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Der Weg zur Grow-Anlage ist doch weit

Ein Baustein des Cannabisgesetzes sind Anbauvereinigungen, die Gras an Mitglieder ausgeben sollen. In Hamburg hat erst ein Club eine Genehmigungen bekommen. Wieso tut man sich so schwer?

Eine Frage der Geduld: Noch dürfen nur wenige Social Clubs solche Hanfsämlinge anbauen Foto: Monika Skolimowska/dpa

Von Alix Bielefeld und Behnaz Emami

Christian Krüger und Christopher Schultz bezeichnen sich als Genießer, wenn es um Cannabis geht. Bis zur Teil-Legalisierung hatten die beiden Hamburger wenig mit der Branche zu tun, aber seit einigen Monaten sind sie nun Vorstands- und Gründungsmitglieder des „Hansa Cannabis Club“. Krüger macht als Vater von zwei kleinen Kindern zwar gerade eine Konsumpause von Gras und Alkohol, aber Schultz zündet sich beim Zoom-Interview einen Joint an. Was die beiden vor allem brauchen, ist Geduld.

Konsum, Besitz und Eigenanbau sind seit Inkrafttreten des Cannabisgesetzes (kurz CanG) im April in Grenzen straffrei. Seit Juli gibt es ein gemeinschaftliches Erwerbsmodell für Cannabis. In Anbauvereinigungen darf nach behördlicher Prüfung angebaut und an Mitglieder ausgehändigt werden – es darf kein Gewinn gemacht werden.

Krüger und Schulz haben ihre Anbauvereinigung gegründet, weil sie Freunden und Familie die Möglichkeit geben wollten, hochwertiges Cannabis legal zu erwerben. „Wir wissen, dass wir eine gesellschaftliche Verantwortung haben, Cannabis aus der Schmuddelecke zu holen“, betont Schultz. Gemeinsam mit den bisher rund 250 Mitgliedern wollen sie bald in einer eigens dafür umgebauten „Grow Anlage“ in Schleswig-Holstein verschiedene Sorten der Pflanze anbauen. Wer beim Hansa Cannabis Club einsteigt, soll irgendwann Gras kaufen können, lernen, wie man effizient anbaut, und sich auf Events vernetzen. In­ter­es­sen­t*in­nen sollen möglichst in Hamburg wohnen und müssen mindestens 21 Jahre alt sein. 500 Mitglieder wollen sie mal versorgen können.

„Wir bevorzugen Leute, die wirklich auch mit anpacken wollen“, sagt Krüger. Die Mitglieder zahlen schon jetzt einen Monatsbeitrag von 20 Euro, dabei hat der Club noch gar keine Genehmigung zum Anbau. Wann der Club sein erstes eigens angebautes Cannabis ausgeben kann, ist auch Monate nach der Gründung noch unklar. „Es war sehr viel komplexer als gedacht, besonders durch die vielen Auflagen“, erzählt Schultz. Man habe sich erst zurechtfinden müssen und es sei nicht einfach gewesen, eine Anbau-Location und seriöse Geschäftspartner für das Equipment zu finden. „Es gibt einen Haufen Schaumschläger in der Branche, die einem irgendetwas verkaufen wollen, da muss man schon arg aufpassen, dass man nicht an die falschen Leute gerät“, sagt Krüger. Und dann ist da noch der Genehmigungsantrag, der gerade vom für ganz Hamburg zuständigen Bezirksamt Altona mit vielen Änderungsanforderungen zurückgeschickt wurde.

So richtig glücklich waren Politik und Verwaltung in Hamburg nicht mit der Teil-Legalisierung. Als das Gesetz im April in Kraft trat hagelte es umgehend Kritik. Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) beispielsweise nannte das Gesetz „auf ganzer Linie unausgereift“, der Konsum steigere sich bei gleichbleibendem Schwarzmarkt.

Besorgt zeigte sich auch die Hamburger Schulsenatorin Ksenija Bekeris, ebenfalls SPD. „Es besteht die Gefahr, dass die Legalisierung bei jungen Menschen ein falsches Signal der Harmlosigkeit setzt“, sagte sie. Dies müsse der Senat verhindern.

Die Hamburger Staatsanwaltschaft vermeldete „einen hohen zusätzlichen Arbeitsanfall“. Eine Vielzahl von Verfahren hätten geprüft und andere Aufgaben zurückgestellt werden müssen, um die Umsetzung zu gewährleisten.

Es dauerte seine Zeit, bis alle Zuständigkeiten beispielsweise für die Genehmigungsverfahren der Anbauvereinigungen abschließend geklärt wurden. Seit feststeht, dass das Bezirks­amt Altona die Genehmigungsanträge der Anbauvereinigung betreuen und auch die Kontrollen durchführen soll, bearbeiten zwei verantwortliche Be­am­t*in­nen die Anträge innerhalb von bis zu drei Monaten. Einer Anbauvereinigung, dem „High End Social Club“, wurde Mitte Oktober die Erlaubnis erteilt und zwölf weitere Anträge liegen vor und warten auf Genehmigung.

