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Die Hochstapler vom Holstentor

In Lübeck eröffnen die 66. Nordischen Filmtage. Im Programm finden sich mit „Bekenntnisse des Hochstaplers Thomas Mann“ und „ Milliarden-Mike“ zwei semi-dokumentarische FIme über zwei berüchtigte Söhne der ehrwürdigen Hansestadt

Von Wilfried Hippen

Was verbindet Thomas Mann mit Peter „Mike“ Wappler? Der Literaturnobelpreisträger wie auch der Betrüger sind in Lübeck geboren, sie gehören zu den berühmtesten – oder sagen wir: bekanntesten – Söhnen der Hansestadt. Und beiden sind neue halb-dokumentarische Filme gewidmet, die jetzt dort bei den 66. Nordischen Filmtagen gezeigt werden. Sie ergänzen sich thematisch perfekt, denn beide erzählen von – Hochstaplern. Das wiederum geschieht auf ganz unterschiedlichen Ebenen, aber genau das macht den Reiz dieser Dopplung aus.

André Schäfers „Bekenntnisse des Hochstaplers Thomas Mann“ erzählt naheliegenderweise die Entstehungsgeschichte von dessen Roman „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“. Den hatte Mann schon im Jahr 1905 zu schreiben begonnen, aber nie fertiggestellt. So blieb „Felix Krull“ ein Fragment – und wurde 1954 trotzdem zu einem von Manns größten Publikumserfolgen.

Inspiriert hatte Mann ein realer Fall, heute spräche man wohl von irgendwas mit „true crime“: Der Hochstapler George Manolescu wurde im ganz frühen 20. Jahrhundert zu einer Art Volksheld, weil er gewitzt und sehr stilvoll reiche Menschen übers Ohr haute. In diesem Sinne ist Peter Wappler sein Urenkel: Er hat, 100 Jahre später, ebenfalls manchen Pfeffersack um sein Geld gebracht. Und dies ebenfalls so glamourös und unterhaltsam, dass er zu „Milliarden-Mike“ wurde – und einem zeitweiligen Liebling der Boulevardpresse. „Milliarden-Mike“ haben Ina Kessebohm und Christopher Kaufmann denn auch ihr Wappler-Porträt, inszeniert im Stil einer Gaunerkomödie.

Ein Literaturnobelpreisträger also und ein Berufsverbrecher: So unterschiedlich wie die Protagonisten wirken auch die Filme. Und doch gibt es stilistische Gemeinsamkeiten, so sind beide sogenannte „hybride Filme“: Es werden darin nachgestellte, teils fiktive Spielszenen vermischt mit Ausdrucksmitteln des Dokumentarfilms, darunter Archivmaterial oder Interviewpassagen mit realen Gesprächspartnern.

In „Bekenntnisse des Hochstaplers Thomas Mann“ treibt Regisseur André Schäfer zusammen mit den Drehbuchautoren Jascha Hannover und Hartmut Kasper diese Art Unschärfe auf die Spitze: Schauspieler Sebastian Schneider verkörpert nicht nur Thomas Mann und seinen Protagonisten Felix Krull, sondern noch weitere Figuren – aus dem Leben des Autors und aus dem Roman. So sieht er irgendwann in einer Montage sich selbst auf der Theaterbühne zu. Noch dazu liest Schneider Passagen aus Romanfragment und Tagebüchern, was weitere Bilder generiert, im Tonstudio.

Auf der Spielebene ist der Film, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, ein Einpersonenstück – wodurch Schäfer fast schon überdeutlich zeigen will, dass Felix Krull das Alter Ego seines Schöpfers Thomas Mann ist. Schließlich gab ja auch Mann vor, ein anderer zu sein: Sein Geheimnis war seine Homosexualität. Literarisch offen legte er sie später in der Novelle „Der Tod in Venedig“, aber sein Leben lang stürzte sie Mann in tiefe Konflikte. Sebastian Schneider spielt ihn nun als einen Mann, der mit Mimik und Körpersprache keine Versuche unternimmt, seine Homosexualität zu verbergen. Schäfer zeigt ihn sogar in einer schwulen Liebesszene, wie Thomas Mann sie nie geschrieben hätte, geschweige denn erlebt hat.

Ein Nobelpreisträger und ein Berufsverbrecher: So unterschiedlich wie die Protagonisten wirken auch die beiden Filme

Daphna Keenan hat eine jazzig swingende Filmmusik komponiert und eingespielt, der Künstler Friedel Anderson malt in seinem Atelier eine Porträtskizze von Sebastian Schneider, die er dann vor unseren Augen in ein Bild von Thomas Mann verwandelt. „Bekenntnisse des Hochstaplers Thomas Mann“ ist ein kühn konstruiertes und sehr kultiviert inszeniertes Künstlerporträt – Feuilleton im besten Sinne des Wortes.

Bei „Milliarden-Mike“ signalisiert dagegen schon der Titel eine Nähe zum Boulevard. Und tatsächlich spielt eine Bild-Kolumnistin eine wichtige Rolle im Leben von Peter Wappler: Sie erfand den alliterierenden Ehrentitel, auf den Wappler nachvollziehbarerweise sehr stolz ist. Im gleichnamigen Film erzählt er selbst seine Geschichte: Wie er als Sinto mit seinem Vater über die Lande zog und dabei lernte, den Bauern Antiquitäten abzuschwatzen; wie er als Zuhälter – er spricht lieber von Arbeit „im Milieu“ – sein erstes Geld verdiente. Und wie er dann Reichen in Lübeck und Hamburg etliche Millionen aus den Taschen zog mit Luftnummern wie dem Nazischatz, der nie existierte.

Wappler trat stets als Superreicher auf, aber die Luxuslimousinen, Villen und Yachten gehörten anderen, die er ebenfalls reingelegt hatte. Einmal täuschte er gar seinen eigenen Tod vor und gab sich, als das aufflog, als sein eigener Zwillingsbruder aus. So erzählt er es zumindest, aber nicht mal seine besten Freunde oder sein Anwalt können bei dem Mann Schein von Sein unterscheiden. Dass er selbst das auch längst nicht mehr kann, mutmaßt im Film eine vom Gericht bestellte Gutachterin, die ihn wohl besser durchschaut, als die Kumpels, ehemaligen Freundinnen, Verwandten und Trittbrettfahrer, die noch so alles über ihn reden.

Der Film ist immer dann am besten, wenn Kessebohm und Kaufmann diesen Meister der Selbstinszenierung einfach reden und machen lassen. Aber auch sie fügen Spielszenen bei, in denen sie Episoden aus dem „wahren“ Leben ihres Protagonisten nachinszeniert haben. Leider hat Darsteller Stefan Hermann so gar nichts von dem Charisma, das den echten Mike Wappler auszeichnet. Zudem erlaubte das Budget nicht, diese Szenen so authentisch auszustatten, dass sie dem schillernden Leben von „Milliarden-Mike“ gerecht würden. So ist dieser Film seltsamerweise in seinen dokumentarischen Teilen viel bunter, unterhaltsamer und besser.

„Bekenntnisse des Hochstaplers Thomas Mann“ läuft heute, 6. 11., um 19 Uhr. „Miliarden Mike“ hat seine Weltpremiere am Freitag, 8. 11., um 22.15 Uhr, beides in der Lübecker Stadthalle.

Die 66. Nordischen Filmtage dauern bis Sonntag, 10. 11., Programm und alle Infos auf https://nordische-filmtage.de

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