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Im Kampf für Europa

Einen Schritt vorwärts und zwei wieder zurück, so sieht die prägende politische Erfahrung in Georgien aus. Um den Protestierenden dort beizustehen, veranstaltete die PANDA platforma in der Kulturbrauerei einen Soliabend

Von Katja Kollmann

„Ich genieße hier die Menschenrechte. Ich fühle mich schuldig, dass ich nicht vor Ort bin, wo sie darum kämpfen.“ Die georgische Sängerin nana.ios steht auf der Bühne von PANDA platforma und sucht nach Worten. Es ist kurz vor zwölf. Jemand hat eine mittelgroße georgische Flagge an die Wand gehängt. Stofftaschen mit dem georgischen Alphabet werden gegen eine Spende abgegeben, denn in Tiflis brauchen die Menschen auf der Straße Gasmasken, Erste-Hilfe-Ausrüstung und Pfefferspray, um sich gegen die Polizei zu verteidigen.

Seit 28. November wurden in Georgien über 400 Menschen verhaftet, davon mehr als 300 von den Staatsorganen körperlich misshandelt und achtzig krankenhausreif geschlagen. Nach der Verhaftung verweigert die Polizei den Angehörigen stundenlang jegliche Information über den Aufenthaltsort der festgesetzten Demonstranten. Vor Gericht gibt es für sie keine Möglichkeit, sich zu verteidigen. „Das ist ein Freiheitskampf, den wir zusammen mit den Menschen in Belarus und der Ukraine kämpfen. Denn für uns ist Europa keine leere Formel. Für uns ist die EU der Inbegriff für Menschenrechte, freie Meinungsäußerung und soziale Gerechtigkeit. Da wollen wir hin“, sagt die Kuratorin Tinatin Gurgenidze. Zusammen mit der Dokumentarfilmerin Tekla Aslanishvili und der Kuratorin Nini Palavandishvili sitzt sie auf dem Podium. Rasend schnell hat die Berliner georgische Communitiy einen Solidaritätsabend für die kämpfenden Menschen vor Ort auf die Beine gestellt.

Die PANDA platforma, der kleine Veranstaltungsort mit Osteuropabezug in der Kulturbrauerei, ist brechend voll. „Georgien kämpft nicht nur für sich. Georgien kämpft für Europa“, betont Palavandishvili. Begeistert spricht Gurgenidze von der gelebten Solidarität innerhalb der Protestbewegung. Die habe es so seit dem Unabhängigkeitskampf Anfang der 1990er nicht mehr gegeben. Sogar die Repräsentanten der verschiedenen Religionen demonstrierten Hand in Hand. Zusammen nähern sich die drei der Vorgeschichte der dramatischen Ereignisse an.

In einem kurzen Exkurs erinnern sie daran, dass Georgien seit über 200 Jahren unter dem russischen Imperialismus leidet, zuerst annektiert vom Zarenreich und dann in den 1920er Jahren in die UdSSR gezwungen. Schon Ende der 70er Jahre gab es die ersten Demonstrationen für den Erhalt der eigenen Sprache und Identität. Und das sei heute wieder das Feld, auf dem der Kampf ausgetragen werde, denn seit Jahren „wird uns die russische Politik von unseren eigenen politischen Repräsentanten aufgezwungen“, sagt Palavandashvili. So werden russische Gesetze adaptiert, um Zensur auszuüben und NGOs zu „ausländischen Agenten“ zu erklären. „Die Menschen in Georgien sind mittlerweile komplett ungeschützt der staatlichen Gewalt ausgeliefert“, so ihr Fazit.

Der Zynismus der georgischen politischen Eliten hat ein Ausmaß erreicht, das die drei kurz sprachlos macht. „Wir müssen alles dafür tun, damit uns der Raum erhalten bleibt, um diskutieren und kämpfen zu können.“ Tekla Alslanishvili unterstützt viele Initiativen vor Ort. Tagsüber seien alle Generationen auf der Straße. Nachts sind es die jungen Menschen, die bleiben. Seit Kurzem gilt das Vermummungsverbot für Demonstrierende. Auch ein Schal ist verboten. Die drei auf dem Podium sind für Neuwahlen und einen friedlichen Übergang: „Denn wir haben schlechte Erfahrungen mit Revolutionen gemacht. Danach kamen immer Autokraten an die Macht.“ Einen Schritt vorwärts und zwei wieder zurück, das sei die prägende politische Erfahrung im Land. Den dort kämpfenden Menschen hilft es, wenn sie wissen, sie werden unterstützt, sagt Palavandashvili und schaut ins Publikum.

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