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Magische Musikmaschine

Im Dokfilm „Die Alchemie des Klaviers“ möchte Pianist Francesco Piemontesi den Geheimnissen von Ausnahmetalenten auf die Spur kommen

Von Katharina Granzin

Sergej Rachmaninow (1873–1943) komponierte nicht nur großartige Musik für Klavier, er war auch ein herausragender Pianist. Als der Pianist Francesco Piemontesi (*1983) eine private Tonaufnahme von 1940 hört, bei der Rachmaninow seine „Symphonischen Tänze“ spielt, ist er wie elektrisiert von dessen Vortrag und steckt den Regisseur Jan Schmidt-Garre mit seiner Begeisterung an. Eine gemeinsame Projektidee entsteht: Wie wäre es, mit filmischen Mitteln der komplexen Alchemie des Klavierspiels auf die Spur zu kommen?

Das Ergebnis ist ein schönes musikalisches Roadmovie, in dem die Kamera Piemontesi quer durch Europa zu zeitgenössischen PianistInnen begleitet. Bei jedem Besuch steht jeweils ein anderer Aspekt des Klavierspiels im Vordergrund. Angefangen beim „Körper“ der Portugiesin Maria João Pires. Sie bewege sich kaum beim Klavierspielen, dennoch sei ihr gesamter Körper daran beteiligt, sagt Piemontesi zu ihr. Pires stimmt zu und demonstriert, wie sie etwa in manchen Passagen ganz ins Instrument hineingeht.

Nur mit dem Gaspedal?

Es gebe Leute, die dächten, man müsste viele Übungen mit den Händen machen, sagt sie, aber „letztlich brauchen Sie die Hände gar nicht wirklich“, das wäre ja, als würde man ein Auto nur mit dem Gaspedal fahren! – Das ist natürlich eine rhetorische Übertreibung, denn als Spitzenpianistin hat sie leicht reden. Sowieso kann selbstverständlich auch Pires’ Spiel nicht auf die Zutat „Körper“ reduziert werden. Die Zerlegung des Untersuchungsgegenstands in unterschiedliche Aspekte ist vor allem ein dramaturgisches Konzept, das hilft, seine Komplexität nachzuvollziehen.

Gewährsmann für die alchemistische Zutat „Klang“ – und für die Rolle der Finger beim Klavierspiel – ist US-Pianist Stephen Kovacevich, den Pie­montesi in London besucht. Kovacevich demonstriert, welche Wirkung es haben kann, nicht mit gerundeten, sondern mit flachen Fingern zu spielen, und lässt den mit dieser Technik leicht fremdelnden jüngeren Kollegen den Unterschied selbst ausprobieren.

Dass in diesem Film ein Konzertpianist unterwegs ist, um KollegInnen zu interviewen, verwirft das übliche Beziehungsmuster zwischen fragender und befragter Person und ersetzt beziehungsweise ergänzt es durch eine andere narrative Ebene: Der Interviewer kann die Rolle eines Schülers annehmen oder auch ein Duopartner werden, wie in der berührenden Begegnung zwischen Piemontesi und dem in Frankreich lebenden, seit vielen Jahren nicht mehr auftretenden Jean-Rodolphe Kars. Er gab seine Konzertkarriere auf, um katholischer Priester zu werden. „Bilder“ heißt die Zutat im Falle von Kars, der einem verstimmten Klavier eine sehr beseelte Version der ersten Nocturne von Gabriel Fauré entlockt und erläutert, welche Textstelle aus dem Johannesevangelium sich in seiner Vorstellung mit dieser Musik verbindet.

Das Element „Form“ wird Alfred Brendel zugeteilt, was ein bisschen ungerecht erscheint, aber doch ganz gut passt auf die Schubert-Klavierstunde, die Piemontesi für den Film wieder bei seinem Mentor nimmt. Schon die Art, wie die Kamera ihm beim Gang durch die Gartenpforte bis zur Haustür des Meisters folgt, zeigt, dass er sich anschickt, heilige Hallen zu betreten.

Die heiligste aller Hallen aber ist zumindest in diesem Film die Villa Rachmaninoff am Vierwaldstättersee. Hier haben die Pianistinnen Yulianna Avdeeva und Zlata Chochieva einen kleinen pianistischen Auftritt und bringen russischen Sprachklang in den multilingualen Film ein. Rachmaninow selbst, dessen Handdouble in einer nachgestellten Szene vom Pianisten Eldar Nebolsin gespielt wird, sind die letzten Szenen vorbehalten. Das Geheimnis der Magie seines Klavierspiels aber bleibt letztlich unentzaubert. Und das ist natürlich gut so.

„Die Alchemie des Klaviers“. Regie: Jan Schmidt-Garre. Deutschland 2024, 90 Min.

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