piwik no script img

MitStieldurchden Sommer

Brausebonbonsplitter und getrocknete Erdbeerstückchen knistern und knallen auf meiner Zunge. Nach einigen Sekunden ist das Feuerwerk in meinem Mund vorbei und der Geschmack von Frucht breitet sich aus. Erst Rot, dann Orange, dann Gelb. Statt die Farben durch einen Blick auf die Verpackung auf ihre Geschmackssorte zu überprüfen, schiebe ich mir das ganze Eis auf einmal in den Mund, weil ich es nicht länger aushalte. Alles wird taub.

Plötzlich bin ich wieder neun Jahre alt, trage bunte Strähnchen in meinen Haaren und tanze mit meinem Bruder unter Wassersprenklern in unserem Garten. Das Kaktuseis schmeckt nach Hitzefrei und der Fahrt in den Urlaub nach Italien.

Aber Moment mal: Hat es auf meiner Zunge nicht mal mehr und länger geprickelt? Ich statte dem Freibadkiosk einen zweiten Besuch ab und schaue mit kritischem Blick in die Eistruhe. Dann entdecke ich einen weiteren Hit meiner Kindheit: das Smarties-Eis. Anders als beim Kaktus sorgt es erst ganz am Ende für eine Überraschung. Nämlich dann, wenn man seinen Kopf in den Nacken legt, um mit einem kräftigen Ruck alle Smarties auf einmal aus dem Stiel in seinen Mund zu befördern.

Ich kaufe es sofort und lecke so schnell ich kann die mit kleinen Smartiestücken versetzte Vanillecreme aus der Verpackung. So, jetzt Kopf in den Nacken und – nichts. Der Plastikstiel ist hohl, kein einziges Smartie fliegt in meinen Rachen. Ich bin geschockt.

Als wären die Entwicklungen der Eisindustrie nicht schon frustrierend genug. Die Preise sind in den vergangenen Jahrzehnten stark angestiegen. Selbst das Institut der deutschen Wirtschaft stellt sich die Frage: Wie lange müssen die Deutschen heute durchschnittlich arbeiten, um sich ein Eis am Stiel leisten zu können? Das Ergebnis: 5 Minuten und 24 Sekunden für ein Cornetto, 7 Minuten und 17 Sekunden für ein Magnum. Zur Jahrtausendwende kostete ein Magnum-Eis noch 1,30 Euro, heute zahlen wir mehr als das Doppelte.

An das Verhältnis von Nettolohn zu Eispreisen habe ich damals natürlich keinen einzigen Gedanken verschwendet. Mein Bruder und ich kriegten jeweils einen Euro in die Hand gedrückt, mit dem wir uns freudestrahlend auf den Weg zum Tante-Emma-Laden meiner Patentante machten. Dort wurden wir reich beschenkt und hatten bis zum Ende des Tages Bauchschmerzen.

Vielleicht hilft es, die Augen zu schließen und an früher zu denken, rede ich mir ein. Ich habe das dritte Eis des Tages in der Hand. „Bum Bum“, das wusste ich damals noch nicht, ist eine Anspielung auf den Spitznamen des Tennisspielers Boris Becker, die Form des Eises soll an seinen Schläger erinnern. 1986 kam es auf den Markt, ein Jahr nachdem „Bum Bum Boris“ das Tennisturnier von Wimbledon gewann. Als ich die Verpackung öffne, schießt mir sofort ein Gedanke in den Kopf. Nein, beruhige ich mich, bloß nicht aufregen. Einfach bis zum Kaugummistiel abwarten, dann wird alles gut. Und vielleicht ist das Eis ja auch gar nicht kleiner geworden, sondern ich einfach größer.Katharina Federl

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen