piwik no script img

Abseits des Rummels

Es muss nicht immer gleich Cannes, Berlin oder Venedig sein: In Deutschland gibt es eine Vielzahl kleiner und charmanter Filmfestivals. Oft wird das Hauptprogramm hier durch Hommagen und Retrospektiven ergänzt. Ein Überblick

Von Fabian Tietke

Wenn Ende des Monats der fliegende Zirkus der Filmfestivals auf dem Lido in Venedig landet, neigt sich das Filmjahr langsam zu Ende – zumindest aus Sicht des europäischen Films. Mit den Internationalen Filmfestspielen von Venedig schließt sich die Trias Berlinale – Cannes – Venedig, also jener Filmfestivals, die größere Relevanz für den europäischen und in Teilen auch nordamerikanischen Markt haben.

Insgesamt nur 15 Filmfestivals listet die internationale Vereinigung der Filmproduzenten (FIAPF) als sogenannte A-Festivals – gegründet wurde die FIAPF 1933, zwei Jahre vor den Filmfestspiel in Venedig, dem ältesten Festival der Welt. Das primäre Kriterium für die A-Kategorisierung ist ein internationaler Wettbewerb. Inoffizielle Währung sind Weltpremieren und Star-Besuche. Entsprechend sind Festivals nicht das Ende, sondern der Anfang des Lebens eines Films.

Gerade aus Sicht normaler Zu­schaue­r*in­nen gibt es hierzulande eine ganze Reihe Festivals, die die Gelegenheit bieten, Filme und ihre Crews zu erleben. Und so sichten landauf, landab das Jahr über Sichtungskomitees Filme, um eine Auswahl zu treffen.

Eine klassische Kategorie ist dabei das Festival der Festivals, also jene Art Filmfestival, die eine Auslese des Festivaljahrs präsentieren, jeweils ergänzt um einige eigene Premieren. Ende September präsentiert das Filmfest Hamburg Höhepunkte des Festivaljahrs, Anfang Oktober beginnt das Filmfest Osnabrück und ab Mitte Oktober folgt das Film Festival Cologne. Alle diese Festivals unternehmen in ihrem Hauptprogramm einen Rückblick auf das bisherige Festivaljahr ergänzt um eigene Entdeckungen, bieten eine Plattform für die jeweilige regio­nale Filmbranche und setzen daneben sehr eigene Themenschwerpunkte.

Hamburg etwa hat eigene Sektionen für asiatisches, für politisches und für spanisch- oder portugiesischsprachiges Kino. Das Festival in Köln präsentiert in Nebenreihen ein Best of Serien und zahlreiche Veranstaltungen zur aktuellen Medienlandschaft, oft eher jenseits des Films.

Das Filmfest Osnabrück ist ein Hybrid zwischen Festival der Festivals und Menschenrechtsfilmfestival – einem Schwerpunkt, der sich unterdessen zu einem eigenen Festivalgenre entwickelt hat. In Osnabrück hat es schon seit 1986 Tradition, dass einerseits auch hier eine Auslese des Festivaljahrs präsentiert wird, doch berücksichtigt die Auswahl vor allem engagiertes Kino. Die Preise des Festivals honorieren denn auch Filme, die „sich durch ein humanistisches Menschenbild und soziales Engagement“ auszeichnen bzw. einen Spiel- oder Dokumentarfilm, „der sich überzeugend mit der Situation der Kinder und ihrer Rechte in der Welt auseinandersetzt“ (Filmpreis für Kinderrechte).

Auch das Oldenburg Filmfestival hat zwar ein internationales Programm, zugleich jedoch einen Schwerpunkt auf unabhängigen Film aus Deutschland und den USA. Das Festival nimmt die Verzahnung von aktuellem Film und der Geschichte des unabhängigen Films sehr ernst und flankiert das Hauptprogramm traditionell mit gleich zwei Filmprogrammen, die ältere Filme wieder auf die Leinwand bringen. Gleich eine gute Handvoll Preise zeichnen bemerkenswerte deutsche Filme aus. Durch den Schwerpunkt auf unabhängigen Film entzieht sich das Oldenburg Filmfestival zumindest teilweise den Zwängen und Erwartungen, die die deutsche Filmindustrie an Branchenplattformen richtet.

Das lässt sich am Programm der beiden anderen Festivals für deutschen Film erkennen, die bis zum Jahresende noch stattfinden. Das Festival des deutschen Films in Ludwigshafen am Rhein markiert als Plattform für deutschen Film eher das gegenüberliegende Spektrum zu Oldenburg und setzt in der Auswahl durchaus zentral auf populäre Spielfilme, ergänzt um Fernseharbeiten.

