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Archiv-Artikel

Der lange Marsch in klein

Mit der Roten Armee Fraktion unterwegs zu den Shan-Bergen im fernen Myanmar

Die RAF-Damen begrüßten uns schweigend, nur mit ihren harten Blicken

Nach drei Tagen in der Tempelstadt Bagan sollte meine Myanmar-Expedition weitergehen, in den Osten des Landes, zum geheimnisvollen Inle See, im Shan-Hochland gelegen. Mittlerweile hatte sich mir eine Chinesin angeschlossen, aus Peking, sie bot sich mir als Dolmetscherin an. Im Shan-Land leben viele Chinesen. Ich war einverstanden. Außerdem war die Chinesin süß.

Das konnte man von den zwei deutschen Frauen nicht behaupten. Ich sah ihnen gleich an, dass sie mal bei der RAF gewesen waren. Beide um die fünfzig, also das richtige Alter. Die eine hager, größer, brünette Bubikopffrisur und Kettenraucherin, die andere blond, kleiner, mütterlicher, wenn man so will. Sie hatte ein paar Warzen um die Nase. Aber, ganz klar, ich hatte diese Gesichter früher schon mal gesehen. Auf einem Fahndungsplakat, auf einem Soliflugblatt oder in der Dings – wie hieß dieses Zirkular noch mal, das damals alle lasen? Egal, man muss einen Blick dafür haben. Dieses Harte, Angespannte, Unversöhnliche in der Mimik, das geht nie weg.

Die RAFlerinnen wollten auch an den Inle. Wir fragten sie bei dem Gestell mit den getrockneten Fischen neben dem New Park Hotel, ob wir uns nicht einen Minibus teilen wollten. 100 US-Dollar für die Tagesreise von 400 Kilometern. Ihre Gesichter hellten sich gleich auf. Selbstverständlich sagten sie Ja. Alte RAFler haben gewöhnlich nicht viel Geld. „Also, okay, dann bis morgen früh um sechs.“ Meine Dolmetscherin verstand nicht ganz. „Die RAF“, erklärte ich, „war so was wie der lange Marsch in klein. Nur nicht so erfolgreich.“

Am nächsten Morgen saßen die Exterroristinnen schon im Bus, gleich hinter dem birmanischen Fahrer. Schweigend grüßten sie, nur mit ihren harten Blicken. Am schroffen heiligen Berg Popa hielten wir das erste Mal. Gemeinsam mit der Chinesin erklomm ich die 777 Stufen zum Gipfel. Die RAFlerinnen blieben unten. Sie hatten den Berg angeblich schon gesehen.

Oben interessierte mich die übliche Ansammlung goldener Tempel wenig. Ich bewunderte zwei ungewöhnliche Chynthen, die auf halbem Weg den Aufstieg bewachten. Chynthen sind Fabelwesen, halb Löwe, halb Drache, die vor jedem birmesischer Tempel stehen. Doch die hier waren anders. Sie hatten einen detailliert gestalteten Anus, so was hatte ich noch nicht gesehen. Ich fotografierte die beiden Arschlöcher und stieg wieder hinab. Unten hatten die RAF-Damen gerade ungewöhnlich gute Laune. Was hatten sie in den zwei Stunden bloß gemacht? „Wir waren shoppen!“ Aha, und was? Handgranaten, Kalaschnikows? Es war aus ihnen nicht rauszukriegen.

Der Mini-Bus holperte weiter durch die karge, sonnenheiße Landschaft. Einmal hielten wir an einem Baum zum Wasserlassen. Die RAFlerinnen wollten es so: „Wir pinkeln grundsätzlich nur im Freien.“ Zum Mittagessen stoppten wir in der Kleinstadt Meiktila. Im Restaurant gab’s Chinapfanne à la Friedrichshain. Wie hatten die Birmanen den Geschmack bloß hingekriegt? Die RAFlerinnen schwiegen. Um ein Gespräch in Gang zu bringen, sagte ich: „Die Leute hier erinnern mich manchmal an Indios.“ Die Bubikopffrisur sah mich böse an: „Also, die Indígenas“ – sie sprach das g korrekt wie ch aus – „Südamerikas sind doch nun wirklich was ganz anderes.“ Okay, dachte ich. Du musst es wissen. Genossin Tanja alias Tamara Bunke alias was weiß ich.

Ein alter Mann kam über die Straße gelaufen, direkt zu unserem Tisch. „Ich bin Dichter“, sagte er. „Hier, bitte, lesen Sie!“ Er überreichte mir ein DIN-A4-Blatt mit Gedichten, von denen eins mit „Human Drama Manifesto“ überschrieben war. Dabei erzählte er aus seinem Leben: „Während der Kulturrevolution war ich in China.“ – „Aha. Und was haben Sie da gemacht?“ Der Mann tat so, als habe er meine Frage nicht gehört. Ich wiederholte sie. „Merkste nicht, dass er darüber nicht reden will“, fuhr mich Tamara Bunke an. „Genauso wie Ihr nicht über eure Vergangenheit“, wollte ich gerade antworten. Da rief der Fahrer: „Weiter geht’s!“

Am Abend hatten wir schließlich den Fuß der Shan-Berge erreicht. Mühsam quälte sich der Bus die Serpentinen hoch. Als die Nacht anbrach, wurde die Straße zur ungeteerten Piste. Direkt daneben klaffte ein mehrere hundert Meter tiefer Abgrund. Jetzt schien mir der richtige Zeitpunkt gekommen. Ich ergriff die Hand der süßen, chinesischen Dolmetscherin und wandte mich an die Mütterliche: „Darf ich mal was fragen.“ – „Gern!“ – „Äh, was macht ihr eigentlich so, sagen wir mal, beruflich?“ – „Ach, ich dachte, das hätten wir schon erzählt. Wir sind beide aus Berlin. Die Ilse ist seit dreißig Jahren Ärztin innem Krankenhaus in Wilmersdorf. Und ich bin auch schon ein paar Jährchen Sportlehrerin in Spandau.“ – „Und warum tut ihr dann die ganze Zeit so, als seid ihr mal bei der RAF gewesen?“, bellte es in mir. Tatsächlich aber sagte ich: „Ach so.“ WALTER MYNA