„Abfindungsskandal wie bei Mannesmann“

Vor der Hauptversammlung der Börse AG wird in Finanzkreisen mit Klagen gegen den Aufsichtsrat gerechnet

FRANKFURT/MAIN taz ■ Der Streit bei der Deutschen Börse AG könnte ein juristisches Nachspiel haben. Denn die 10 Millionen Euro Abfindung, mit denen dem früheren Vorstandsvorsitzenden Werner Seifert der Abgang erleichtert wurde, dürften nicht nur auf der heutigen Hauptversammlung die Gemüter der Aktionäre erhitzen. In Börsenkreisen wird damit gerechnet, dass bei der Staatsanwaltschaft in Frankfurt am Main demnächst diverse Klagen wegen „Untreue“ gegenüber den Anteilseignern, die diese gigantische Abfindung schließlich finanzieren müssen, gegen die Mitglieder des Aufsichtsrats eingehen werden. Denn im Grunde genommen handele es sich doch um einem mit dem Abfindungsskandal bei Mannesmann vergleichbaren Vorgang, sagten Broker der taz.

Sicher ist, dass aus den Reihen der Aktionäre die Nichtentlastung von Vorstand und Aufsichtsrat der Deutschen Börse AG beantragt wird. Unter anderem von der öffentlichkeitsscheuen „Oberheuschrecke“ Christopher Hohn, von dem bislang nur verschwommene Fotos existieren. Der Boss des Hedgefonds TCI will offenbar den von ihm schriftlich eingereichten Antrag auf Nichtentlastung selbst begründen.

Dabei hat er ja schon viele seiner Ziele erreicht. Aufsichtsratschef Rolf Breuer hat seinen Rücktritt bereits angekündigt; und Börsenchef Werner Seifert – das eigentliche Ziel der Attacken der angelsächsischen Fonds hat ihn mit goldenem Handschlag vollzogen.

Dass Hohn jetzt auf seinen avisierten Abwahlantrag gegen seinem Kontrahenten Breuer persönlich verzichten will und dem ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank Zeit dafür lässt, einen geeigneten Nachfolger für sich zu suchen, wird an der Börse ganz allgemein als „Friedensangebot“ gewertet.

Allerdings lenkte Hohn erst am Montag ein, was wohl auch darauf zurückzuführen, dass sich die bislang geschlossene Phalanx der angelsächsischen Fonds nach dem Rücktritt von Seifert und der Rücktrittsankündigung von Breuer offenbar in Wohlgefallen aufgelöst hat. Dazu kamen die angekündigten „freiwilligen“ Rücktritte auch anderer Aufsichtsratsmitglieder, so dass sich die neuen Mehrheitsverhältnisse bei der Deutschen Börse AG bald auch in der Zusammensetzung des Aufsichtsrates widerspiegeln werden. Der Kandidatenpoker dafür hat schon begonnen. Für TCI soll nach wie vor der ehemalige Finanzexperte der Union, Friedrich Merz, in das Aufsichtsgremium der Börse nachrücken.

Die Debatte über die Macht der Hedgefonds allerdings wird so oder so weitergehen; auch und gerade im laufenden Bundestagswahlkampf. Das für die Bankenaufsicht zuständige Vorstandsmitglied der Bundesbank, Edgar Meister, warnte gestern vor nationalen oder europäischen Alleingängen bei der Verschärfung der Kontrollen von „hoch spekulativen Hedgefonds“. International verbindliche Regeln müssten her, denn sonst würden die Fonds ihre Firmensitze einfach auf andere Kontinente verlegen.

KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT