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Medien„Platz, so viel Sie wollen, Herr Prantl“

Als Hüter von Verfassung, Rechtsstaat und Grundrechten ist der Publizist Heribert Prantl bekannt in Stadt und Land. Plötzlich taucht er als Stargast bei der „Schwäbischen Zeitung“ auf, bei der die AfD als neues Normal gilt. Was ist passiert? Ein Ortsbesuch.

Heribert Prantl war am 30. Oktober bei der „Schwäbischen“ zu Gast. Man wollte ihn gleich dabehalten. Foto: Sven Simon, Montage: Kontext

Von Josef-Otto Freudenreich

Als hätte es noch eines weiteren Beweises bedurft, wie schlecht es der Presse geht, Robin Halle hat ihn erbracht. Der stellvertretende Chefredakteur der „Schwäbischen Zeitung“ muss an diesem Abend alles alleine machen. Begrüßen, schreiben, fotografieren, verabschieden. Zum Glück ist das für den 54-Jährigen keine Bürde, weil er als Allzweckwaffe auch alles kann.Der frühere Sportredakteur („Ich bin völlig unpolitisch“) kann Speed-Dating-Termine moderieren, 25 Kilo in zwölf Monaten abnehmen und darüber schreiben, die besten Tipps für Kreuzfahrten geben, weil er schon 54 Mal mit der Aida unterwegs war, den VW-Vorstand zum Lohnverzicht auffordern, über die Kraft von Allerheiligen nachdenken – und er kann Heribert Prantl empfangen. Es sei ihm eine „große Ehre“, die „Verkörperung des deutschen Haltungsjournalismus“ im Haus zu haben, sagt Halle am 30. Oktober im Ravensburger Verlagshaus der „Schwäbischen Zeitung“, und er sagt es so bestimmt, dass man versucht ist anzunehmen, dass der Star-Kolumnist der „Süddeutschen Zeitung“ einer der ihren ist.

Die „Schwäbische“ will die AfD zum neuen Normal machen

Das erstaunt, ist es doch noch nicht lange her, dass das oberschwäbische Traditionsblatt schwer in Verschiss geraten war. Die Süddeutsche, die FAZ, die „Zeit“, der SWR, Kontext und die taz, alle hatten über einen Rechtsruck der „Zeitung für christliche Kultur und Politik“ (Eigeneinschätzung) berichtet und dafür viele Beispiele angeführt. Selbst die CDU zeigte sich entsetzt. Professor Prantl wiederum, 71, hoch dekoriert, wird bundesweit als oberster journalistischer Hüter des Rechtsstaats und seiner Grundrechte betrachtet. Gemeinhin wird er als linksliberal bezeichnet.

Nun ist einzuräumen, dass sich unter dem Begriff der Haltung ein sehr unterschiedliches Völkchen versammeln kann, auch die „Schwäbische Zeitung“, deren Haltung neuerdings darauf hinausläuft, die AfD zum neuen Normal zu machen, eine rechtsextreme Partei, die Prantl seit fünf Jahren verbieten will. Also erhebt sich die Frage: Wie kommt er dorthin?

Eingeladen hat ihn der Verein „Tavir“, ein Zusammenschluss von Bürgerinnen und Bürgern in Ravensburg, die sich dem Kampf gegen Antisemitismus, Hass und Hetze verschrieben haben. Gefördert werden sie vom Bund mit dessen Programm „Demokratie leben“, gewünscht haben sie sich einen Vortrag zum Thema „Widerstand – gestern und heute“. Prantl hat zugesagt. Und sehr schnell auch die „Schwäbische Zeitung“, die „Tavir“-Sprecher Mehmet Aksoyan nebenbei mit ins Boot geholt hat, was ihm im Nachhinein leichte Bauchschmerzen bereitet. „Zwiespältig“ sei‘s, meint er, hier die Diskussion um den Rechtsruck, dort die flächendeckende Werbeplattform, zu der er keine Alternative sieht. Ob‘s der Botschaft guttut? „Wir müssen nochmals darüber diskutieren“, sagt er.