Auch der des Hansa Cannabis Clubs. „Wir sind zuversichtlich, zeitnah eine weitere Erlaubnis zu erteilen“, heißt es auf taz-Nachfrage aus dem Bezirksamt. Man stehe im stetigen und konstruktiven Austausch mit allen antragstellenden Akteur*innen. Auch habe es schon Austauschformate mit Ver­tre­te­r*in­nen der Hamburger Cannabisbranche gegeben.

Einer dieser Vertreter ist Andreas Gerhold. Er setzt sich seit 2015 als Sprecher des „Cannabis Social Club Hamburg“ für die Legalisierung ein und wirkt mit seinem Club inzwischen auch als Interessenvertretung einiger Hamburger Anbauvereinigungen. Er kritisiert, dass Anbauvereinigungen, auch „Social Clubs“ genannt, nicht aktivistisch aktiv sein dürfen und dass gemeinsames Konsumieren dort nicht erlaubt ist. „Wir bieten weiterhin das ‚social‘, dass der Gesetzgeber den Anbauvereinigungen verbietet und bleiben politische Vertretung“, sagt Gerhold. Auch die Hürden für die Anbauvereinigungen empfindet Gerhold als zu hoch. Beispielsweise die Auslegung des Werbeverbots, das im Cannabisgesetz vorgeschrieben ist.

Schleppende Bearbeitung

Kein Social Club genehmigt wurde in Schleswig-Holstein. Die SPD wirft der schwarz-grünen Landesregierung daher vor, die Umsetzung des Cannabis-Gesetzes zu blockieren. Statt an einer sinnvollen Umsetzung zu arbeiten, komme die Regierung ihrer Verantwortung weder bei der Unterstützung der Suchthilfen noch bei der Vergabe von Lizenzen für Anbauvereinigungen nach.

Zwölf Anträge für Cannabis-Vereine werden in Schleswig-Holstein derzeit laut dem zuständigen Landwirtschaftsministerium bearbeitet. Insgesamt seien 14 Anträge eingegangen, davon sei ein Antrag abgelehnt und ein weiterer zurückgezogen worden.

Die Landesregierung sieht die Legalisierung von Cannabis kritisch. „Das Cannabis-Gesetz des Bundes ist ein handwerklich schlecht gemachtes Gesetz, dessen Zielerreichung durch die Landesregierung bezweifelt wird“, schreibt das Landwirtschafts­ministerium in einer Antwort auf eine kleine Anfrage der SPD.

In anderen Bundesländern wie Bremen oder Niedersachsen sind bereits erste Anbauvereinigungen genehmigt worden.

Der Hansa Cannabis Club von Krüger und Schultz musste wegen des Werbeverbots seine Social-Media-Kanäle und die Bilder auf der Website ändern, das Logo mit Hanfblatt ist nun verschwunden. Auch der Preis, den sie mit einem Durchschnittspreis von acht Euro pro Gramm Cannabis ansetzt haben, musste man dem Bezirksamt noch einmal genau erklären. „Wir als Club versuchen vor allem zu kalkulieren, bei welchem Preis wir kein hohes finanzielles Risiko eingehen und am Ende nach Betriebsmitteln, Gehältern für unsere Minijobber, Strom und Wasser bei null rauszukommen“, erklärt Krüger.

Die mit bisher 13 Anträgen für eine Großstadt wie Hamburg überschaubare Anzahl lässt sich auch mit finanziellen Risiken und hohen bürokratischen Hürden erklären. Viele aus der Branche haben kein Interesse an der Gründung einer Anbauvereinigung. Auch Jay Haze nicht.

Haze ist Inhaber eines CBD-Shops im Hamburger Karolinenviertel, einem kleinen Quartier in St. Pauli, unweit des Millerntorstadions, die Reeperbahn ist auch nicht weit weg. In seinem Laden verkauft er alles rund um Cannabis, mit Ausnahme der Droge selbst. Es gibt Vapes, alle möglichen Konsum-Gimmicks sowie Produkte und Blüten mit dem Cannabidiol CBD. Das ist ein aus der weiblichen Hanf-Pflanze Cannabis sativa gewonnener Wirkstoff, dem zahlreiche positive Eigenschaften zugeschrieben werden – und das alles ohne den berauschenden Wirkstoff THC. Inzwischen verkauft Haze auch Cannabis­samen für den Eigenanbau.

