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Sie sindes sich wert

Unterwegs beiDemos in Schweden

Aus Kramfors Anne Diekhoff

Für Ida sind Feminismus und Umweltschutz die wichtigsten Themen. Sie ist elf Jahre alt, eine der Jüngsten beim 1.-Mai-Umzug der Sozialdemokraten im nordschwedischen Kramfors. Es ist Idas Premiere. Anne-Marie Sollén hingegen ist eine 1.-Mai-Veteranin. „Ich bin als Sozialdemokratin geboren“, sagt sie, das war 1936. Viele Jahrzehnte sei sie kommunalpolitisch und gewerkschaftlich aktiv gewesen. „Ich liebe die Sozialdemokraten“, sagt sie auch noch. Warum? Ihre Zusammenfassung: „Frieden und Freiheit, Sorge für die Kleinen, Arbeit für alle.“

Sie versammeln sich seit 12.30 Uhr auf dem Parkplatz beim Blumenhändler. Wenn über 100 Menschen kommen, sei man zufrieden, sagt Maria Persson von der Gewerkschaft der Kommunalen Angestellten. Um 13 Uhr wird sich der Zug mit rund 80 Leuten in Bewegung setzen, immerhin.

Maria Persson ist 65, arbeitet in einem Kindergarten. Für sie das wichtigste Anliegen heute: Mehr Personal in der Altenpflege. „Als Corona war, wurde für sie geklatscht, und jetzt sind sie nichts mehr wert“, beklagt sie. Das Personal sei überlastet. Und ihr täten auch die alten Leute leid, sie könnten nicht mal mehr ein Eis essen gehen, weil niemand mehr Zeit habe, sie zu begleiten. Die Kommune sei ökonomisch schwach und müsse sparen, ja – aber doch nicht so.

Auf dem Sportplatz nebenan ist ein Spiel zu Ende, als der Zug startet – ein paar fußballmüde Jugendliche als erstes Publikum. Sie leben hier ziemlich weit weg von der großen Politik. Die guten Zeiten der Holzindustrie sind seit Jahrzehnten vorbei, die der Sozialdemokratie inzwischen auch. Als der Zug der Unverdrossenen an einem Mehrfamilienhaus vorbeikommt, winken Leute von Balkonen, die mitmarschierende Kapelle spielt die Internationale und Anna-Belle Strömberg winkt zurück. Sie ist der Stargast aus Stockholm, Reichstagsabgeordnete für die Region.

„Wir gehen heutefür unsere Werte auf die Straße“

Pelle Anderzon, Sozialdemokrat

Pelle Anderzon läuft neben ihr – als Vorsitzender des Ortsverbands der Sozialdemokraten ist er Gastgeber. Warum findet er diesen Marsch auch 2024 noch wichtig? „Das ist unsere Geschichte, und ohne unsere Geschichte können wir nicht die Zukunft gestalten“, sagt er. Sie stünden dafür, dass alle Menschen gleich viel wert seien. Anderzon erinnert daran, dass letzte Woche eine Pride-Flagge angezündet wurde, die vor einer Wohnung in Kramfors hing. „Wir gehen heute für unsere Werte auf die Straße.“

Auf dem Marktplatz wird der Zug von gut 100 Menschen erwartet, am Stand der Partei gibt’s Kaffee. Ein Mann mit Gitarre betritt die Bühne. Sein Lied: „Wir haben keine Fabriken, wir haben kein Kapital, aber wir haben unsere Solidarität.“ Die Rede der Reichstagsabgeordneten verspricht Solidarität mit der Ukraine, aber auch mit denen, die in Schweden unter den wirtschaftlichen Kriegsfolgen leiden. Die Sozialdemokratische Partei wolle mehr Geld für den Gesundheitsbereich, höheres Kindergeld, den Banken- und Strommarkt kontrollieren. Und jetzt käme die EU-Wahl – die EU sei Schwedens sicherer Hafen, die Wahl wichtig im Kampf gegen rechts. Freundlicher Applaus von den Menschen auf den Bierbänken.

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