Der Starkolumnist ist gut fürs ramponierte Image

Der Presse-Monopolist hat derlei Probleme nicht. Er macht daraus ein eigenes Event, wie man es eben so macht, wenn man eine hippe Marketingabteilung hat. „Zerreißt den Mantel der Gleichgültigkeit, den ihr um euer Herz gelegt habt“ – die Mahnung der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ schmückt die Einladung. Als Veranstalter grüßt „Schwäbisch Media“, der Eintritt ist frei, das online gebuchte Ticket ist per Smartphone vorzeigbar, das ramponierte Image aufgehübscht.

Fortan empfängt Prantl besorgte Post von irritierten Menschen, die von ihm wissen wollten, ob er wisse, in welchem Umfeld er sich bewege? Auch Kontext fragt. Der Vorgang habe ihn „einigermaßen überrascht“, schreibt er zurück, engagiert worden sei er von „Tavir“, die „Schwäbische“ habe sich offensichtlich „draufgesetzt“, die Veranstaltung in ihrem Medienhaus biete ihm jetzt aber die Gelegenheit, sich zu dem „einschlägigen Thema“ zu äußern. Das tut er dann auch. In wohlgesetzten Worten.

Er stellt es in seiner Rede, 20 Seiten lang, voran, 200 Gäste lauschen. Ausgangspunkt ist Chrysostomus Zodel (der den Verfasser dieser Zeilen einst eingestellt hat), ein knochentrockener katholischer Allgäuer, aber kein Reaktionär oder gar ein Rechtsextremer. Zodel war Chefredakteur der „Schwäbischen“, 25 Jahre lang bis 1988, hat das Monopolblatt zu einem Organ gemacht, von dem man wusste, dass es schwarz und verlässlich war. Prantl nennt ihn einen Wertkonservativen, dessen Zeitung aus diesem Fundus schöpfte, Heimat und Halt im Allgäuer Leutkirch hatte. Er hofft, dass diese Prägung den Umzug nach Ravensburg „überdauert hat und überdauert“, und schließt die Vorrede mit einem Satz von Zodel, den er nie vergessen habe: „Rechtsextremismus ist Gotteslästerung“.

Bei Idealisten hängt die Latte eben hoch, die Realisten springen locker unten durch beziehungsweise gehen gar nicht an den Start. Im Klartext: Der neue Ober-Chefredakteur von allen Zeitungen des Schwäbischen Verlags, Head of Editorial Board Gabriel Kords, ist nicht da, der Ober-Geschäftsführer von allen Unternehmungen, CEO Lutz Schumacher, auch nicht. Ob sie im Business-Jet unterwegs sind, ihre Besitztümer in Mecklenburg-Vorpommern inspizierend, ob sie von Chrysostomus Zodel jemals etwas gehört haben, ob ihnen Leutkirch irgendetwas sagt, ist an diesem Abend nicht zu erfahren.Vize Robin Halle, also ein Unter-Chefredakteur, vermag ihren Aufenthaltsort auch nicht zu orten, beteuert gegenüber dem Kontext-Berichterstatter jedoch, dass das Fliegen günstiger sei als das Fahren und er im Übrigen bisher nur einmal an Bord gewesen sei.

Einer leistet Widerstand. Er kündigt das Abo

Schön wär‘s nun gewesen, wenn eifrig debattiert worden wäre. Prantl hatte die Vorlage geliefert mit dem leicht modifizierten Titel „Vom großen, vom kleinen und vom falschen Widerstand“ und betont, dass auch der kleine ein „demokratischer Wirkstoff“ sei, so er kreativ, produktiv und friedlich geleistet würde. Das könne er für sich in Anspruch nehmen, wagt sich ein älterer Herr vor und sagt, er habe die „Schwäbische Zeitung“ gekündigt, weil sie nicht mehr so sei, wie sie einmal war.

