Schläge, Tritte, Folter und zwei Tote

Im US-Stützpunkt Bagram in Afghanistan wurden Gefangene regelmäßig schwer misshandelt, zwei starben an den Folgen. Die „New York Times“ enthüllt einen vertraulichen Untersuchungsbericht der US-Armee über die Vorgänge im Dezember 2002

„Es ging über 24 Stunden, und ich würde sagen, es waren über 100 Schläge“

VON SVEN HANSEN

Bei Schlägen auf die Waden schrie der Afghane Dilawar immer „Allah“ auf eine Art, die seine US-Wächter und Verhörspezialisten lustig fanden. Deshalb schlugen sie im US-Militärgefängnis Bagram 60 Kilometer nördlich von Kabul den 22-Jährigen Gefangenen immer wieder. „Jeder hörte ihn schreien und fand es lustig“, gab der Verhörspezialist Corey E. Jones später zu Protokoll. Über den vertraulichen, knapp 2.000 Seiten starken Untersuchungsbericht zum Tod von Dilawar und einem anderen Gefangenen berichtete gestern die New York Times. Sie erhielt eine Kopie aus ungenannter Quelle.

Der Bericht zeigt, dass ein krimineller Umgang mit Gefangenen alltäglich war und sadistische Wärter und Verhörspezialisten lange ungestraft foltern und misshandeln konnten. Einige von ihnen erlangten später bei dem durch Fotos belegten Folterskandal im Bagdader Gefängnis Abu Ghraib traurige Berühmtheit. Bei ihrem vorigen Einsatz in Bagram hatte es kaum Regeln für die Verhöre gegeben, außer dass Präsident George W. Bush erklärt hatte, die Genfer Konvention gelte bei der Bekämpfung von Terroristen nicht. Schlafentzug war in Bagram laut dem Bericht ebenso verbreitet wie physische Gewalt.

So sagte Verhörspezialist Jones zum Schlagen Dilawars zur Belustigung der Militärs: „Es ging über einen Zeitraum von 24 Stunden, und ich würde sagen, es waren über 100 Schläge.“ Dabei baumelte der in Ketten gefesselte schmächtige Afghane von der Zellendecke. Als Dilawar zum vierten Verhör geholt wurde und sich in eine schmerzhafte Position hocken sollte, um zum Reden gezwungen zu werden, versagte ihm der Körper. Die Verhörspezialistin wurde wütend, zog ihn am Bart hoch und trat ihm mehrfach in den Unterleib. Am Anfang habe er noch gedacht, es ging um ein Verhör, sagte der anwesende Dolmetscher Ahmad Ahmadzai. Doch dann habe es nur noch Tritte, Stöße und Schubse gegeben: „Es gab gar kein Verhör.“

Am nächsten Tag bat Dilawar um einen Arzt. Der wurde ihm verweigert. Stattdessen sollte er mit einer Kapuze über dem Kopf erneut in einer schmerzhaften Position verhört werden. Ihm versagten die Beine und wieder wurde er geschlagen. Als Hauptmann Christopher Younushonis später den Verhörraum betrat, war eine Wasserpfütze auf dem Boden, Dilawar hatte nasse Kleider, und der Verhörspezialist hielt den Afghanen an der Kapuze nach oben. Als Younushonis am nächsten Tag die ihn irritierende Beobachtung melden wollte, war Dilawar bereits tot. Er war der zweite in Bagram an den Folgen der Verhöre gestorbene Gefangene.

An Ketten gefesselt baumelte der schmächtige Afghane von der Zellendecke

Bis zum August 2004 wartete Younushonis vergeblich darauf, von der inzwischen eingeleiteten militärinternen Untersuchungskommission gehört zu werden. Dann bestand er selbst auf einer Anhörung und gab einen bis dahin vernachlässigten Aspekt zu Protokoll: „Die meisten von uns hielten Dilawar für unschuldig.“ Dilawar hatte als Taxifahrer gearbeitet, als er im ostafghanischen Khost an einem von den Kämpfern des Warlords Jan Baz Khan betriebenen Checkpoint mit drei Fahrgästen gefangen genommen und ans US-Militär übergeben wurde.

Für die zwei in dem Bericht untersuchten Todesfälle in Bagram werden laut New York Times 27 Militärs verantwortlich gemacht. Davon sind bisher erst sieben angeklagt worden, darunter vier in der vergangenen Woche. Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch (HRW) hatten aufgrund Besorgnis erregender Aussagen von Exgefangenen schon lange eine Untersuchung gefordert. US-Militärs wie Generalleutnant Daniel K. McNeill behaupteten stets, die in Bagram angewandten Verhörmethoden „stimmten mit generell akzeptierten Verhörtechniken“ überein.

Der Bericht widerlegt dies. Laut HRW starben bis April 2005 in Bagram neun Gefangene. In bisher vier Fällen spricht das US-Militär selbst von Mord oder Totschlag.