: Ein Fest für genaue Leser und zukünftiger Klassiker
NOTIZBUCH Poe! Nabokov! Büchnerpreis? Der Literaturkritiker Michael Maar hebt im aktuellen „Merkur“ die Rezeption des Schriftstellers Wolfgang Herrndorf auf eine neue Ebene
Wie gut Wolfgang Herrndorf ist, hat sich herumgesprochen. Aber weiterhin gibt es Unsicherheit darüber, auf welcher Höhe der Autor von „Tschick“ und „Sand“ einzuordnen ist. Nun gut, den Preis der Leipziger Buchmesse hat er erhalten. Aber deutliche Hemmnisse sind dabei spürbar, wenn es darum geht, gerade an seinen Romanen auszubuchstabieren, wie deutschsprachige Gegenwartsliteratur auszusehen hat, also die Maßstäbe für Literatur mit einem Verweis auf diesen Autor zu definieren. Niemals würde man ihn für büchnerpreisfähig halten. Oder doch?
Der Literaturkritiker Michael Maar, bekannt für sein genaues Lesen, hat nun in der Aprilausgabe der Zeitschrift Merkur einen eingehenden Text zu Wolfgang Herrndorf geschrieben; die Lektüre sei nicht nur Herrndorf-Fans empfohlen, sondern auch allen Taktikern und Strategen der gegenwärtig ablaufenden Literaturkämpfe – denn dieser Artikel wird es allen Vertretern der „Herrndorf ist schon ganz gut, aber doch irgendwie nicht“-Hochliteraturfraktion ziemlich schwer machen. Nicht nur, weil er Herrndorf sehr hoch hängt. Poe! Nabokov! Sondern weil Maar beglaubigen kann, was für ein planvoll konstruiertes und mit allen Mitteln der Kunst umgesetztes literarisches Spiel Wolfgang Herrndorf betreibt. Die Albernheiten vieler „Sand“-Rezensionen, die dem Roman Verworrenheit attestierten, kann man ab jetzt getrost vergessen. Maar macht klar, dass man sich in „Sand“ versenken kann wie in einen Klassiker und dass die genaue Lektüre den Leser reich belohnt. Maar: „Wer ein Faible für raffiniert gebaute Plots hat, erlebt hier ein Fest. […] Herrndorfs Größe liegt aber nicht nur im Plot. Wichtiger ist anderes – die Kraft seiner Imagination, die sprühende Intelligenz, die jede Seite tränkt, und der Reichtum der Details.“
Das zielt ins Zentrum der Literatur. Man muss Maars Interpretation, nach der „Sand“ eine „als Thriller nur getarnte große Anti-Theodizee“ ist, nicht zur Gänze teilen und die Frage, ob „Sand“ als Gegenbuch zu „Tschick“ nun die Zurücknahme des helleren Ausreißerromans ist oder nicht, lässt Maar ein Stück weit offen. Aber er hat die Herrndorf-Rezeption unbedingt auf eine neue Ebene gehoben. Die Literaturkritiker, die immer auf der Suche nach Sprachkunstwerken sind und dabei ausgerechnet Wolfgang Herrndorf links liegen lassen, sind durch diesen Artikel in einige Erklärungsnot gesetzt.
Ach so, welche Figur die mit dem Gedächtnisverlust ist, erläutert Michael Maar auch. DRK
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