Die Knochenstruktur der Nazis

Vom naiven Partygirl zur Kommunistin: Die Erinnerungen einer amerikanischen Botschaftertocher, 1939 ein Bestseller in den USA, liegen jetzt auch auf Deutsch vor

Sie will an das roman-tische Deutschland der Dichter und Denker glauben

Bei einem New Yorker Verlag erschien 1939 unter dem Titel „Through Embassy Times“ ein Buch über Deutschland im Nationalsozialismus, das bald zu einem Bestseller wurde. Martha Dodd, die Tochter des amerikanischen Botschafters William E. Dodd, berichtete darin aus ihren Jahren in Deutschland von 1933–1937. Nun hielt es der Eichborn-Verlag für eine gute Idee, das Buch auch deutschen Lesern anzubieten.

Der Beginn dieser Autobiografie liest sich allerdings etwas zäh. Zuerst kann man an den schönen Bildungserlebnissen einer Tochter aus gutem Hause teilhaben, dann muss man sich nach ihrer Ankunft in Berlin durch seitenlanges Namedropping lesen: Putzi von Hanfstaengl, die Prinzen aus dem Haus Hohenzollern, Gestapo-Gründer Rudolf Diehls usw. Interessant an diesen ersten Kapiteln ist es aber zu erfahren, wie eine junge Amerikanerin im Jahre 1933 die Deutschen sah und was sie als ihren „Nationalcharakter“ definierte: Die Deutschen haben also ein mythisches Verhältnis zu ihrem Vaterland, eine „Vorliebe für ausgedehnte Sonntagsspaziergänge“. „Die Deutschen wollen, dass man Frauen nur sieht, nicht hört, und sehen soll man sie nur als Anhängsel eines glanzvollen Mannes […].“ Darüber, wie es bei Botschafters so zugeht, erfährt man zunächst wenig, in den Klagen über das glanzvolle, aber sehr formelle und langweilige Parkett des diplomatischen Korps stecken wenig Details.

Heute würde man Martha Dodd wahrscheinlich ein „society girl“ nennen, als Gastgeberin nächtelanger Partys wird sie Mittelpunkt einer trinkfreudigen internationalen Clique; Zeitungsleute, unterbeschäftigte Grafen und Fürsten, Diplomaten und Gesandte gehen in der Tiergartenstraße ein und aus. Schließlich soll sie dem heiratswilligen Hitler vorgestellt werden, auf diese nur minutenlange Begegnung beruft sich der reißerische deutsche Titel der Übersetzung: „Nice to meet you, Mr. Hitler“.

Martha Dodds erster Eindruck ist „… das Bild eines schwachen, weichen Gesichts mit Tränensäcken unter den Augen, vollen Lippen und einer kaum vorhandenen Knochenstruktur […], nur in den verrückten brennenden Augen konnte man die schreckliche Zukunft Deutschlands sehen“. Ein weiterer Beitrag zum Thema Hitler menschlich gesehen/Hitler dämonisiert, der einem bis dahin nicht wirklich gefehlt hat. Zu dieser Zeit hatte Martha Dodd noch eine naive Begeisterung für Deutschland, für die Dynamik und den Aufbauwillen der jungen Diktatur. Einfachheit, eine Art kindliche Warmherzigkeit und Neugier schätzt sie als Qualitäten der Deutschen, die preußische Starrheit und Arroganz sind für sie nicht typisch, sie will an das romantische Deutschland der Dichter und Denker glauben.

Die Botschaftskinder freunden sich mit den Hohenzollernprinzen an, werden nach Potsdam eingeladen, sind von der kronprinzlichen Etikette aber eher irritiert als beeindruckt: „Das Wort Potsdam war in der Berliner Gesellschaft eine leichte Schmähung, und mit dem Ausdruck ‚Sei nicht so Potsdam‘ rügte man jemand, der sich plötzlich blasiert und scheinheilig gab.“

Aber Dodd erläutert auch ausführlich das Verhältnis Hitler/Hohenzollern und die Hoffnung der Monarchisten auf die Restauration. Lange Kapitel des Buchs sind ein einziges Who’s who der Korpsdiplomaten, Zeitungsleute und Nazigrößen. Die werden allesamt erst äußerlich bis auf die „Knochenstruktur“ hin beschrieben, dann langwierig charakterlich, gesellschaftlich und politisch eingeordnet.

Doch im weiteren Verlauf der Biografie lässt sich mitverfolgen, wie sich die politisch naive, leichtfertige Botschaftertochter zu einer politischen Beobachterin wandelt. Die „Säuberungsaktionen“ des Jahres 1934, das Klima der Angst, das ein allgegenwärtiges Spitzel -und Terrorsystem hervorruft, die Verarmung des kulturellen Lebens, der traurige Zustand von Film,Theater und Musik geben auch Martha Dodd zu denken.

1934 reist sie alleine einen Monat lang durch Russland, um „den Wahrheitsgehalt der nazistischen Hetze zu überprüfen“. Ihre Beobachtungen sind dabei recht schwärmerisch und unkritisch, aber sie wendet sich dem Kommunismus zu und gibt bald danach Informationen aus der eigenen Botschaft an die Sowjets weiter.

Eine einzigartige persönliche Innenansicht des Dritten Reichs hat Dodd mit ihrem Buch höchstwahrscheinlich den amerikanischen Zeitgenossen geliefert, aber heute kennt man die beschriebenen Personen aus hunderten von Filmen und Dokumentationen zur Genüge. Und so sind für den Leser von heute eher die Beschreibungen des gesellschaftlichen Lebens interessant. CHRISTIANE RÖSINGER

Martha Dodd: „Meine Jahre in Deutschland 1933–1937. Nice to meet you, Mr. Hitler!“ Eichborn Verlag, Berlin 2005, 448 S., 24,90 €