piwik no script img

Tania Martini Martini ShotSchnelle Durchschreitung des Raums

Foto: privat

Frankfurt ist immer ein bisschen wie ein psychogeografisches Experiment. Der Wechsel der Viertel und Stimmungen ist in keiner anderen deutschen Stadt wahrnehm­barer als in dieser. Die Pariser Situationisten hätten hier leichtes Spiel gehabt.

Im Bahnhofsviertel kann man sich leicht hineinsteigern in die Allgegenwart von Ekzemen, Nekrosen und Läsionen, und nein, das war nicht immer so. Das Verhältnis der Frankfurter zu diesem Viertel scheint das einer disso­zia­tiven Abspaltung zu sein. Einfach so ertragen lässt es sich jedenfalls nicht.

Keine fünf Minuten Fußweg weiter Richtung Innenstadt wechselt die Szenerie abrupt und vollständig. Von Crack zu „we work“. Hier stellt man aus, dass man arbeitet. Ich meine, man tut es nicht einfach, sondern inszeniert es. Je unklarer das Produkt der Arbeit, desto fetischisierter der Akt an sich. Junge Menschen mit Hoffnung auf Topgehälter stellen sich urban vor, strahlen aber nur Main-Taunus-Kreis aus. Ihre Hosen sind zu eng und zu bräunlich, die Haare im Nacken zu kurz.

Wieder ein paar Schritte weiter sind sie bereits aufgestiegen. Tower mit Eingangshallen wie in Flughäfen. Jeder nimmt seinen Platz ein. Hier sind die Hosen meist blau, aber sitzen nicht gut.

Wo Geld ist, ist halt noch kein Stil. Mangel an Expertise, ein deutsches Problem. Zu viel Kälte und Zerstörung, zu wenig Sinnlichkeit. Und nicht einmal die Wurschtigkeit der Österreicher besitzt man. Nicht einmal die! Froh, wenn der Blick einen Japaner erhascht. Vielleicht ist Individualität doch überbewertet?

Später dann ein Randbezirk. Konservierter Mief der fünfziger Jahre. Nirgends ist die soziale Gewalt spürbarer als in Frankfurt.

Und dann ist Buchmesse. Alle sagen jetzt immer „Genau“ nach den Sätzen. Man beschwört den Geist der Kultur und den Wert des Buches. Immer lauter. Und dann kommt Claudia Roth um die Ecke. Unterhalb der Funktionärs­ebene Resignation bis Verzweiflung. Investoren und New-Adult-Trashromantik. Draußen Kriege, Rassismus, Antisemitismus.

Ein deutsches Problem. Zu viel Kälte und Zerstörung

Ich höre jetzt auf. Mit dieser Kolumne, mit der taz. Das war’s. Bald auf einem anderen Kanal. Machen Sie es gut! Im Ernst.

Die Autorin war seit 2008 Redakteurin für das Politische Buch und Diskurs/Theorie im Kulturressort der taz. Nun wechselt sie zur Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen