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Archiv-Artikel

Intendant stolpert über „Marie Antoinette“

ABGANG Mit einem Vier-Millionen-Euro-Defizit verlässt der Intendant Hans-Joachim Frey das Bremer Theater vorzeitig. Auslöser sind abermalige Kostensteigerungen bei der Musical-Produktion um die französische Königin

Hans-Joachim Frey

ist Generalintendant des Theaters Bremen seit August 2007.

■ Verdienste: Vor seinem Posten in Bremen war Frey Operndirektor der Semperoper Dresden. „Er etablierte das Haus als wirtschaftlich erfolgreichstes Theater Deutschlands“, lobt sich Frey auf der Homepage des Bremer Musicals „Marie Antoinette“, dem er nun seinen Abgang verdankt.

■ Weitere Verdienste: „Als die Semperoper 2002 aufgrund der schweren Jahrhundertflut kurzfristig schließen musste“, habe sich Frey „als tatkräftiger Krisenmanager“ bewiesen: Er ließ die Oper „Carmen“ in der Gläsernen Manufaktur von VW in Dresden spielen.

■ „Marie Antoinette“: Diese Produktion sei, so Frey, „leider voll in die veränderten Marktbedingungen der weltweiten Rezession“ geraten. Dazu hätten sich „Schwächen in der Durchführung des Projekts“ gesellt.

VON HENNING BLEYL

Noch während der Pressekonferenz wurde um die richtigen Zahlen gerungen. Als der Bremer Bürgermeister anhebt, die Ergebnisse eines Untersuchungsberichts zum aktuellen Theaterdefizit zu zitieren, will Theaterintendant Hans-Joachim Frey dazwischen gehen: Diese Details dürften „hier nicht thematisiert werden“, sagt der 44-Jährige, der eigentlich nur seine vorzeitige Vertragsauflösung „aus persönlichen Gründen“ bekannt geben möchte.

Doch Jens Böhrnsen, SPD-Regierungschef und Kultursenator in Personalunion, verweist kalt lächelnd auf das Informationsfreiheitsgesetz. Und listet alle Defizite auf: In der Summe hat das Haus mit den vier Sparten Theater, Tanztheater, Oper und Kindertheater ein Minus von fast vier Millionen Euro erwirtschaftet. 2,5 davon wurden durch die Musical-Produktion „Marie Antoinette“ generiert. Bei deren Premiere im Februar hatte Böhrnsen noch begeistert ausgerufen: „Wir sind wieder Musical-Stadt!“

Bislang war der Öffentlichkeit bekannt, dass das Musical um die verschwendungssüchtige französische Königin 1,5 Millionen Miese gemacht hat. Die weitere Million brachte eine Untersuchung der „Fides Treuhand“ ans Licht, die Böhrnsen vor kurzem mit einer Sonderprüfung beauftragt hatte. Hintergrund war die „Tatsache, dass sich die Theaterleitung im Juni und Juli gezwungen sah, in kurzen Abständen den Sachstand immer wieder zu aktualisieren“ – wie das Kulturressort so offiziell wie explizit mitteilte.

Der Ärger des Bürgermeisters über die Salami-Taktik des Theaters in Sachen Kostensteigerungen hatte schon mehrfach zu Streitigkeiten hinter den Kulissen geführt. Noch kurz vor der Pressekonferenz mit der Musical-Bilanz Anfang Juni weigerte sich die Theaterleitung, wenigstens das damals als „gültig“ geltende 1,2 Millionen-Defizit bekannt zu geben.

Ebenso hielt sie mit den enttäuschenden Besucherzahlen hinter dem Berg – um sich später mit den Worten zu entschuldigen, es sei bei einem derart von Stimmungen abhängigen Geschäft „kontraproduktiv“, vor dem letzten Vorhang mit konkreten Angaben an die Öffentlichkeit zu treten. Zu „Marie Antoinette“ waren nur 90.000 Zuschauer statt der erwarteten 120.000 gekommen.

