: Hähnchen ist ein Gedicht
Von Du Pham (Gedicht und Foto)
Ich liebe Hähnchen.
Ist Hähnchen Liebe?
Hähnchen ist meine Biografie.
Und wie ich erfahren werde,
die meiner Mutter.
Samstags,
einkaufen bei allkauf,
mit dem Fahrrad meiner Mutter.
Links und rechts am Lenker schwere bis oben befüllte
Plastiktüten.
80er-Qualität, unreißbar.
Auf dem Gepäckträger sehr häufig
eine Pflanze.
Meine Mutter schob das Fahrrad.
Es diente sowieso nur zum Transport.
Mein Bruder links, ich rechts und/oder umgekehrt.
Wenn wir Glück hatten,
hielten wir ein Magazin, ein Comicheftchen in den Händen.
Und wenn wir richtig Glück hatten,
hielten wir am Hähnchenwagen.
Ein Hähnchen und eine Portion Pommes.
Es dauerte, bis wir zu Hause im Hochhaus ankamen,
schiebend,
bis wir die vielen Einkäufe auspackten,
uns auspackten und in Gemütlichkeit warfen.
Samstags
ließen wir die Schlafcouch im Wohnzimmer,
das Bett meiner Mutter, das Reich meiner Mutter,
ungemacht.
Wir schoben den Couchtisch bis an das Matratzenende,
schalteten RTL ein,
Beverly Hills 90210,
und aßen Hähnchen.
Fahrschule,
zweimal die Woche,
ich arbeite neben meiner Ausbildung dort,
um mir meinen Führerschein zu leisten.
Immer wieder bekomme ich den Stapel Cash nicht, und
irgendwann heißt es, er kann mich nicht mehr beschäftigen.
Die schnellste Jobzusage erhalte ich bei Kentucky Fried Chicken
im Gewerbegebiet.
In der Pause dürfen wir uns ein Menü aussuchen.
Der Koch ist Vietnamese.
Weil ich durch die Ausbildung unflexibel bin,
arbeite ich vor allem abends und am Wochenende.
Nicht selten muss meine Mutter mich mit dem Ford Fiesta abholen,
weil keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr fahren.
Manchmal, wenn der Filialleiter nicht da ist,
wir übrig gebliebene Hähnchenteile entsorgen,
packen wir sie für zu Hause ein.
Meine Mutter, mein Bruder
sind schnell übersättigt von meiner Arbeit.
Für den Koch und viele Kolleg*innen jedoch,
bedeuten die Reste nicht nur fettige Kulinarik
(ja, ja, ich seh die rollenden Augen bei Kulinarik),
sondern so viel mehr.
Nicht nur Geld kann eingespart werden,
da weniger eingekauft werden muss,
man kann damit den Familienangehörigen eine Freude machen.
Sie haben nicht viele Möglichkeiten für ein Mitbringsel.
Es war ein beschissener Job,
nur in der Schule wurde ich beschissener behandelt.
Es gab kaum Gäst*innen, die nicht von oben herab mit uns sprachen.
Die Gemeinschaft unter uns jedoch –
nie hatte und werde ich mehr Zusammenhalt erleben.
Wir waren gleich, und es interessierte niemanden,
woher wir kamen, was wir lernten, wie wir lebten.
Auch mit dem erfolgreichen Erwerb meines Führerscheins
(und ich brauchte drei Anläufe)
blieb ich, verließ den Hähnchenladen mit den geheimen Zutaten
erst für ein Jahrespraktikum in einer Werbeagentur.
Ich hatte es vermeintlich herausgeschafft.
Auf Fahrradreisen
isst der Lieblingsjunge nicht besonders.
Nicht besonders viel, nicht besonders anspruchsvoll.
Bescheiden begnügt er sich mit dem, was wir haben.
Aus Liebe zu mir muss ich ihn nie überreden,
mit mir ein Hähnchenlokal aufzusuchen,
sollten wir unterwegs einem begegnen.
Er ist der perfekte Hähnchenpartner.
Er nimmt alles Weiße, ich alles am Knochen.
So teilte ich schon mit meinem Bruder.
Kürzlich
erzählte meine Mutter mir
von ihrer Anfangszeit in Deutschland.
Dort gab es im Wohnheim vorgegebenes Essen.
Schmerzlich vermisste sie die vietnamesische Küche.
Außer an Donnerstagen.
Da gab es dann Hähnchen mit Pommes.
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