: Nachschminken beim Kandidaten
Die CDU lässt ihren Vorsitzenden Friedrich Merz schon jetzt auf die Wirklichkeit im Kanzleramt vorbereiten
Von Patric Hemgesberg
Als der lange Schlacks mit dem schütteren Haar endlich die Lobby des Bundeskanzleramts betritt, brandet frenetischer Jubel auf. Während der Männerchor der Jungen Union sofort „Üb immer Treu und Redlichkeit“ intoniert, prescht die strahlende Julia Klöckner mit einem riesigen Blumenstrauß vor. „Herzlich willkommen, Herr Bundeskanzler!“, begrüßt die Rheinland-Pfälzerin den Neuankömmling. Von oben regnet es Konfetti und Rosenblüten. Weiter hinten platzen ein paar pechschwarze Luftballons.
„Und Cut!“, beendet Ferdinand Schulze die kleine Generalprobe und schickt Friedrich Merz’Doppelgänger zum Nachschminken in die Garderobe. „In etwas mehr als einer Stunde kommt der Kanzlerkandidat der Union. Dann muss hier jedes Detail sitzen“, spornt der gelernte Theaterregisseur die umherstehenden Komparsen mit energischem Händeklatschen an.
Den 50-Jährigen dürfen wir heute auf einer Tour durch die Babelsberger Filmstudios exklusiv begleiten. Wie uns Schulze erzählt, hat sich die Partei die pompöse Inszenierung einiges kosten lassen. Der Grund dafür wird schnell klar. „Nach dem Aus für die Ampelkoalition hat Herr Merz einen Nervenzusammenbruch erlitten, weil er nicht auf der Stelle Kanzler werden konnte. Seine Berater sind jetzt in Angst, dass der Sauerländer in aller Öffentlichkeit durchdreht und auf den letzten Metern den Vorsprung in den Umfragen verbaselt“, schwadroniert Schulze. „Deswegen lassen wir ihn nach seinem Klinikkurzaufenthalt glauben, die Inauguration hätte schon längst stattgefunden. Offiziell bereitet sich Herr Merz in einem tibetischen Schweigekloster auf die Neuwahlen vor. Kommen Sie!“
Der Dozent der Filmhochschule führt uns ins Atelier nebenan. Dort befindet sich eine Kopie des aktuell noch von Olaf Scholz genutzten Kanzlerbüros. Der Spielleiter verweist auf liebevoll platzierte Gimmicks, die helfen sollen, Merz’Machthunger bis zu den Neuwahlen in Schach zu halten.
„Wie Sie sehen, stehen ein rotes Kabeltelefon mit einer Standleitung in den Vatikan, der obligatorische Atomkoffer zum Spielen und eine Schlafcouch für Nachtschichten von Carsten Linnemann schon bereit.“
Durch eine Tür in der Sperrholzwand gehen wir in den detailliert abgekupferten Plenarsaal des Bundestags. Sofort wird es laut. Alle 736 Statisten, scheinbar auch die in einer Oppositionsrolle, stampfen so lange begeistert mit den Füßen, bis der Einpeitscher den Karton mit der Aufschrift „STOPP“ hochhält.
„Dass Merz für Luftnummern wie die kapitalgedeckte Altersvorsorge fraktionsübergreifend gefeiert wird, ist natürlich komplett unrealistisch“, gibt unser Gastgeber zu. „Aber sein Glaube an sich selbst ist ein fragiles Gebilde, das wir durch nichts erschüttern dürfen. Die ersten Buhrufe nach ungeschickten Äußerungen über Frauen, Queere oder Migranten erreichen Herrn Merz schon noch früh genug.“
Wenig später stehen wir im Außenbereich und bestaunen auf der angeblichen Startbahn des Berliner Flughafens die deutsche Air Force One. Laut Schulze in Wirklichkeit nur ein ausgemusterter Clipper der Flugbereitschaft. „Der fliegt natürlich nirgendwo mehr hin“, lacht der Cineast. „Nach dem Boarding wird die Kiste von unseren Bühnenbildnern einmal kräftig durchgerüttelt. Danach rollen wir auf den Gebäuden ringsum landestypische Fototapeten aus. Schauen Sie!“
Schulze verwandelt das herbstliche Potsdam per Knopfdruck in die Skyline von Washington. „Auf die Art und Weise können wir Friedrich Merz auch schon mal auf seine erste Begegnung mit Donald Trump vorbereiten.“ Der Choreograf betritt mit uns das verräterisch im Wind flatternde Weiße Haus. Im Oval Office wartet zu unserer Überraschung mit orangefarbenem Make-up und authentisch blonder Perücke Markus Söder.
„Den bayerischen Ministerpräsidenten haben wir nach seinem Versprechen, alles für Merz’Kanzlerschaft zu tun, beim Wort genommen. Mit Verkleidungen kennt sich der faschingerfahrene CSU-Chef ja bestens aus. Weil er aber auch noch seinen eigenen Regierungsgeschäften nachgehen muss, teilt er sich den Part derzeit mit unserem Filmschimpansen Beppo. Komm, Markus! Mach den Donald!“
Als eine Stimme durch die Sprechanlage verkündet, dass Friedrich Merz nach mehreren hundert Runden um den Block mit seiner Limousine auf den Parkplatz der Filmstudios eingebogen ist, verabschiedet sich Schulze von uns. Wie er uns nervös versichert, stünde viel, wenn nicht sogar alles auf dem Spiel.
„Falls wir das hier versauen und Herr Merz doch nicht Regierungschef wird, müssen wir ihn für den Rest seines Lebens hierbehalten und das ganze Areal sogar noch zu einem gigantischen Kanzlerpark ausbauen.“ Aber vielleicht tue man ja genau das, flüstert uns Schulze im Weggehen noch mal verschwörerisch zu. „Für Deutschland!“
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