: Sie machen es so, wie sie es machen wollen
Nebel 3000 stellen ihr erstes Album vor. Darauf kommt einiges zusammen: Synthie-Krach, Schlagzeug-Ggebolze, Distortion-Gitarrensound sind so übergeschnappt, dass sie ihr Publikum oft überfordern
Von Jens Uthoff
Brezel Göring hat schon sehr viel wilde und weirde Musik in seinem Leben gemacht, seine noch recht junge Band Nebel 3000 aber toppt in dieser Hinsicht so einiges. Synthie-Krach, Schlagzeug-Gebolze, Distortion-Gitarrensound, all das kommt in dem übergeschnappten und durchgedrehten Sound der Band zusammen. Das Konzertpublikum zeigt sich damit manchmal überfordert: „Die Besucher fahren zwar sehr auf die Einzelpersönlichkeiten der Band ab, zum Beispiel auf den irren Spielstil unserer Gitarristin Lady Maru oder das Schlagzeugspiel unseres Drummers Bernardo. Aber die Herzen der Zuhörer gewinnen wir damit nicht unbedingt“, erklärt Göring, der in der Band die Synthesizer bedient. „Normalerweise kommen nach dem Konzert oft Leute zu einem und sagen, das habe ihnen gut gefallen. Oder sie fragen nach einer Platte. Bei Nebel 3000 ist das eher selten passiert“, sagt er und lacht.
Bis zum Tod seiner langjährigen Freundin und Weggefährtin Françoise Cactus im Februar 2021 war Brezel Göring Teil des weltweit erfolgreichen Punk-Chanson-Duos Stereo Total. Wie es künstlerisch weitergehen sollte, war für ihn danach völlig unklar. „Ich habe einfach sehr viel Neues ausprobiert“, erklärt er bei unserem Gespräch in der Eckkneipe am Kreuzberger Mariannenplatz. Den Verlust verarbeitet Göring seither vor allem in seinem Solowerk. Vor zwei Jahren hat er „Psychoanalyse Vol. 2“ veröffentlicht, im September erscheint der Nachfolger „Friedhof der Moral“. Doch daneben ist eben noch Nebel 3000 geblieben, sein vor drei Jahren gestartetes Bandprojekt mit den Italiener:innen Bernardo Santarelli (alias Noisy Pig) und Manuela Marugj (alias Lady Maru). In diesen Tagen erscheint „Frankenstein Freakout“, das Debütalbum der Band.
Die 13 Stücke des Albums sind alle in der Anfangszeit der Band entstanden, das Trio hat sie in nur wenigen Wochen komponiert. Der Titel des Werks trifft es insofern, als hier ein mitunter monströser musikalischer Freakout zu hören ist. Tracks wie „In Between“ oder „Dunkle Materie“ erinnern klanglich an avantgardistische Punk-Bands wie Devo und Suicide; wie jene experimentieren auch Nebel 3000 mit recht schlichten Beats und Störgeräuschen. Auch die US-Band Deerhoof könnte als Referenz herangezogen werden, der Sound von Stereo Total schimmert ebenfalls gelegentlich durch („Interrupted“, „Party Lights“).
Textlich geht es meist dadaistisch-minimalistisch zu wie etwa in „Krankenhaus“: „Ich geh rein / Und du kommst raus / Krankenhaus“. Recht einzigartig bei Nebel 3000: Zu den teils schwindlig machenden Synthesizerklängen gesellt sich ein zwischen Hardcorepunk und Freejazz anzusiedelndes Schlagzeug und eine rockig-postpunkige Gitarre. Für ungeschulte Ohren sind diese Klänge nichts.
Görings Mitstreiter:innen Bernardo Santarelli und Manuela Marugj stammen aus Rom und leben heute in Berlin. Sie organisierten schon in den frühen Nullerjahren Konzerte von Stereo Total in Italien und wurden zu Freund:innen der Band. Beide wirkten lange in der inzwischen aufgelösten Band Dada Swing. Lady Maru tritt heute auch als Hardcore-Techno-Produzentin in Erscheinung, Santarelli macht Modedesign, das in der queeren Szene sehr angesagt ist. Impopsible heißt sein Label.
Brezel Göring und die beiden verbindet eine gemeinsame Haltung; zum Beispiel sind Erfolg oder Zuspruch zweitrangig bei dieser Band. „Das mag ich an Bernardo und Maru: Sie machen es einfach so, wie sie es machen wollen – und alles andere ist ihnen ein Stück weit egal“, sagt Göring. Derzeit versucht er, seine beiden Bandmates in eine andere Richtung zu stupsen: „Ich hab ihnen gesagt: ‚Ich will ab jetzt nur noch Disco und NDW machen.‘ Da haben sie ein bisschen komisch geguckt, aber das haben wir seither auch durchgehalten.“ Brezel Göring erzählt all das im Plauderton, zwischendurch erklingt seine charakteristische laute Lache.
Nebel 3000 scheint für ihn wie eine Spielwiese zu sein, das wird deutlich – vielleicht ist die Band ein Gegenpol zu seiner Arbeit als Solokünstler. Aber auch für sein Soloprojekt hat er neue Musikerinnen um sich geschart. Die beiden taiwanesischen Künstlerinnen Kai und Chang Wang unterstützen ihn, die Schauspielerin und Sängerin Lilith Stangenberg ist ebenfalls dabei.
Auf Görings bald erscheinendem zweiten Solo-Album „Friedhof der Moral“ wird auch Françoise Cactus’ Stimme noch einmal zu hören sein. Man darf sich auf großartige LoFi-Chansons mit fröhlich-dadaistischen Inhalten („Sexuell aufgeladen“, „Tschernobyl“) freuen. Doch wer auf Krachattacken und Exzess abfährt, der sollte sich mit Nebel 3000 beschäftigen.
Nebel 3000: „Frankenstein Freakout“ (Stereo Total/Flirt 99), Releaseshow: 26. Juli, Kleine Freilichtbühne Weissensee
Brezel Göring: „Friedhof der Moral“ (Stereo Total/Flirt 99), Pre-Releasehow: 31. August, Kantine am Berghain
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen