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: Entsetzliche Lücke

Die Kritik am Bündnis Sahra Wagenknecht ist berechtigt. Aber für den Erfolg der populistischen Partei tragen Linke und Ampel eine Mitverantwortung

Es klafft eine Lücke im deutschen Parteiensystem. Und es gibt eine neue Partei, die es schafft, diese zu füllen. Wählerinnen, die frustriert sind von der Ampel-Koalition, aber in der CDU und der Linkspartei keine Alternative sehen und auch nicht die extrem rechte AfD wollen, können nun das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) wählen. Zwar sind die Ergebnisse für das BSW bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen nicht so astronomisch hoch, wie es zwischenzeitlich prognostiziert worden war. Aber von null auf zweistellig, das ist ein erklärungsbedürftiges Ergebnis für eine Partei, die sich erst vor acht Monaten gründete.

Angetreten war das BSW, um die AfD zu schwächen. Nachwahlbetrachtungen zur Wählerwanderung zeigen: Das BSW ist tatsächlich die einzige Partei, an die die AfD insgesamt Stimmen verloren hat. Noch mehr wurde die neue Partei aber von Menschen gewählt, die vorher die Linke oder Ampel-Parteien gewählt haben. Viele haben die Wahl laut Umfragen außerdem genutzt, um ihren Protest auszudrücken: nicht nur in der Friedensfrage, sondern auch in der Sozialpolitik. Inhaltlich stellt sich die Partei breit – man könnte auch sagen widersprüchlich – auf. Man will sozial­politisch links sein und in der Migrationspolitik rechts. Wenn man neu ist und nicht vorbelastet durch schmutzige Realpolitik, kann man sich diese Widersprüchlichkeit erlauben.

Viele hatten Wagenknecht einen Erfolg nicht zugetraut. Als sie und ihre Getreuen die Linkspartei verließen, eilte ihr der Ruf voraus, dass sie in Talkshows reden, aber keine Partei führen kann. Das mag stimmen. Aber sie hat Menschen gefunden, die das für sie übernehmen. Zudem glaubten viele, dass die neue Kaderpartei wegen ihrer restriktiven Art, Mitglieder aufzunehmen, im Wahlkampf große Nachteile haben würde. Diese Prognose hat sich als falsch erwiesen. Das BSW ist nicht trotz, sondern wegen der wenigen Mitglieder erfolgreich. Das bewährte Modell der Mitgliederpartei aus der alten Bundesrepublik ist nicht mehr attraktiv, gerade in Ostdeutschland mit seiner geringen Parteieinbindung kommt eine Partei gut an, die vorgibt, anders als die anderen zu sein. In der Migrationspolitik ist das BSW mittlerweile auf einer traurigen Linie mit AfD, CDU und Teilen der Ampel. Gefährlich machen das BSW aber zwei andere inhaltliche Festlegungen: Ihr Umgang mit der AfD und ihre Ukraine-Politik. Thüringens Landeschefin Katja Wolf hat angekündigt, vernünftigen Anträgen der AfD im Landtag zuzustimmen. Das ist ein weiterer Tritt gegen die Brandmauer, die ohnehin nur noch aus ein paar wackeligen Pfeilern besteht. Dem Wahlgewinner, der AfD, eröffnet das neue Möglichkeiten, die anderen Parteien im neuen Landtag vor sich herzutreiben.

Genauso gefährlich ist die Ukraine-Politik des BSW. Von möglichen Koalitionspartnern verlangt Wagenknecht eine Ablehnung der Stationierung von US-Raketen. Selbst wenn man sich in den Ländern bei den anstehenden Verhandlungen auf Formelkompromisse einigen sollte, birgt der Erfolg des BSW die Gefahr, dass auch die Parteien, die an der Seite der Ukraine stehen, irgendwann einknicken. Und doch sind es die bürgerlichen Parteien von Grünen bis zur CDU, aber auch die Linke, die mit ihrer Politik die Lücke gerissen haben, die das BSW füllt. Der BSW-Erfolg hat viele Mütter: Zuallererst die Politik der Ampel, das Gefühl, in ökonomisch und politisch unsicheren Zeiten von einer Koalition regiert zu werden, die handlungsunfähig ist und sich trotzdem für alternativlos hält.

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Kersten Augustin leitet gemeinsam mit Dinah Riese das Inlandsressort. Seit2015 ist er bei der taz als Redakteur der taz.am wochen­­ende, ab 2022 war er stellvertretender Ressortleiter der damals neu gegründeten wochentaz.

Besonders in der Friedensfrage hat die Ampel das Unbehagen in der Bevölkerung unterschätzt. Viele verstehen nicht, dass die Ampel Milliarden für einen Krieg bereitstellt und zeitgleich bei der Sozialpolitik spart. Auch der Kanzler hat nicht verstanden, wie groß die Kriegsangst ist, als er die Stationierung der US-Raketen ohne größere Debatte oder ein gemeinsames europäisches Abkommen beschloss. Kanzler und Ampel schaffen es nicht, ihre Ukraine-Politik zu erklären. So sind viele Menschen offen für einfache populistische Antworten auf geopolitische Fragen.

Aber auch die Linke ist teilweise für die Lücke verantwortlich: Auf Bundesebene hat man sich von der Spaltung schlechter erholt als Wagenknechts Truppe. Eine klare Haltung zum Ukraine-Krieg, die Pazifismus und Solidarität mit dem überfallenen Staat überzeugend miteinander verbindet, hat die Partei immer noch nicht, vielleicht ist es auch nicht möglich. Das BSW will das gar nicht erst und hat es deshalb leichter. In Thüringen kommt dazu, dass die Linke als Partei des Ministerpräsidenten als Protestpartei nicht mehr infrage kam. Sie wird mitverantwortlich gemacht für die instabilen politischen Verhältnisse der vergangenen Jahre. Für die Linke ist das ein Dilemma: Sie ist als Regierungspartei und als Oppositionspartei gescheitert und hat in beiden Feldern eine linkskonservative Konkurrenz bekommen.

Kann die neue Partei all diese Lücken ausfüllen? Das inhaltlich Diffuse und die geringen Mitgliederzahlen werden nach den Wahlen zur Herausforderung. Eine Partei mit Fraktion und möglicherweise sogar Ministerien braucht Personal. Sollte die Partei Teil einer Koalition mit einer knappen Mehrheit im Erfurter oder Dresdner Landtag werden, muss das heterogene Bündnis aus Politikneulingen, Ex-Grünen und Ex-Linken, Unternehmern und Fernsehmoderatoren zusammengehalten werden und disziplinierte Fraktionen bilden. Da wird es schwieriger, von Berlin oder aus dem Saarland die Kontrolle zu behalten.

Die neue Partei wurde von Menschen gewählt, die vorher die Linke oder Ampel-Parteien gewählt haben

Die Widersprüche innerhalb des BSW werden zunehmen. Die Landesverbände werden Verantwortung übernehmen wollen und Koalitionen mit jenen Parteien schmieden, die Wagenknecht bislang als „Sumpf“ beschimpft hat. Die Vorsitzende dagegen wird sich mit Realpolitik nicht schmutzig machen und als neue Oppositionspartei in den Bundestagswahlkampf ziehen wollen. Ob das zusammengeht? Wenn die Ampel so weitermacht, vermutlich schon.