debatte
: Weg mit dem Wolf?

Die EU will den Abschuss von Wölfen erleichtern, auch in Deutschland wird darüber diskutiert. Ist das eine gute Idee? Ein Pro & Contra

:

Jost Maurin

ist Redakteur im Ressort Wirtschaft und Umwelt. Er schreibt vor allem zu Ernährungsfragen, etwa über Agrarpolitik, Gentechnik, Pestizide, Verbraucherschutz und die Lebensmittelindustrie.

:

Nick Reimer

ist taz-Autor. Er lebt in Brandenburg, wo es die meisten Wolfrudel in Deutschland gibt. Gesehen hat er allerdings noch keinen.

Ja, denn dem Wolf geht es in Deutschland so gut, dass Jäger seinen Bestand jetzt regulieren sollten. Zur Zeit leben hierzulande schätzungsweise 2.000 dieser Tiere, sie vermehren sich schnell weiter. Schließlich haben sie keine natürlichen Feinde. Doch mit der Zahl der Wölfe ist auch die Zahl der Nutztiere gestiegen, die sie getötet oder verletzt haben. Laut Behörden erreichte sie 2023 mit 5727 einen neuen Rekord. Aus Angst vor solchen Übergriffen investieren immer mehr Bauern und Schäfer in elektrische Zäune mit Untergrabschutz und manche auch in speziell ausgebildete Hunde, die Wölfe vertreiben sollen. All das macht die Haltung etwa von Schafen oder Rindern auf der Weide noch unattraktiver, als sie ohnehin schon aus ökonomischen Gründen ist. Denn die unteren Elektrodrähte der Zäune müssen ständig freigehalten werden von Grashalmen, damit der Strom fließt und die Raubtiere tatsächlich abgeschreckt werden. Viele Bauern haben keine Zeit dafür – und sie finden gerade in dünn besiedelten Regionen niemanden, der diese Arbeit erledigen könnte. Es ist zudem fraglich, ob angesichts klammer Kassen der Staat zumindest einen Teil der zuletzt rund 21 Millionen Euro Subventionen pro Jahr für den Herdenschutz nicht für Wichtigeres ausgeben könnte.

Das Naturschutzprojekt Wolf setzt also die Weidehaltung zusätzlich unter Druck. Dabei ist sie genau die Art Tierhaltung, die Umwelt- und Tierschützer bevorzugen. Es tut Rindern gut, ihr Leben nicht nur im Stall zu fristen, sondern sich auf einer Weide frei bewegen zu können. Dieses Grünland bietet auch besonders vielen Tier- und Pflanzenarten Lebensräume. Außerdem speichert es deutlich mehr Kohlenstoff als Ackerland und trägt so zum Klimaschutz bei. Diese Vorteile sollten wir uns nicht durch zu viele Wölfe zerstören lassen.

Menschen haben Sorgen, dass die Raubtiere auch sie angreifen könnten. Das passiert weltweit selten, aber es kommt vor. Wölfe ähneln Hunden. Wir würden es auch nicht akzeptieren, dass Tausende Hunde in Deutschland frei herumlaufen, schon gar nicht so große und starke wie Wölfe.

Die Lösung muss ein Mittelweg sein: Wölfe und Herdenschutz ja, aber in Maßen. Wenn sie sich Menschen genähert oder Haustiere angegriffen haben, sollten alle Wölfe geschossen werden, die in den Wochen danach an den betroffenen Orten auftauchen. Almen zum Beispiel lassen sich nur schwer durch wolfsichere Zäune schützen. In solchen Gebieten sollte jeder Wolf getötet werden. Falls dann noch nötig, sollten auch außerhalb dieser Gebiete einige unauffällige Tiere „entnommen“ werden. Denn weniger Wölfe bedeuten weniger Raubtiere, die Vieh fressen können. Diese Logik wird nicht dadurch widerlegt, dass in manchen Ländern nach einer Wolfsjagd die Zahl der Risse nicht gesunken ist. Das kann zum Beispiel auch daran gelegen haben, dass Bauern eben wegen der Wolfsjagd weniger für Zäune ausgegeben haben.

