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Eine Idylle mitten in der Tristesse

Die Osnabrücker Bühne 11 ist ein besonderer Ort. Jung und Alt erproben hier ihre Kreativität in einem Stadtviertel voller Probleme. Die Hemmschwelle ist niedrig

Von Harff-Peter Schönherr

Die Spichernstraße im niedersächsischen Osnabrück ist keine Schönheit. Nur wenige Dutzend Schritte voneinander entfernt findet man dort eine Abrisslücke, die abgerockte Fassade einer Spielothek, eine Baustelle, eine grafittibesprayte Parkpalette; stadtauswärts eine Eisenbahntrasse, stadteinwärts ein verkehrslärmiger Platz mit rissigem Betonbelag, vor Jahren Kern eines Sanierungsgebiets des Bund-Länder-Städtebauförderprogramms „Soziale Stadt“.

Aber die Straße führt zu einem schönen Ort, der Bühne 11, benannt nach ihrer Hausnummer. Früher war hier mal ein Kino drin, ein Fitness-Studio, ein Autohaus mit Werkstatt, die German Musical Academy und ein Lehrstandort des Instituts für Musik der Hochschule Osnabrück. Mitte 2022 ist durch den Verein „Die Kulturmacher“ ein Probenraumzentrum entstanden, das antritt, „Menschen miteinander zu verbinden“, sagt seine Leiterin Swaantje Ohlrogge der taz, „niedrigschwellig und offen zu sein, Menschen die Gelegenheit zu geben, sich auszuprobieren“.

Die Bühne 11 ist rund 700 Quadratmeter groß. Wer sie betritt, erlebt ein Foyer, in dem Polstersessel aus alten Tagen stehen und bunte Mülleimer mit Namen wie „Fill Jill!“, wo Kids Puzzles und einen Kaufmannsladen finden, eine Verschenkbox und Bücher wie „Der Roller ist weg“. An der Wand, in Rot, ein großer Schriftzug aus Textilklebeband: „MACH HALT WAS“.

Weiter drinnen folgen Tanzsäle und ein Theatersaal, Räume für Einzelproben und Seminare, Spiegelwände, Klaviere und Flügel, Scheinwerfer unter der Decke, Lautsprecherboxen. Glasbaustein-Elemente von einst sind bewahrt. Die Duschen haben den Retro-Charme einer Industrieumkleide. Und im Büro steht ein hoch theatralischer Stuhl aus Holz und Leder, der wunderbar in einen Film noir passen würde, in die Detektei eines zynischen Ex-Cops. Er stammt aus dem Fundus einer örtlichen Amateurbühne.

Viele, die hierherkommen, kommen aus der Nachbarschaft; sie ist geprägt von migran­tischen Communitys, prekären Lebensumständen, einem Mangel an Grün. Grundschüler kommen, Menschen aus über 60 Vereinen kommen, Gruppen, Institutionen. Musikvideos entstehen hier, Theaterstücke. Und niemand steht dabei „unter dem Druck, dass etwas Vorführreifes entstehen muss“, sagt Ohlrogge. „Vieles ist einfach Spaß an der Freude.“

Manchmal mieten sich auch Profis ein, vom Gesangscoach bis zum Kunsttherapeuten. Rollen- und Choreografie-Vorbereitungen findet hier statt, auch schon mal eine theater­pä­da­gogische Fortbildung. Die Preise sind moderat, was nicht zuletzt am Geldgeber liegt, der Felicitas-und-Werner-Egerland-Stiftung, spezialisiert auf Jugendförderung.

Für Vereinsmitglied Vincent Siedeberg ist die Bühne 11 ein Ort, an dem er „an die Gesellschaft etwas zurückgeben kann“. Er macht hier, „was gerade anfällt“, sagt er der taz, vom Entwurf von Flyern bis zum Stapeln von Getränkekisten. Und dann erzählt er, wie schwer es war, für die Partizipativ-Aktion, in der Künstler Alexej Eisner während des Sommerfestes Mitte Juni eine ganze Foyerwand neu gestaltet hat, mit Hilfe vieler Kids, sehr bunt, einen anderen Begriff als „Kunst“ zu finden. „Wenn man so was sagt, baut das ja Hemmschwellen auf!“

In einem Saal Richtung Innenhof arbeiten sich Jugendliche der Ukrainischen Gemeinde Osnabrück mit ihrer Regisseurin Jana Bilko durch eine Schauspiel-Stellprobe, Textbücher in den Händen. Ernst teilt sich mit, Konzentration, aber es wird auch viel gelacht. Irina Glushchenko, Vertreterin der Gemeinde, sieht zu. „Wir haben lange nach einem Ort wie diesem gesucht“, sagt sie der taz. „Und jetzt fühlen wir uns hier richtig zu Hause.“ Seit Herbst 2023 kommen zwei Gruppen der Gemeinde hierher.

Im Büro steht ein hoch theatralischer Stuhl aus Holz und Leder, der wunderbar in einen Film noir passen würde

Von der offenen Tür des Saals, in dem Bilko ihre acht DarstellerInnen gruppiert, ihnen Texteinsätze gibt, Gesten zuweist, ist es nicht mehr weit bis zum Garten. Birnen und Pflaumen wachsen in ihm. Trotz der tristen Nachbargebäude ist es hier fast idyllisch. Von Zeit zu Zeit kommen gemeinschaftlich Blumenkellen und Astscheren zum Einsatz. Hinten links, am Ende einer Wildwiese, steht, wie ein Lost Place, halb versteckt ein ruinenhaftes Häuschen, das dringend eine Dachreparatur braucht. Rasenmäher und Stühle sind hier eingelagert. „Ganz generell haben wir viel selbst gemacht“, sagt Ohlrogge. „Böden erneuert und gereinigt, Wände gestrichen, Steckdosen angeschraubt, Wasserhähne repariert.“

Auch der niederländische Dirigent, Pianist und Sänger Ruud van Iterson gehört zur Gemeinschaft der Bühne 11. Er bietet den Musical-Chor „Together“ an, für Kinder und Jugendliche, kostenlos. Auch einen Holland-Chor leitet er, einmal im Monat. „Das hier ist eine gute Möglichkeit, etwas aufzubauen“, sagt er der taz. „Es geht um gute Gefühle, gute Energie. Wenn das gegeben ist, kann viel Schönes passieren.“ Man spürt, das hier ist nicht nur Teil seines Berufs. Das ist Berufung.

Im Foyer sind Kinderstimmen zu hören. Hinter einer der Türen singt sich jemand warm: „La-La-La-Lala-La“; vielversprechend hört sich das an. Van Iterson steht derweil unter dem „MACH HALT WAS“, um sich Mitstreiter, die hier auch alle was machen. Swaantje Ohlrogge und Vincent Siedeberg sehen zufrieden aus. Das ist schön.

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