaft, bis zu 30 Kilometer am Tag. Leicht hatten sie es nicht, die Esel, vor allem, weil sie regelmäßig überladen wurden. An aufgefundenen Esel­skeletten zeigten sich deutliche Überlastungsschäden.

Versteht sich, dass ein solch kräftiges Nutztier teuer war. Zwei Tontafeln der Ausstellung, gebrannt zirka 2.600 bis 2.500 vor Christus in Mesopotamien, zeigen das. Die Tafeln entstammen der Buchhaltung der Tempelverwaltung der antiken Stadt Schuruppak, im heutigen Irak gelegen. Die Verwaltung nannte 320 Esel ihr Eigen, die sie gegen Geld oder Arbeitsleistungen an die Bauern der Stadt vermieteten. Eigene Esel konnten sich die Landwirte nicht leisten, spannten diese aber lieber vor ihre Pflüge als Rinder, weil sie leichter zu hüten und zu erziehen waren und sich im Zweifel sogar selbst gegen Raubtiere verteidigen konnten. Deshalb liehen sie die Tiere bei der Tempelverwaltung. Die Geschäftsbeziehungen wurden in Verträgen penibel verhandelt und dokumentiert.

Ein Papyrus aus dem ägyptischen Soknopaiou Nesos von 33 nach Christus berichtet von einem Stotoetis, der einem Phasis für sechs Monate eine weiße Eselin und ihr Fohlen vermietet. Phasis muss monatlich drei Drachmen zahlen sowie die Kosten für den Unterhalt der Eselin und alle anfallenden Steuern begleichen. Nach Ende der Mietzeit, besagt der Vertrag, müssen beide Tiere gesund, gut genährt und unbeschädigt an Stotoetis zurückgegeben werden. Der Wert der Eselin wird mit 120 Drachmen, der für ihr Fohlen mit 48 Drachmen angegeben. Das war viel Geld – ein Schwein etwa war schon für 20 Drachmen zu haben.

So wertvoll und nützlich die Esel waren, so schlecht war ihr Leumund. Neben anderen Tieren verliehen sie dem Wüstengott Seth Gestalt, einer zwielichtigen Figur, die Chaos und Verderben brachte, allerdings auch Schutzgott der Oasen war. Die Ausstellung zeigt verschiedene Skarabäen, Glück bringende kleine Amulette aus Stein in Form von Mistkäfern, die Bilder von Tieren tragen. Ein wenig Fantasie ist nötig, um in den ­Ritzungen Esel zu erkennen, denn auch andere Tiere hatten die zweifelhafte Ehre, den Chaos-Gott zu symbolisieren, Hunde, Antilopen oder Schweine etwa.

Die Tiere bildeten das Rückgrat des internationalen Handels

Dem Esel auf jeden Fall hat seine Gottesnähe nichts genutzt, im Gegenteil. „Die Jagd auf Wildesel hatte im Alten Ägypten auch eine religiöse Bedeutung“, schreiben die Ku­ra­to­r:in­nen im Ausstellungskatalog, „… ihre Tötung wurde mit der Beseitigung des Chaos gleichgesetzt.“ Mit einem Papyrus aus der Sammlung des Ägyptischen Museums quittiert der staatliche Jäger Dionysos der Stadtverwaltung, dass er von ihren Arbeitskräften bei der Eseljagd unterstützt worden war. Wie Wildpferde oder Wildrinder wurden Wildesel als große Pflanzenfresser unerbittlich gejagt. Als Nutztiere waren sie wichtig, als Konkurrenten um Land oder als Gefahr für die Nutztierherden hingegen wurden sie beseitigt.

Heute ist der afrikanische Wildesel, die Stammform aller Hausesel, akut vom Aussterben bedroht. Lebte er einst in weiten Teilen Nordafrikas, am Roten Meer und in Somalia, finden sich derzeit nur noch wenige Hundert Tiere in Äthiopien, Eritrea, dem Sudan und auch in Ägypten. Als Nutztier wird der Esel dort noch immer verwendet, wie in vielen Ländern des Globalen Südens.

Bei uns dient er als Freizeittier – und natürlich alle Jahre wieder als Schmuck der Weihnachtskrippe.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen