: Bilder öffnen Welten
Zum 40-jährigen Bestehen gönnt sich das Braunschweiger Museum für Photographie eine Extraportion Dokumentarfoto-Preisträger*innen
Von Bettina Maria Brosowsky
40 Jahre Museum für Photographie in Braunschweig, 30 Jahre Förderpreis Dokumentarfotografie der Wüstenrot-Stiftung: Dieses Doppeljubiläum will man sich in der Okermetropole natürlich nicht entgehen lassen. Denn das Museum gehört seit Anbeginn zu jenen Häusern, die verlässlich die Wanderausstellung der jeweils vier Preisträger:innen des alle zwei Jahre ausgelobten Förderprogramms beheimaten.
Turnusmäßig wäre das aber erst 2025 wieder der Fall. Zum Jubiläum hat das Museum deshalb vier ehemalige Ausgezeichnete verschiedener Jahrgänge eingeladen und zeigt Auszüge aus den alten, prämierten Arbeiten sowie Aktuelles zur künstlerischen Weiterentwicklung der Fotograf:innen. Thematisch geht es dabei um Herkunft und Familienleben, also klassische Aufgabenstellungen der Fotografie, besonders einer dokumentarisch verstandenen.
Der „Senior“ ist Espen Eichhöfer, Jahrgang 1966 und Preisträger von 2001. Die Mutter Norwegerin, der Vater Deutscher, lebt und arbeitet er in Berlin. Eichhöfer ist seit 2004 Mitglied der dortigen Ostkreuz-Agentur der Fotografen, ein stilprägender Zusammenschluss aus Post-DDR-Zeiten. Eine neue sozialdokumentarische Bildserie beschäftigt sich mit seiner norwegischen Verwandtschaft, erzählt in situativer Lockerheit von ihrem kargen Leben in schneekaltem Klima.
Verena Jaekel, 2008 Preisträgerin, arbeitet mit dem klassischen Familienporträt. Für ihre sorgfältig arrangierten Sitzungen bevorzugt die 1980 Geborene die analoge Großformattechnik mit Negativ, wie für ihr Doppelporträt einer gemischt europäisch-indischen Hochzeitsgesellschaft: einmal in westlicher, einmal in traditionell nordindischer Garderobe. Birte Kaufmann, Preisträgerin anno 2012, ist ihrem damaligen Anliegen treu geblieben. Für ihre Serie „The Travellers“ begleitet sie seit nun über zehn Jahre eine größere Gruppe nicht Sesshafter nomadischen Ursprungs in Irland.
Ausgegrenzt leben viele der Familien illegal in Wohnwagen am Straßenrand, oft ohne Strom, fließendes Wasser oder sanitäre Anlagen. Ihre archaische Parallelwelt beherrschen traditionelle Geschlechterrollen, aber auch die Liebe zu Tieren, etwa edlen Hunden oder Pferden. Archaisch war erst recht die Blutfehde zwischen zwei Familienclans in Albanien, die Kaufmann über zwei Jahre fotografisch verfolgte.
Lediglich das Haus oder die Wohnung gelten als respektierter Schutzraum vor Rachemorden. Sie werden so zu unfreiwilligen Gefängnissen für die männlichen Familienmitglieder. „Wie wird man eigentlich deutsch?“, fragt der 1975 in Teheran geborene Maziar Moradi. In Hamburg aufgewachsen, in Berlin lebend, hat er die ganze Tristesse das Ankommens in Deutschland fotografisch stringent dokumentiert: Erstaufnahmezentren in Schulen, Turnhallen, alten Bürogebäuden, dem ehemaligen Flughafen Tempelhof. Als Fortsetzung seiner 2008 prämierten Projektion „1979“, in der er Iraner:innen in prägenden Umbruchsituationen ihres Lebens aufwendig (re-)inszenierte, widmet er seine neue Bild- und nun auch Textfolge Migrant:innenschicksalen in Deutschland. Publizistischen Ikonenstatus erreicht hat mittlerweile die Fotografie von Jenny: die junge Frau mit ghanaischen Wurzeln wurde bei einer deutschen Pflegefamilie groß – weil deren Tochter sich eine schwarze, sprechende Puppe wünschte.
Ausstellung „Förderpreise der Wüstenrot-Stiftung revisited: Herkunft, Familienleben“, Museum für Photographie Braunschweig, bis 30. 6.
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