piwik no script img

Archiv-Artikel

Keine Zeugen, nichts passiert

Weil sie sich gemobbt fühlte, brach Monika Tiemann eine Motorrad-Reise vorzeitig ab und fuhr mit ihrer kaputten Maschine alleine und auf eigene Kosten zurück. Dass der Reiseleiter versagt hat, wollen Gerichte nicht erkennen. Geld zurück bekommt sie keins und muss womöglich noch draufzahlen

Der Reiseleiter: „Als Frau Tiemann die Gruppe verließ, wurde Beifall gegeben“

von Eiken Bruhn

Ihr Problem, alles ihr Problem. Das hat Monika Tiemann jetzt auch schriftlich vom Landgericht Kiel, das eine Wiederaufnahme ihres Klageverfahrens gegen ein Flintbeker Mini-Reiseunternehmen abgelehnt hat. Niemand aus der Reisegruppe, mit der sie vor zwei Jahren per Motorrad in Süd-Norwegen unterwegs war, würde ihre Version unterstützen, heißt es in dem Beschluss.

Nach Gerichtsauffassung ist Tiemann vom Tourenleiter weder gemobbt worden, noch hat dieser eigenmächtig die Route geändert. Keine Zeugen, kein Klagegrund. „Rechtsstaatlich bedenklich“, findet es ihre Anwältin, „dass dann, wenn sich eine Gruppe zusammenschließt, der Einzelne keine Chance hat, eine andere Darstellung der Wirklichkeit vor Gericht zu erzwingen.“

Tiemanns Problem also, dass sie die neuntägige Tour schon am fünften Fahrtag abgebrochen hat, alleine mit einem kaputten Motorrad – Tacho, Blinker und ABS funktionierten nicht mehr – zurück nach Deutschland gefahren ist und vom Reiseunternehmen anschließend die Erstattung von rund 140 Euro für Fähr- und Übernachtungskosten gefordert hat. Ihr Problem, dass die Firma sich weigerte, es auf eine Reisemängelklage ankommen ließ und diese zurückgewiesen wurde (Streitwert 830 Euro), dass Tiemann eine weitere Unterlassungsklage gegen einen Reise-teilnehmer verlor, der in einem Rundschreiben ihre soziale Kompetenz in Frage gestellt hatte. Ihr Problem, dass dafür voraussichtlich dem Reiseleiter Recht gegeben wird, der Tiemann seinerseits geschäftsschädigender unwahrer Behauptungen bezichtigte (vorläufiger Streitwert 2.000 Euro).

Sie hätte ja weiter mitfahren können. Hätte ja nicht auf ihrem Recht bestehen, sich nicht über die Unterbringung in engen Räumen mit Klo und Dusche für sieben Personen aufregen müssen. Hätte sie auch nicht gemacht, wenn sie sich in der Gruppe wohler gefühlt hätte. „Ich war von Anfang an in der Abschusslinie“, glaubt die 50-jährige Programmiererin. Der Tourenleiter habe sie mehrfach angeschrien und sie am Ende gar bedroht. „Wenn Du nochmal den Mund aufmachst, dann fliegst du raus!“, soll er gebrüllt haben, als sie sich weigerte, für ein Foto zu Werbezwecken zu posieren.

Der Endfünfziger will das nie gesagt haben, erinnert sich in seiner Zeugenvernehmung vor dem Rendsburger Amtsgericht aber daran, dass „Beifall gegeben“ wurde, als sie kurz darauf tatsächlich die Gruppe verließ und auf eigene Faust zurückfuhr. „Danach haben wir noch eine harmonische Fahrt ohne Frau Tiemanns Zwischenfälle gehabt“, sagt einer der fünf anderen Teilnehmer vor Gericht – vier Männer und eine weitere Frau.

Vor Gericht wird deutlich, wie unterschiedlich die Bedürfnisse der Gruppe waren und wie wenig der Gruppenleiter es geschafft hat, diese miteinander zu vereinen. Monika Tiemann lockte das „Abenteuer“, wie der Trip im Prospekt beschrieben wird. Vor allem auf die erste Strecke entlang der Küste von Oslo nach Kristiansand hatte sie sich gefreut. Daraus wurde nicht. Die Straße sei wegen des schönen Wetters und der Urlaubszeit überfüllt, entschied der Reiseleiter und änderte die Route. Widerstand regte sich nicht. Warum auch. „Mir ist es vollkommen egal gewesen, wo wir langgefahren sind“, sagte später ein Zeuge in seiner Befragung. „Mich hat die Route im Einzelnen auch nicht interessiert“, so die zweite Frau in der Gruppe. Und noch ein anderer wollte lediglich „gemütlich durch die Gegend fahren“. Dass Monika Tiemann es nicht schaffte, sich mit ihren Wünschen durchzusetzen – ihr Problem.

Niemand bestreitet, dass Tiemann einen schweren Stand in der Gruppe hatte. Allerdings sei sie selbst daran schuld, so die einhellige Meinung. „Ich kann aber sagen, dass Frau Tiemann sich immer ein wenig als Außenseiterin aufgeführt hat“, sagt ein Bankkaufmann, zum Zeitpunkt der Befragung 54 Jahre alt. Als Beispiel nennt er, dass sie im Schlafsack vor einer Hütte geschlafen hat. „Ich konnte drinnen nicht schlafen, es war eng und stickig“, kontert die des Außenseitertums Beschuldigte.

Doch nicht nur die Gruppe kommt mit Monika Tiemann nicht zurecht. Damit, dass sie, wenn sie aufgeregt ist, viel redet, sich leicht angegriffen fühlt. Umso fataler, dass es der Gruppenleiter nicht schafft, eine neutrale Position zu wahren und zu vermitteln. Seine Schlichtungsversuche sahen so aus: „Fast jeden Tag habe ich sie zur Seite genommen.“ Das Ziel der Unterredungen: „Ihr zu erklären, dass ihr Verhalten so nicht in Ordnung sei.“ Noch vor Gericht wird deutlich, wie genervt er auf sie reagiert. „Frau Tiemann war schon von Anfang an krankhaft geltungsbedürftig“, gibt er zu Protokoll. Sie sei ihm „schon auf der Fähre aufgefallen“. Und: „Ständig hat sie von ihrer Alaskareise geredet und mich dabei nicht ausreden lassen.“

Die Sache mit Alaska. Als „Alaska für Arme“ wird die Norwegen-Tour beworben, Monika Tiemann erzählt immer noch mit leuchtenden Augen, wie sich das „richtige“ Alaska anfühlt. Wie sie im Juni 2001 insgesamt 20.000 Kilometer durch Nordamerika gefahren ist, „bis zu den Eskimos“. Alleine. „Das hat mir keiner geglaubt oder es wurde gesagt, dass sei ja bekloppt, weil’s viel zu gefährlich ist“, klagt sie. „Wir haben damit ein wenig gefrotzelt“, gibt ein Teilnehmer immerhin zu.

Das Landgericht Kiel findet das normal. „Es handelte sich bei der Gruppe um erwachsene, ‚gestandene‘ Teilnehmer von 38 bis 58 Jahren“, schreibt es, „so dass wegen der von der Klägerin gerügten Frotzeleien ein weiteres Einschreiten des Reiseleiters nicht geboten war.“