Mehr Widerstand ist nicht, es sei denn, er bricht sich Bahn im langanhaltenden Beifall für den Redner und seine Rede über den Widerstand. Womöglich hat das Robin Halle inspiriert, seinen Text danach mit der Überschrift „Alle Deutschen haben das Recht zum Widerstand“ (siehe Foto) zu versehen – ohne auch nur ein Wort über Prantls Kritik an den neuen Herren zu verlieren. Zur Heilung dieses misslichen Umstands ist die Rede komplett unter diesem Link zu finden.

Der journalistischen Sorgfaltspflicht gehorchend, darf die andere Seite, das audiatur et altera pars, nicht vergessen werden. Es äußern sich Gabriel Kords und Lutz Schumacher nicht, wie schon erwähnt, im Foyer des gläsernen Medienhauses, sondern auf Papier. Der Ober-Chefredakteur, der die Brandmauer zur AfD einreißen will, wehrt sich im eigenen Blatt gegen den „Rechts-Stempel“. Die „Schwäbische Zeitung“ sei weder rechts noch links, sondern eine „überparteiliche Plattform“ für alle, die in der Region etwas zu sagen haben – „selbst, wenn es vermeintlich ‚rechts‘ ist“. Im Branchendienst „Kress“ bezeichnet er den „Rechtsruck“ als „haarsträubenden Unsinn“.

Der SchwäZ-Chef koffert gegen die „Süddeutsche“

Interessanter ist der Ober-Geschäftsführer, der mit einer Gegneranalyse aufwartet. In einem dreiseitigen Brief an die „lieben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“ – liegt der Redaktion vor – geißelt Lutz Schumacher eine „feindselige Medienkampagne“, die ihm politisch und ökonomisch motiviert erscheint. Politisch ist die Lage klar: Links sind für ihn die „Süddeutsche“, die „Zeit“, der „Spiegel“ und die taz. Das ist die „Schwäbische Zeitung“ (SchwäZ) natürlich nicht. Rechts sind „Cicero“, „Junge Freiheit“, „Tichys Einblick“, Reichelts „Nius“ (von dem einer seiner Chefredakteure kommt). Das sind sie auch nicht. Sie sind Mitte. Auslöser der Kampagne sieht er in einer kleinen Gruppe spätpubertierender (Ex-)Redakteure, die sich des linken Lagers als Resonanzboden bedienen. So einfach ist das.

Wirklich aufregend wird es, wenn Schumacher den „disruptiven Wandel“ in seiner Branche anführt und feststellt, dass viele seiner Kollegen „gar keine Idee“ haben, wie sie die Zukunft ihres Ladens wirtschaftlich gestalten sollen. Da hat er zweifellos recht. Im Gegensatz zu ihnen weiß er das, allein der Klickzahlen wegen. Die „Süddeutsche“ mit Partnern hatte im August 49 Millionen Visits, Tendenz fallend, die „Schwäbische“ mehr als 30 Millionen, Tendenz sprunghaft steigend, listet der diplomierte Betriebswirt auf.

Was also macht das Münchner Weltblatt? Aus Schumachers Blickwinkel diffamiert es die SchwäZ als „Kuhglocken“-Blatt, neidet dessen Erfolg und lässt seine Kettenhunde titeln: „Da blinkt wer nach rechts“. Darüber werden sich die Autoren aus dem Stuttgarter Büro freuen, zusammen mit der ganzen SZ-Redaktion. Sie täte besser daran, empfiehlt der CEO in Ravensburg, im Lichte vieler Fehlleistungen in der Vergangenheit „ganz kleine Brötchen“ zu backen. Den Kropf geleert, einmal durchgeschnauft, beruhigt sich der Verlagschef wieder und erinnert an Helmut Kohls Kamele. „Die Hunde bellen, aber die Karawane zieht weiter“, zitiert Schumacher und verspricht, seinen Weg weiter zu gehen.

Angesichts seiner vielen Arbeit mag Kollege Robin Halle nicht dazu gekommen sein, die Post von seinem Vorgesetzten zu lesen. Am Ende des Abends verspricht er dem wohl bekanntesten Kopf der „Süddeutschen“: „Herr Prantl, Sie bekommen Platz, so viel Sie wollen.“ Er müsse Kolumnen für die „Schwäbische“ schreiben.

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