Alle wollen sie Teil der Revolution sein

US-Universitäten sind im Ausnahmezustand. Es kommt zu harten Auseinandersetzungen zwischen proisraelischen und propalästinensischen Ak­ti­vis­t:in­nen

Festnahme nach propalästinensischem Protest an der University of California Los Angeles (UCLA) Foto: Mike Blake/reuters

Aus Los Angeles Marina Klimchuk

Der Krieg in Gaza und die Kritik am israelischen Einsatz der Armee ist an US-amerikanischen Universitäten angekommen. An der UCLA im kalifornischen Los Angeles harren Hunderte Protestierende aus. Alle wollen sie Teil der Revolution sein. Maskierte Gestalten in knall-orangenen Westen, manche haben Schutzhelme auf, führen strenge Kontrollen durch. Hier an der Universität wird darüber entschieden, wer die ­schmale Öffnung, die ins Zeltlager führt, passieren darf und wer nicht. „Aus unseren Geheimdienstquellen wissen wir, dass am Abend die Räumung bevorsteht“, sagt einer der Organisatoren der Gruppe Students for Justice in Palestine. Seine Aufgabe ist, Neulinge zu schulen, wie sie im Falle einer Eskalation reagieren sollen.

Die Universität ist im Ausnahmezustand. Hunderte Po­li­zis­t:in­nen haben das Gelände abgeriegelt. Der Unterricht fällt aus. Hubschrauber kreisen über den Köpfen der Anwesenden. Auf einer Wiese hat sich eine Menschenmasse versammelt. Auf das propalästinensische Protestcamp rückte am Mittwochabend ein Großaufgebot an Polizei vor. Am Donnerstag wurden Barrikaden niedergerissen, Dutzende De­mons­tran­t:in­nen festgenommen und abgeführt. Bereits in der Nacht zuvor war es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen gekommen. Nach Angaben der Studierendenzeitung Daily Brun stürmten etwa 100 maskierte proisraelische Ak­ti­vis­t:in­nen die um das Zeltlager errichteten Barrikaden. Sie attackierten die Protestierenden mit Tränengas, Knallkörpern, warfen Stinkbomben. 25 Studierende wurden ins Krankenhaus eingeliefert, die Los Angeles Times berichtete von Angriffen auf vier Jour­na­lis­t:in­nen der Daily Brun.

Zu Beginn der Eskalation befanden sich nur eine Handvoll Po­li­zis­t:in­nen auf dem Gelände. Während sie versuchten, einer Verletzten zu Hilfe zu kommen, wurden auch sie zur Zielscheibe. Drei Stunden brauchte die Polizei, um die Lage unter Kontrolle zu bekommen. Von der Universitätsleitung soll niemand vor Ort gewesen sein. Wenige Stunden vor der Attacke hatte die Universität das Protestlager als „gesetzwidrig“ bezeichnet und den Beteiligten mit Suspendierung und Ausschluss von der Universität gedroht. „Nach dieser Nacht ist jedes Vertrauen in die Universitätsleitung zerstört“, sagt Alden Young, ein Fakultätsmitglied der African American Studies. Nein, Antisemitismus habe er hier keinen wahrgenommen. Harmonisch sei es hier in den vergangenen zwei Wochen zugegangen.

Eine jüdische Sozialarbeiterin der Uniklinik, die mit dem Protestcamp sympathisiert, nickt. Sogar mit ihrem Baby sei sie hier gewesen, so entspannt war die Lage. Heute hat sie das Baby zu Hause gelassen. Student Aidan Doylee ergreift das Wort auf dem Campus. „Was uns angetan wurde“, sagt er und legt eine theatralische Sprechpause ein, „ist eines der verstörendsten Ereignisse in meinem Leben.“ Minutenlang spricht er dann von Männern, die achtzehnjährigen Mädchen ins Gesicht geschlagen haben sollen, von „schwerer Artillerie“, von „zionistischen Söldnern“. Am Ende seiner Tirade auf die „zionist entity“ hält er seinen blutverschmierten Arm ins Publikum. Klick, klick, machen die Kameras. Applaus.

Studentin Aischa tritt auf das Podest und gibt ihre Erfahrungen von dem Angriff in knappen Sätzen wieder. Der dritte Redner sagt, letzte Nacht habe er eine flüchtige Ahnung davon bekommen, wie sich das Leben in Gaza anfühlt.

Los Angeles ist nicht der einzige Schauplatz der Proteste. In derselben Nacht, in der proisraelische An­grei­fe­r:in­nen das Protestcamp der UCLA stürmten, löste die New Yorker Polizeibehörde (NYPD) mit Gewalt die Besetzung des City College New York und der Columbia-Universität auf. In der Hamilton Hall hatten De­mons­tran­t:in­nen in der Nacht zu Dienstag die Eingänge mit Holztischen verbarrikadiert und die Halle in „Hind’s Hall“ umbenannt, zu Ehren von Hind Rajab, einer Sechsjährigen, die vom israelischen Militär getötet wurde, nachdem sie als einzige ihrer Familie einen Panzerbeschuss auf ein Fahrzeug überlebt hatte. Sie fordern von der Universität „Divestment“: Columbia solle ihre Verbindungen mit Firmen kappen, die vom Krieg in Gaza profitieren. Insgesamt wurden in dieser Nacht 280 Protestierende verhaftet. Auch in Texas, Wisconsin, Louisiana und Arizona löste die Polizei Proteste auf: Insgesamt wurden seit dem 18. April laut ap 1.600 De­mons­tran­t:in­nen an 30 Universitäten festgenommen.