Das älteste Filmfestival für den deutschen Film, die Internationalen Hofer Filmtage, wiederum widmet sich Ende Oktober dem deutschsprachigen Film jenseits des Mainstream in seiner ganzen formalen Bandbreite: Spielfilme stehen neben Dokumentarfilmen, Langfilme neben Kurzfilmen. Besondere Aufmerksamkeit erfährt in Hof der filmische Nachwuchs in Form jener Filme, die an den Filmhochschulen in Deutschland, Österreich und der Schweiz entstehen.

Festivals bieten die Gelegenheit, Seitenwege der Filmgeschichte zu entdecken

Die Provinziale, die Mitte Oktober in Eberswalde stattfindet, hat zwar keinen Wettbewerb präsentiert aber jedes Jahr wieder eine liebevoll zusammengestellte Auswahl internationaler Filme von großer formaler Bandbreite ergänzt um Sonderprogramme und einzelne historische Filme.

Im Kalender Dokumentarfilmbegeisterter stehen in jedem Herbst seit Jahrzehnten gleich zwei Einträge fest: das Internationales Leipziger Festival für Dokumentar- und Animationsfilm und die Duisburger Filmwoche. Dok Leipzig, das wohl wichtigste Festival für Dokumentarfilm im deutschsprachigen Raum, findet in diesem Jahr Ende Oktober statt. Das umfangreiche Programm des Festivals, das im nächsten Jahr seinen 70. Geburtstag feiern kann, wartet mit gleich drei Wettbewerben auf (internationaler Dokumentarfilm, deutscher Dokumentarfilm und internationaler Animationsfilm) und stellt diesen dann noch eine ganze Anzahl von Nebenreihen und eine Retrospektive an die Seite. Ebenso wichtig ist das Leipziger Festival auch als Markt für den deutschsprachigen und zunehmend auch den osteuropäischen Raum.

Kurz nach Dok Leipzig folgt die Duisburger Filmwoche, ein quicklebendiger Anachronismus unter den Festivals und die ideale Wahl für alle, denen es schwerfällt, sich zwischen Filmen zu entscheiden. Das muss man in Duisburg nämlich nicht tun. Es läuft immer nur ein Film, der anschließend ausführlich und kenntnisreich, wenn auch längst nicht mehr so kontrovers wie in früheren Jahren diskutiert wird. Die Anzahl der Filmfestivals, die sich auf die Filmkultur bestimmter Regionen spezialisiert haben, ist groß und unterdessen ziemlich unübersichtlich. Nichtsdestotrotz: Das FilmFestival Cottbus ist seit Jahren ein fester Termin für alle, die sich für osteuropäisches Kino interessieren. Anfang November lädt das Festival erneut ein zu einer Entdeckungsreise durch eine Region voller Filmkulturen mit großer Tradition und noch größerer Gegenwart und das seit 1991.

Filmfestivals – von Cottbus bis Ludwigshafen

Filmfest Osnabrück, 1.–6. Oktober 2024, filmfest-osnabrueck.de

Film Festival Cologne, 17.–24. Oktober 2024, filmfestival.cologne

Filmfest Hamburg, 26.9.–5.10.2024, www.filmfesthamburg.de

Internationales Filmfestival Oldenburg, 11.–15. September 2024, www.filmfest-oldenburg.de

Festival des deutschen Films, Ludwigshafen am Rhein, 21. August – 8. September 2024. www.festival-des-deutschen-films.de

Internationale Hofer Filmtage, 22.–27. Oktober 2024, www.hofer-filmtage.com

Provinziale Eberswalde, 10.–19. Oktober 2024, filmfest-eberswalde.de/wordpress

Internationales Leipziger Festival für Dokumentar- und ­Animationsfilm (DOK Leipzig), 28. Oktober – 3. November 2024, www.dok-leipzig.de

FilmFestival Cottbus, 5. –10. November 2024, www.filmfestivalcottbus.de

Es ist längst nahezu unmöglich geworden, einen vollständigen Überblick über die Vielzahl von Filmfestivals in Deutschland und erst recht in Europa zu behalten.

Gemeinsam ist den allermeisten Filmfestivals neben dem Drang zu unübersichtlichen Websites eines: Fast alle ergänzen ihr aktuelles ­Programm durch Hommagen und Retro­spek­tiven. Und gerade hier verdienen auch kleinere Festivals die Aufmerksamkeit. Während diese bei den A-Festivals mal mit mehr, mal mit weniger Aufwand und Engagement zusammengestellt werden, sind die historischen Programme für kleinere Festivals eine Möglichkeit zu glänzen und für das Publikum eine Gelegenheit, Seitenwege der Filmgeschichte zu entdecken, die sonst oft unsichtbar bleibt.

Auch sonst sind Filmfestivals unverzichtbar, um aktuelle Entwicklungen einer globalen Filmkultur sichtbar zu halten. Filmfestivals, und gerade die kleineren unter ihnen, sind eine wichtige Ergänzung des normalen Kinoprogramms, gerade auch in Zeiten des Kinosterbens, das vor allem jenseits der Großstädte nach wie vor akut ist.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen