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Der ganz normale Wahnsinn

Die Fußball-WM der Männer soll 2034 in Saudi-Arabien statt­finden, und unser Autor fühlt: nichts. Wo ist nur die Wut geblieben?

So will Saudi-Arabien seine Fans sehen: Offizielle Pressefotos zeigen Fußballfans; die über die WM-Vergabe jubeln Foto: Saudi Arabia Football Association/Handout via reuters

Ein kurzes Achselzucken, ein spöttisches Lächeln, mehr war da nicht. Als die Meldung kam, die Fifa habe in einer Abnickveranstaltung entschieden, die Fußball-WM 2034 nach Saudi-Arabien zu vergeben, löste das so gut wie gar nichts in mir aus. Und das, obwohl ich diesen Sport liebe. Obwohl ich an keinem Fußballplatz, auf dem gekickt wird, an keiner Kneipe, in der Fußball läuft, vorbeigehen kann, ohne einen kurzen Blick auf das Spiel zu erhaschen.

Ich weiß noch, wie groß meine Empörung war, als der damalige Fifa-Präsident Sepp Blatter 2010 verkündete, die WM 2022 werde in Katar ausgetragen. Da war noch Wut in mir. Irgendetwas hat sich seither verschoben. Die Fifa, aber auch der DFB haben die Norm dessen, was im Sport und für die Verbände gelten sollte, so weit verrückt, dass mich und viele andere nichts mehr schocken kann.

Zum neuen Normal gehört, dass Fifa-Präsident Gianni Infantino schon lange mit dem saudischen Kronprinz Mohammed bin Salman rumkumpelt und sich als williger Helfer für dessen Strategie einspannen lässt, mit Sport und Entertainment über die Missstände im Land hinwegzuglitzern. Saudi-Arabien als Austragungsort passt dabei bestens zur Fifa-Gigantonomie: Elf neue Stadien, schicke Science-Fiction-Bauten, werden in Riad und anderen Städten gebaut. Das ganze Land wird leuchten, total menschenrechtskonform natürlich. An all den anderen Wahnsinn hat man sich ebenfalls längst gewöhnt: Gekaufte Delegierte in der Fifa. Eine aufgeblasene WM mit 48 Teams, weil das mehr Geld bringt. Eine neue, zusätzliche WM der Fußballclubs 2025, weil das noch mehr Geld bringt. Und auch daran, dass Deutschland, also der DFB, dem WM-Paket selbstverständlich zugestimmt hat.

Gewöhnung ist dabei das wesentliche Stichwort. Nach dem Brexit und während der ersten Amtszeit Trumps kam der Begriff „Neue Normalität“ auf. Er bezeichnete unter anderem eine Diskursverschiebung hin zum Populistischen. Und was auf politischer Ebene weiterhin stattfindet – zur Normalität gehört inzwischen etwa auch die Aushöhlung des Wahrheitsbegriffs im politischen Raum –, hat auch die Fifa in ihrem Metier perfektioniert. Normal ist es in der Fifa-Welt, Raubbau an Natur und Mensch zu begehen (wobei die Fußballspieler für die Funktionäre wohl eher Avatare sind), Fan-, Frauen- und Minderheitenbelange zu desavouieren, WM-Turniere an die Meistbietenden zu vergeben, Verbandsversammlungen nach guten autokratischen Gepflogenheiten abzuhalten.

Der konservative Essayist Hans Martin Esser schrieb damals über die „Neue Normalität“, sie manifestiere sich aus Gruppendenken und gehe mit der menschlichen Bequemlichkeit einher. Man könnte auch sagen: Leider sind wir sehr anpassungsfähig und lassen uns neue (Fußball-)Realitäten allzu einfach unterjubeln. Esser schrieb allerdings auch, Normalität diffundiere von unten nach oben und habe einen „basisdemokratischen Anschein“. Das trifft hier ganz sicher nicht zu, der Fifa kommt nur zugute, dass die schöne neue Fußballwelt beim gemeinen Volk am Ende dann doch ganz gut ankommt.

Die WM in Katar habe ich mir nicht angeschaut, nur während des Finales hatte ich einen kurzen Moment der Schwäche und habe in eine Kneipe mit Bildschirm hineingelugt. Was ich 2034 tun werde? Wahrscheinlich werde ich abgestumpft vor dem Bildschirm sitzen. Dann hat mich die Fifa, wo sie mich haben will. Jens Uthoff

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