Stichwahl ums Präsidentenamt: Uruguay rückt wieder nach links
Der gemäßigt-linke Yamandú Orsi wird neuer Präsident des lateinamerikanischen Landes. Durchregieren kann er nicht, ihm fehlt die Mehrheit im Parlament.
Damit kehrt die Linke nach fünf Jahren an die Macht zurück. Bereits von 2005 bis 2020 hatte das „Breite Bündnis“ aus Kommunistinnen, gemäßigten Sozialdemokratinnen und Sozialliberalen drei aufeinanderfolgende Amtszeiten lang das Präsidentenamt inne. Vor fünf Jahren verlor sie die Stichwahl nur knapp gegen den amtierenden Präsidenten Luis Lacalle Pou. Der konservativ-liberale Präsident gratulierte als einer der ersten seinem gewählten Nachfolger zum Sieg.
Orsis Triumph stand bereits eine Stunde nach Schließung der Wahllokale fest. In Montevideo feierte seine Anhängerschaft schon am frühen Abend auf den Straßen der Hauptstadt: Jubelnde Menschen mit Parteifahnen und hupende Autokorsos prägten das Bild. Tausende zogen freudestrahlend und glücklich zur großen Bühne an der Rambla, der breiten Uferstraße am Rande der Altstadt.
Ohrenbetäubender Jubel brandete auf, als der 57-Jährige auf die Bühne trat. Er werde der Präsident der sozialen Integration sein, der niemanden zurücklässt, versprach er seiner Anhängerschaft. Und: „Ich werde der Präsident sein, der zum nationalen Dialog aufruft“, ist seine Botschaft an die unterlegene Regierungsallianz.
Niedergeschlagenheit und Enttäuschung herrschte hingegen bei der Anhängerschaft von Álvaro Delgado. Der gratulierte Orsi zwar zum Sieg, beschwor aber zugleich den Zusammenhalt der Allianz bei seinem Auftritt. „In Uruguay beginnt eine neue Zeit, in der niemand die Mehrheit hat“, sagt der 55-Jährige und meint damit die Pattsituation im zukünftigen Kongress. Orsi habe jetzt die Verantwortung, um nationale Übereinkünfte zu erzielen, sagte der Unterlegene.
Sozialliberaler Kurs, wenig linke Umverteilung
Yamandú Orsi
Auch wenn die letzten Umfragen ein Kopf-an-Kopf-Rennen vorausgesagt hatten, hatte sich in den letzten Tagen ein leichter Trend in Richtung Machtwechsel angedeutet. Das Ergebnis der Kongresswahl im Oktober hatte die Konservativen unter Druck gesetzt. In beiden Kammern büßte die Regierungsallianz ihre Mehrheit ein. Bei einem Sieg wäre Delgado ein Präsident ohne parlamentarischen Rückhalt gewesen – eine in Uruguays Demokratie noch nie dagewesene Situation. Delgado hatte bis zum Schluss versucht, die Furcht vor einer so unsicheren Situation einzudämmen: „Ich möchte als Präsident alles geben, um nationale Vereinbarungen zu erreichen.“
Allerdings kann sich Yamandú Orsi nicht auf eine solide Mehrheit im Kongress stützen. Die Frente Amplio hat zwar mit 16 der 30 Sitze eine Mehrheit im Senat. In der Abgeordnetenkammer verfügt sie aber nur über 48 der 99 Sitze. Orsi wird für seine Vorhaben Mehrheiten aushandeln müssen, wenn auch aus einer etwas besseren Position heraus.
Welchen wirtschaftspolitischen Kurs Yamandú Orsi verfolgen wird, zeigte er im September, als er den Wirtschaftswissenschaftler Gabriel Oddone als möglichen Wirtschaftsminister präsentierte. Der 61-Jährige gilt als Sozialliberaler, der die Haushaltsdisziplin vor allem bei den Staatsausgaben garantieren soll. Linke Umverteilungsszenarien sind mit ihm nicht zu machen.
Orsi hatte Oddone benannt, um die Finanzmärkte zu beruhigen, nachdem der stabile uruguayische Peso gegenüber dem Dollar plötzlich absackte. Ein weiterer Verfall der Landeswährung wäre Wasser auf die Wahlkampfmühle der Regierungsallianz gewesen.
Uruguay hat eine relativ große Mittelschicht
Im regionalen Vergleich erscheint das kleine Land zwischen Brasilien und Argentinien mit seinen rund 3,4 Millionen Einwohner*innen dennoch wie eine soziale Oase. „Uruguay zeichnet sich in Lateinamerika durch ein geringes Maß an Ungleichheit und Armut aus“, erklärt die Weltbank. Relativ gesehen sei die Mittelschicht die größte in Amerika und der Karibik und mache über 60 Prozent der Bevölkerung aus.
Zwar wächst die Wirtschaft nach Angaben der Weltbank im laufenden Jahr um 3,2 Prozent, aber ein Drittel der 1,5 Millionen Erwerbstätigen muss mit dem Mindestlohn auskommen, von denen wiederum die meisten junge Menschen sind. Das zeigt sich auch in der Kinderarmut, die Lacalle Pou seinem Nachfolger hinterlässt.
Rechtsextreme büßten deutlich Stimmen ein
Wie lange die bisher regierende Allianz aus den fünf Parteien von rechtsaußen bis liberal zusammenhält, ist offen. So ist der rechtsextreme Cabildo Abierto des Ex-Generals Guido Manini Ríos von den 2019 errungenen 11,5 Prozent der Stimmen im Wahlgang im Oktober auf 2,6 Prozent geschrumpft.
Mit seinem überraschenden 16 Prozent der Stimmen beim ersten Wahlgang Ende Oktober ist der 40-jährige Andrés Ojeda von der rechtsliberalen Partido Colorado der eigentliche Aufsteiger rechts von der Mitte. Andrés Ojeda wird die kommenden fünf Jahre nutzen, um sich für die nächste Präsidentschaftswahl in aussichtsreiche Stellung zu bringen.
Gemäß der Verfassung muss der mit hohen Sympathiewerten aus dem Amt scheidende Präsident Lacalle Pou mindestens einmal aussetzen. Für die aussichtsreichsten Kandidaten aus dem rechten Lager beginnt damit bereits mit der Amtseinführung von Yamandú Orsi am 1. März kommenden Jahres der Wahlkampf.
Die Analyse der Wählerwanderung wird zeigen, ob Uruguays zukünftiger Präsident Yamandú Orsi die entscheidenden Stimmen aus den ländlichen Regionen erhielt. Den Vorwurf, die Frente Amplio sei zu einem Bündnis geworden, das nur die Interessen der städtischen Bevölkerung vertritt, konnte Orsi nicht nur mit seiner Vergangenheit als junger Countrysänger mit Gitarre und begeisterter Folkloretänzer abwehren. „Yamandú Orsi versteht, dass Uruguay nicht nur die Hauptstadt ist“, sagte sein politischer Mentor José Mujica.
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