Das aktuelle Naturschutzrecht erschwert selbst die Jagd auf auffällige Wölfe zu stark, wie diverse Gerichtsentscheidungen zeigen, die „Entnahmen“ solcher Tiere verhindert haben. Deshalb muss der Schutzstatus der Art nun endlich gesenkt werden.

Nein, weil der Wolf für den Menschen und seine Nutztiere nicht so gefährlich wird, wie das so gern dargestellt wird. 999 von 1.000 Menschen werden hierzulande nie einen Wolf zu Gesicht bekommen. Vermutlich deshalb eignet er sich trefflich als Projektionsfläche: Der Wolf ist der Ausländer unter den Tieren, die in Deutschland leben. Immigriert aus Osteuropa, ist er gekommen, um zu bleiben. Natürlich haben wir nichts gegen Ausländer, also auch nicht gegen Wölfe. Es dürfen nur nicht zu viele werden …

Würden in Afrika die Schutzstandards für Leoparden oder Löwen gesenkt, gäbe es hierzulande garantiert einen Aufschrei. Völlig zu Recht. Es muss auch hierzulande darum gehen, ein Zusammenleben mit dem Wolf zu organisieren, nicht ohne ihn. Abgesenkte Naturschutzstandards ändern nichts daran, dass der Wolf fester Bestandteil unseres Lebens geworden ist.

Die Deutschen sehnen sich gern und ausgiebig nach einem fantastischen Naturerlebnis. Aber als die Natur hierzulande dann wieder so weit intakt war, dass der Wolf zurück nach Deutschland kam, begann die Diskussion, wie man ihn am besten und schnellsten wieder loswird. Um nicht missverstanden zu werden: Natürlich haben Wölfe nichts in Ortschaften, nichts in der Nähe des Menschen zu suchen. Auffällige Wölfe, sogenannte Problemtiere, zu schießen, ist gängige Praxis, dafür müssen keine Naturschutzstandards abgesenkt werden.

Aber Wölfe zu schießen, weil sie Weidetiere reißen? Da könnte man auch fordern, Katzen zu schießen, weil sie Vögel fressen. Wölfe töten einige tausend Weidetiere jedes Jahr in Deutschland. In der Regel werden Weidetiere Opfer, weil die Wolfszäune von den Haltern nicht fachgerecht aufgebaut werden oder schlichtweg fehlen. Kann man das aber dem Wolf vorwerfen? Wenn ein Bauer seinen Hühnerstall in der Nacht nicht zumacht, ist doch auch nicht der Fuchs schuld, wenn am nächsten Morgen ein Massaker zu beklagen ist.

Schafe oder Ziegen – natürlich sind die Herdentiere wichtig: Vielerorts gibt es keine andere Möglichkeit, die offene Kulturlandschaft zu pflegen und zu erhalten. Genau deshalb werden die mobilen Elektrozäune, die elektrifizierten Festzäune und Herdenschutzhunde inklusive Zubehör vom Staat gefördert: zu 100 Prozent in Bayern, zu 80 Prozent in Brandenburg. Das ist zu wenig, wenn wir den Wert unserer Kulturlandschaft zugunde legen: Schäfer werden von der Gesellschaft nicht angemessen honoriert, und das bezieht sich nicht nur auf den Lohn ihrer Arbeit. Denn sie sind die zweite Berufsgruppe, die direkt von der Rückkehr der Wölfe betroffen ist.

Die erste Berufsgruppe sind die Jäger. Wer ein Jagdrevier gepachtet hat und von der Jagd lebt, ist doof dran, wenn ein Wolf ins Revier eindringt, dann gibt es weniger zu schießen, weil der Wolf den Job des Jägers übernommen hat. Er reguliert den Tierbestand – und das sogar viel besser als der Jäger selbst. Studien haben ergeben, dass Ökosysteme vitaler werden, wenn es darin Wölfe gibt. Was Jägern freilich nicht schmeckt: Schließlich bezahlen sie Geld dafür, bestimmte Abschussquoten zu erzielen.