Die Wahrheit: Marathon bis aufs Blut
Von wegen nur der olympische Gedanke zählt: keine Ehrenurkunde, keine Klassenfahrt! Ein Besuch im neuen Kindercamp gegen Schlaffitum.
Die Bluthunde der Kreisjägerschaft Eckernförde sind kaum noch zu halten. Karin Prien hat das sabbernde Rudel abwechselnd an den Socken der Grundschulkinder und an rohem Grillfleisch schnüffeln lassen. Auf das Signal der schleswig-holsteinischen Bildungsministerin lässt Waidmann Helge Petersen die jaulende Hetzmeute auf die innerstädtische Marathonstrecke los. Die Unionspolitikerin ist derweil voll in ihrem Element.
„Bei den großartigen Bedingungen und dem Schub an Extramotivation wäre alles andere als der Kinder-Europarekord eine faustdicke Überraschung!“, klatscht Prien vor lauter Überschwang jauchzend in die Hände.
Die Frontfrau der Kultuskonferenz hat die Reform der Bundesjugendspiele unlängst zur Chefinnensache erklärt. Der Kritik von Lehrern und Deutschem Sportbund (DSB) zum Trotz leitet sie das Erprobungszentrum an der Ostseeküste höchstselbst. Ihr Ziel ist klar: „Wettkampfcharakter und Leistungsprinzip müssen den Schülern ab dem ersten Contest in Fleisch und Blut übergehen.“ Prien hofft, aus infantilen Schlaffis Olympiasieger und hochmotivierte Führungskräfte für Politik und Wirtschaft formen zu können. Die Freude an der Basisarbeit mit Minderjährigen ist der strahlenden 59-Jährigen jedenfalls deutlich anzumerken.
Es ist Mittag. Bei dreißig Grad im Schatten stehen für die Pennäler im Kieler Uni-Stadion die Leichtathletikwettkämpfe an. Kaum hat Prien die Stange beim Hochsprung auf erbarmungslose 2,45 Meter anheben lassen, hastet die stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende schon mit der Startschusspistole Richtung Tartanbahn. Dort sehnen insgesamt acht Jungen und Mädchen mit ineinander verschränkten Beinen und Schweißperlen auf der Stirn verzweifelt das Signal zum Losrennen herbei.
Fünf Liter Cola
„Wir haben unseren kleinen Athleten nach dem Genuss von fünf Litern eiskalter Cola erst mal eine Wartezeit verordnet“, versucht die Quereinsteigerin ein breites Grinsen gar nicht erst zu unterdrücken. Wie sie uns dann erzählt, sei die Rettung zumindest für ein Kind zum Greifen nah.
„Direkt hinter der Ziellinie des Zweihundert-Meter-Laufs wartet auf den Ersten oder die Erste ein exklusives Dixie-Klo. Die weiter hinten platzierten Wettkämpfer laufen jeweils so lange weiter, bis das Toilettenhäuschen wieder frei ist. So sorgen wir dafür, dass auch auf den 400-, 5.000- und 10.000-Meter-Strecken internationale Bestmarken fallen.“
Prien raucht noch genussvoll eine Zigarette, nimmt ein ausgiebiges Sonnenbad und checkt anschließend die Nachrichten auf ihrem Handy. Erst dann betätigt sie endlich den Abzug und lässt es knallen. Während die Kombattanten im Kampf ums stille Örtchen mit gefühlter Lichtgeschwindigkeit an uns vorbeijagen, folgen wir der frivolen Ministerin in die benachbarte Schwimmarena.
Mit harter Hand
Auch hier regiert die Trainerin aus Leidenschaft mit harter Hand. „Um über eine läppische Teilnahmebescheinigung hinauszukommen, müssen sich die Kurzen schon mächtig ins Zeug legen“, gibt es von der Selfmadekarrieristin nichts geschenkt. Ganz im Gegenteil. „Keine Ehrenurkunde, keine Klassenfahrt!“, zuckt Prien wie selbstverständlich mit den Schultern und gewährt uns einen Einblick in die brandneuen Wettkampfdisziplinen, die ab dem neuen Schuljahr in leicht abgewandelter Form für alle Bundesländer verpflichtend sein sollen.
„Bevor die Neunjährigen im Freiwasser durch die Kieler Förde nonstop nach Rügen schwimmen, werden sie vom Zehnmeterturm den Handstandsprung mit Delfinsalto rückwärts und viereinhalb Schrauben ausführen. Apnoetauchen steht wegen einer Intervention von Karl Lauterbach aus medizinischen Gründen leider erst ab der 6. Klasse auf dem Programm.“
Die Sonne geht bereits unter, als im Kieler Jachthafen mit dem U-11-Deutschland-Achter das Herzstück der Schulsport-Renaissance auf uns wartet. Damit bei der Übernachtfahrt in den Kattegat nicht der Schlendrian einkehrt, gibt Prien vom Heck der galeerenartigen Jolle den Rhythmus mit markigen Trommelschlägen vor. Die beinharte Tour, bei der wir unverhofft alle acht an Mumps erkrankten Schulkinder an der Ruderbank ersetzen müssen, endet mit unserer Meuterei weit vor der norwegischen Küste.
Nach reiflicher Überlegung lassen wir die Oberlehrerin während eines Landgangs mit ausreichend Proviant auf einer unbewohnten Vogelinsel zurück. Auch wenn die Bildungsministerin hilflos mitansehen muss, wie wir uns mit kräftigen Zügen in Windeseile von ihr entfernen, haben wir für Mitleid keine Zeit. Falls die Schleiferin vom Dienst schneller als vermutet gefunden wird, könnte sie das Höchstalter für Bundesjugendspiele aus Rache auf 50 Jahre hinaufsetzen. Sollte dieser Fall eintreten, möchten wir es in der Zwischenzeit mindestens bis zu den Osterinseln schaffen!
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