Er sieht das derzeitige Konzept der Anbauvereinigungen zum Scheitern verurteilt. „Im ersten Jahr werden 50 Prozent der Clubs aufgeben“, glaubt er. Vielen fehle die erforderliche Fachkenntnis. „Man braucht jahrelange Expertise über den Markt, die Konsumenten und den Anbau, um das erfolgreich in so großem Stil umzusetzen.“ Seiner Einschätzung zufolge ist die Mitgliedschaft in Anbauvereinigungen wegen des hohen finanziellen und zeitlichen Aufwands, der großen monatlichen Abnahmemenge (meist sind das mindestens zehn Gramm) und der Mindestmitgliedschaftsdauer von drei Monaten ohnehin nur etwas für „Dauerkiffer“. Diese machten ihm zufolge aber nur ungefähr zehn Prozent aller Kon­su­men­t*in­nen aus und hätten zudem hohe Ansprüche an die Qualität und Sortenvielfalt, „Feinschmecker“ eben, sagte Haze.

„Wir wissen, dass wir eine gesellschaftliche Verantwortung haben, Cannabis aus der Schmuddelecke zu holen“

Christian Krüger, Hansa Cannabis Club

„Du müsstest theoretisch von Tag eins an ein Top-Produkt haben, sonst sind die Mitglieder nach drei Monaten weg und du bleibst auf Ernte und Schulden sitzen“, sagt Haze. Für viele bleibe der Dealer des Vertrauens oder der Eigenanbau wohl die attraktivere Option.

Haze hofft auf die von der Ampel geplante zweite Säule des Cannabisgesetzes: der legale Erwerb in Fachgeschäften. „Wir brauchen einfach Fachgeschäfte“, ist Haze überzeugt. Für ihn ist der vom Staat kontrollierte Verkauf mit Abstand die effizienteste Methode, den Cannabiskonsum zu steuern, er bereitet sich schon jetzt auf diesen Schritt vor, auch wenn in den Sternen steht, ob und wann der kommerzielle Cannabishandel in die Tat umgesetzt wird. Nach dem Aus der Ampel in Berlin bleibt sowieso abzuwarten, was passiert. Die Unionsparteien, die bei Umfragen zu einer vorgezogenen Bundestagswahl derzeit vorn liegen, stehen der Legalisierung jedenfalls skeptisch gegenüber. Und bisher sind lediglich Pilotprojekte, etwa in Hannover, angekündigt, die den Verkauf in Fachgeschäften testen wollen.

In seinem Laden stellt Haze seit der Teil-Legalisierung ein deutlich gestiegenes Interesse an seinen Produkten fest. „Wir verkaufen nichts anderes, wir verkaufen einfach nur deutlich mehr. Unser Umsatz hat sich verdreifacht“, sagt er. Inzwischen kämen auch immer mehr Kunden aus verschiedenen Milieus, also „die Hausfrau oder Omi und Opi“. Akzeptanz und eine entspanntere Einstellung zum Cannabiskonsum seien definitiv zu spüren, so seine Beobachtung. Er müsse allerdings regelmäßig ausländische Kunden enttäuschen, dass es bei ihm kein Gras zu kaufen gibt. „Wenn Deutschland klug wäre, würde man das gezielt steuern, sonst stärkt das nur wieder den Schwarzmarkt“, sagt Haze.

Dieser Text ist an der Uni Hamburg im Seminar „Digitale und investigative Recherche“, von Volker Lilienthal entstanden, einem Kooperationsprojekt mit der taz nord

Im Hamburger Stadtbild hat sich nicht viel durch die Legalisierung verändert. „Der klassische Kiffer provoziert nicht. Der läuft jetzt auch nicht in der Innenstadt mit einer dicken Tüte rum, um zu sagen, ich habe jetzt mein Recht“, meint Haze.

Die Polizei Hamburg zieht eine ähnliche Bilanz. „Seit der Einführung des Cannabisgesetzes hat sich weder das Straßenbild auffällig verändert, noch haben sich neue Schwerpunkte ergeben“, so ein Sprecher. „Es wurde festgestellt, dass Konsumenten von Cannabis weniger konspiratives Verhalten zeigten, um ihren Konsum zu verbergen. Auch im Zusammenhang mit dem Kinder- und Jugendschutz ist bislang keine Veränderung feststellbar.“ Zahlen der Hamburger Bußgeldstelle bekräftigen diesen Eindruck ebenfalls. Seit Anfang Juli sind insgesamt nur 61 Anzeigen eingegangen und Verwarnungs- bzw. Bußgelder in Höhe von 2.704 Euro eingenommen worden.

Krüger und Schultz vom Hansa Cannabis Club sehen auch nicht, dass Hamburg sich in den vergangenen Monaten zu einer Kifferstadt entwickelt hat. Die beiden Gründer hoffen, bis Ende November endlich ihre Genehmigung zu bekommen und mit den ersten Vorbereitungen in der Anlage beginnen zu können. Der Weg zum ersten „Grow“ und der ersten Ernte ist aber noch lang. Sie planen mit einer ersten Ausgabe im März 2025, fast pünktlich zum ersten Geburtstag des Cannabisgesetzes.

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