Auch bei den anderen Ergebnissen der Wirtschaftsprüfer ist nachvollziehbar, warum Frey sie nicht gern verlesen sieht. Der Bürgermeister fasst zusammen: „Es gab Mängel im Controlling, kein Risikomanagement, das Bestellwesen war nicht organisiert, gegen Beschlüsse des Aufsichtrats wurde verstoßen.“ In Summa: „Es gab keine geordnete Geschäftsführung.“

Selbstverständlich treffen diese Vorwürfe nicht Frey allein: Der kaufmännische Geschäftsführer des Theaters, ein früherer Automobil-Logistiker, verabschiedet sich in den Vorruhestand, der Projektmanager des Musical wurde schon vor längerem geschasst – ist mittlerweile aber wieder als Sprecher des Bremer Flughafens aktiv. Frey selbst betont, seinen Vertragsrücktritt bereits während des Sommerurlaubs auf Mallorca beschlossen zu haben – also vor Abschluss der „Fides“-Untersuchung.

In jedem Fall ist sein Abgang gut abgefedert: Er muss erst in einem Jahr, also nach Ablauf der ohnehin schon durchgeplanten, jetzt beginnenden Spielzeit, seinen Stuhl räumen. Zudem behält er bis 2012 die Intendanz der von ihm eingerichteten „Seebühne“, einer nur im Sommer bespielten Open Air-Oper – offenbar eine Alternative zu Freys Abfindung wegen der vorzeitigen Vertragsauflösung, auf die er im Gegenzug verzichtet.

Die Folgen für das Bremer Theater sind eklatant. Zwar steht es nicht am Rand einer Insolvenz, mit der ihm 2005 anlässlich eines Millionen-Defizits das damals noch CDU-geführte Kulturressort drohte. Doch muss es den kommenden fünf Jahren zwei Millionen Euro einsparen. Bis 2014 wird der künstlerische Etat um 845.000 Euro abgeschmolzen, der Marketing-Etat um 100.000 Euro, gleichzeitig soll das Theater eine Million durch Energiesparmaßnahmen, aber auch durch erhöhte Ticket- und Garderobenpreise erwirtschaften. Dafür übernimmt die Stadt alte Schulden des Theaters aus der Krise von 2005 in Höhe von 2,9 Millionen und trägt die Tarifsteigerungen mit. Zur Behebung des aktuellen Liquiditätsengpasses gibt es einen Kontokorrentkredit.

Inhaltlich soll die von Frey eingeführte Produktionsphilosophie gecancelt werden: Statt vieler Gäste, unter ihnen gern auch teure Prominenz wie Katharina Wagner und Maximilian Schell, soll wieder verstärkt auf das eigene Ensemble gesetzt werden. Auch die übliche Repertoirespielweise, die Frey zu Gunsten eines En-bloc-Systems eingeschränkt hatte, wird wieder eingeführt.

Künstlerisch bedeutete Freys 2007 angetretene Intendanz keinen Einbruch: Auch unter Vorgänger Klaus Pierwoß war das Schauspiel mitunter durchwachsen, im Musiktheater, Freys Hauptanliegen, setzte er erfolgreich auf diverse spannende Uraufführungen wie „Gegen die Wand“ nach dem gleichnamigen Kinofilm. Die Zuschauerzahlen zogen an, auch die langfristige Kooperation des Bremer Tanztheaters mit der entsprechenden Compagnie des Oldenburger Staatstheaters unter dem Label „Tanz Nordwest“ ist ein Modell, das durch die partielle Bündelung der Kräfte Vorteile hat – falls es nicht langfristig zu einer Fusion beider Ensembles führen soll.

Viel Kritik zog Frey allerdings durch seinen explizit Wirtschafts-orientierten Stil auf sich: Um sich von seinem als „links“ geltenden Vorgänger abzusetzen, betonte er bei jeder Gelegenheit die enge Verwobenheit von Wirtschafts- und Kulturinteressen. Er gründete mit dem „Internationalen Kulturforum Theater Bremen“ einen penetrant mit Goldbuchstaben beworbenen Honoratioren- und Sponsorenclub, wollte Bremen mit einem Opernball beglücken und zeigte sich gern Zigarrenschmauchend vor dem Theater mit Porsche-Chef Wendelin Wiedeking.

Die Rauchkringel verpufften nicht wirkungslos: Porsche sponserte das „Marie Antoinette“-Musical mit einer kleinen „Chayenne“-Flotte, die die Premierengäste zur anschließenden Groß-Sause beförderte. Einen geldwerten Vorteil von 2,5 Millionen stellte das allerdings nicht dar.