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Mit Handicap auf dem Weg zum Olymp

Seit einem Jahr gibt es in Kellinghusen einen paralympischen Stützpunkt. Schleswig-Holsteins Sport­le­r:in­nen mit Behinderung trainieren dort auf einem ehemaligen Kasernen-Gelände. Trainer gibt es genügend, Mangel herrscht jedoch bei den Hallenzeiten

Ob im Rollstuhl oder nicht: Wer Tischtennis spielen will, muss schnell reagieren Foto: Nadine Bieneck

Von Esther Geißlinger

Eine grün gestrichene Tür, von der die Farbe abblättert, dahinter führt ein gefliester Gang zur Halle, auf deren federndem Bodenbelag verschiedene Spielfelder eingezeichnet sind. Durch milchige Glaswände fällt Licht herein. Das Gebäude stammt aus den 1970er-Jahren, und die Renovierung ist längst nicht abgeschlossen.

Dennoch gerät Wolfgang Tenhagen, Präsident des Rehabilitations- und Behinderten-Sportverbands Schleswig-Holstein (RBSV SH), ins Schwärmen, wenn er über die Halle spricht: Hier befindet sich seit Sommer 2023 Schleswig-Holsteins paralympischer Landesstützpunkt, ein wichtiges Zentrum für Sport­le­r:in­nen mit Behinderungen.

Die Sporthalle liegt am Ende eines Areals mit langgestreckten Ziegelgebäuden, in denen einst über 1.000 Soldaten wohnten. Heute gehört die ehemalige Liliencron-Kaserne in Kellinghusen im Kreis Steinburg einem privaten Investor. Ein Teil der Gebäude soll demnächst in Wohnungen umgewandelt werden, ein anderer Teil beherbergt ein Hotel und die Sportstätten. Im Hotel mieten sich regelmäßig Sport­le­r:in­nen mit Behinderung ein, zurzeit vor allem Tisch­ten­nis­spie­le­r:in­nen und Fußballer:innen.

„Wir wollen paralympischen Sportlerinnen und Sportlern die Möglichkeit bieten, sich bestmöglich weiterzuentwickeln“, sagte Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) bei der Eröffnung des Stützpunktes. Er ist der erste in Deutschland, den eine Landesregierung direkt unterstützt – in anderen Ländern betreiben die Behindertensportverbände entsprechende Trainingszentren selbst. Das Land Schleswig-Holstein fördert den Stützpunkt in Kellinghusen mit 10.000 Euro pro Jahr.

„Das gemeinsame Training hier ist wichtig, weil die Leute zusammenkommen und sich austauschen können“, sagt Tenhagen. Der heute 76-Jährige war selbst Spitzensportler. Sein Hochsprungrekord liegt bei 1,68 Metern – aus dem Stand. Tenhagen erkrankte als Kind an Kinderlähmung. Sein rechtes Bein ist verkürzt, er trägt daher eine Prothese.

Als er als Jugendlicher Sport treiben wollte, gab es in seiner Heimatstadt Schleswig nur einen „Versehrtensportverein“, in dem sich Kriegsveteranen zum Kegeln und Faustball trafen. Tenhagen machte dort rasch Karriere, wurde Vorsitzender des 15-köpfigen Vereins und sorgte dafür, dass der Begriff „Versehrte“ aus dem Namen verschwand. Heute gehören dem RBSV SH knapp 400 Vereine landesweit mit rund 44.000 Mitgliedern an. „Wir haben die gesamte Palette, alle Ballsportarten, Schwimmen, Leichtathletik“, sagt Tenhagen.

Nicht nur das Spektrum, auch der Blick auf den Behindertensport hat sich geändert: Als Tenhagen 1978 seinen ersten Deutschen Meistertitel errang, schrieb ein Journalist der lokalen Schleswiger Nachrichten mitleidig über den „armen Behinderten, der nun auch noch Sport treiben“ müsse. „Den Mann habe ich mir vorgeknöpft“, sagt Tenhagen.

Heute ist es selbstverständlich, dass die Tribünen voll sind und die Spitzenpolitik anreist, wenn Rollstuhlfahrende, Amputierte oder Blinde um Medaillen kämpfen. Tenhagen sieht es als ein Erfolg, dass die Paralympischen Spiele weiterhin getrennt von den Olympischen stattfinden: „Sonst würden die Para-Wettbewerbe vermutlich nachts laufen, mit weit weniger Aufmerksamkeit.“ So wichtig Inklusion sei, bei den Spielen wäre sie unangebracht, findet er.

Denn wirklich gleich sind die Bedingungen für den Behindertensport nicht. Sowohl im Freizeit- als auch im Leistungsbereich stellen sich organisatorische Probleme, um die sich Nicht-Behinderte kaum zu kümmern brauchen. Das beginnt damit, im Training Geg­ne­r:in­nen zu finden, die nicht nur in einer ähnlichen Leistungs-, sondern auch in einer vergleichbaren Behinderungsklasse spielen.

Auch die Frage der Unterkunft sei immer schwierig, sagt Tenhagen: Viele Hotels trauten sich nicht zu, eine größere Gruppe von Menschen mit Behinderung unterzubringen. Ute Schmoock, Leiterin des Hotels auf dem Kellinghusener Kasernengelände und zuständig für die Halle, hat diese Sorgen längst abgelegt: „Man muss einfach sprechen und fragen, was gebraucht wird“, sagt die Managerin.

Heute ist es selbstverständlich, dass die Tribünen voll sind und die Spitzenpolitik anreist

So könnten nicht alle der Fußballerinnen mit geistigen Behinderungen, die regelmäßig in der Halle trainieren, gut lesen. Also erhalten sie Zimmerausweise mit Farb- statt Zahlencode. „Man findet einen Weg“, ist Schmoock überzeugt.

Immerhin gebe es genügend Trainer:innen, berichtet Tenhagen, denn der Behinderten- und Rehasport erhält dafür Mittel der Kranken- und Reha-Kassen. „Aber Hallenzeiten sind ein Problem“, schränkt er ein. Bevor es den Stützpunkt in Kellinghusen gab, mussten Vereine weit reisen und auch noch das schwere Gerät, etwa die Tischtennisplatten, transportieren.

Ein Wunsch der Be­hin­der­ten­sport­le­r:in­nen ist allerdings noch nicht erfüllt: Rollstuhlfahrende dürfen zurzeit nicht in der Halle trainieren, denn es fehlt an ausreichend breiten Notausgängen. „Hier herrscht noch der Charme der Bundeswehr“, seufzt Hotelleiterin Schmoock. „Aber wir arbeiten dran.“

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