Zwangsarbeit und Fußball: Schuften und kicken

Nicht allen Zwangsarbeitern war in der NS-Zeit das Fußballspielen verboten. Eine Ausstellung zeigt, dass es sogar Länderkämpfe unter ihnen gab.

Portrait von Bram Appel

Bram Appel, der Niederländer, der 1942 nach Berlin verschleppt worden war, durfte bei Hertha BSC antreten, hier in einer Aufnahme aus dem Jahr 1955 Foto: piemags/imago

BERLIN taz | Das Länderspiel der Niederlande gegen Italien muss hart umkämpft gewesen sein. Am Ende siegten die niederländischen Fußballer knapp mit 4:3. Bei der Begegnung hatte keine Seite Heimrecht. Sie fand in Berlin statt, am 20. August 1944, mitten im Zweiten Weltkrieg. Die Spieler waren auch keine Profis. Es waren Zwangsarbeiter. Sie durften in ihrer kargen Freizeit – üblich war ein halber Tag in der Woche – mit dem Segen der Deutschen Arbeitsfront Fußball spielen. Die Nazis erhofften sich davon eine höhere Arbeitsleistung.

In Berlin erinnert eine Ausstellung anlässlich der Fußball-EM in Deutschland an Ereignisse wie dieses Spiel. „Ganz Europa kickte in Berlin“ ist der Name der Schau, und sie findet nicht zufällig in einer eher engen Baracke statt.

Das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit ist in ehemaligen Unterkünften von Menschen untergebracht, die in der Reichshauptstadt schuften mussten. Mehr als 8 Millionen Menschen waren von den Nazis nach Deutschland gezwungen worden, als Ersatz für die deutschen Männer an der Front.

Nicht allen von ihnen war es erlaubt zu kicken. Frauen schon mal gar nicht. Aber auch den meisten Männern aus Osteuropa blieb es verboten. Sie galten den Nazis als minderwertige „Untermenschen“, denen ein solches Privileg der Freizeitgestaltung nicht zustand, ebenso wenig wie ein Ausgang aus ihren Lagern oder ein Essen, das satt machte.

Die Macherinnen der Schau berichten, dass sie keinen einzigen Beleg für sowjetische Spieler gefunden hätten. Dafür aber das Foto eines Schilds mit der Aufschrift: „Polen ist das Betreten des Sportplatzes bei Strafe verboten.“

Doch manche spielten trotzdem. Sie hielten sich nicht an die Verbote, trotz strenger Strafen. So wie der Pole Tadeusz Brzeski, der 1940 nach Hamburg verschleppt worden war und gut Deutsch sprach. „Ich fand Interessierte und gründete eine Fußballmannschaft“, wird Brzeski in der Ausstellung zitiert. Sie spielten gegen Holländer. „Viel Freude und Aufregung“ habe es da gegeben.

Länderwettkämpfe unter Zwangsarbeitern

Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen aus westlichen Staaten war das Fußballspielen dagegen erlaubt. Betriebe hielten sogar Sportplätze für sie bereit, auf denen die Männer an „Sporttagen“ auftreten durften. Trikots und Bälle stellten Lagerleitung oder Firmen. So kam es zu Turnieren zwischen Betrieben, die ab 1942 in einer Berliner „Lager-Liga“ kickten. Bald darauf spielten Zwangsarbeiter verschiedener Nationen gegeneinander.

Beim Spiel der Niederlande gegen Flandern im Juni 1943 soll es 15.000 Zuschauer gegeben haben, und als die Niederlande auf Serbien traf, gab es am Rande wilde Prügeleien. Zumindest auf den Rängen waren auch Frauen erlaubt, so wie für die Tschechin Vaclava Svobodová, die stolz auf ihre „Argus-Füchse“ war, als die einen Pokal gewonnen hatten.

Fußballtechnisch besonders versierte Spieler konnten schließlich auch in deutschen Vereinen mitspielen. So wie Bram Appel. Der Niederländer, der 1942 nach Berlin verschleppt worden war, galt als echter Goalgetter und durfte bei Hertha BSC antreten. Selbst der Völkische Beobachter berichtete über seine Tore, freilich ohne zu erwähnen, dass er ein Zwangsarbeiter war.

„Weil ich für die Hertha ein wichtiger Spieler war, hatte ich immer genug zu essen“, sagte Appel nach dem Krieg, der so zwar halbwegs durch die Schufterei gekommen war, aber nach 1945 bei seinen Landsleuten als Kollaborateur galt. Erst 1955 durfte Appel wieder in der holländischen Nationalmannschaft spielen.

Für die meisten Zwangsarbeiter wie für die Zuschauer war das Fußballspiel wohl eine willkommene Abwechslung vom immensen Arbeitsdruck, den Schikanen der Aufseher und der fehlenden Privatsphäre in den Schlafbaracken. Das Spiel konnte den Lebenswillen bewahren.

Für einige aber endete der NS-Terror tödlich. Julius Hirsch war vor der NS-Machtübernahme einer von zwei jüdischen Spielern in der deutschen Nationalmannschaft gewesen. 1933 kam er seinem Ausschluss von seinem Karlsruher Heimatklub durch den Austritt zuvor.

Juden durften fortan nicht mehr in deutschen Vereinen Sport treiben. Hirsch spielte für jüdische Klubs. Ab 1939 musste er Zwangsarbeit leisten. Im Frühjahr 1943 wurde Hirsch nach Auschwitz deportiert und ermordet. Seinem Schicksal wird in dieser kleinen Ausstellung gedacht.

Ganz Europa kickte in Berlin. Fußball und Zwangsarbeit im Nationalsozialismus – ­Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit, Britzer Straße 5, Berlin-Schöneweide.

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