: Eine Frau auf verlorenem Posten
LEBENSLAUF Zwischen allen Fronten: Elsa Osorio widmet sich in „Die Capitana“ der argentinischen Spanienkämpferin Mika Echebéhère
Im Nachwort führt sie aus, wie sie über die Jahre hinweg Material gesammelt hat und immer wieder aufgeben wollte. Dann aber habe die Lebensgeschichte der Mika Echebéhère doch wieder ihr Leben gekreuzt, und irgendwann war es dann so weit. Die Schriftstellerin Elsa Osorio musste diesen Roman schreiben, bei dem man nicht so genau weiß, ob man ihm nachträglich mehr erzählerische Freiheit wünschen oder seine Bodenhaftung im Dokumentarischen bewundern soll.
„Die Capitana“ beleuchtet das außergewöhnliche Leben einer Frau, die eine jüngere Schwester Rosa Luxemburgs hätte sein können: Mika Echebéhère, die Tochter europäischer Juden, die sich schon in jungen Jahren der Kommunistischen Internationalen nahe fühlte, dann aber Stalin kritisierte, aus der Partei ausgeschlossen wurde und mit ihrem Lebensgefährten Hipólito von Buenos Aires nach Europa übersiedelte, um in Berlin gegen den europäischen Faschismus zu agitieren. Kaum hatten die beiden dort Fuß gefasst, wurde der tuberkulosekranke Intellektuelle im Zuge des Reichstagsbrandes verhaftet und nach kurzer Zeit wieder freigelassen.
Das war das Ende des Berlin-Intermezzos. Für die beiden geht es über Paris weiter nach Spanien, wo Mika nach dem Tod des Lebensgefährten als einzige Frau eine Kolonne der Internationalen Brigaden befehligt. Sie kämpft an zwei Fronten: gegen die Franco-Diktatur und gegen Spitzel aus Moskau, die die Spanienkämpfer auf Linie bringen wollten. Vor allem in dieser Zeit muss Mika Echebéhère eine charismatische Erscheinung gewesen sein. Man versteht also, dass Elsa Osorio die außergewöhnliche Lebensgeschichte ihrer Landsmännin zu einem Roman verarbeiten wollte.
Wie sie das macht, steht allerdings auf einem anderen Blatt und verwundert auch deshalb, weil Elsa Osorio vor mehr als zehn Jahren mit ihrem Bestseller „Mein Name ist Luz“ einen atmosphärisch so ganz anderen Roman vorgelegt hat. Umrundete sie damals wie eine Krimiautorin das Schicksal eines während der argentinischen Militärdiktatur verschwundenen Kindes, nähert sie sich jetzt Mika Echebéhère, als wolle sie den Leser an der Zusammensetzung eines Lebenspuzzles teilhaben lassen. Um das zu gewährleisten, beschäftigt Elsa Osorio verschiedene Erzähler, die den Lebensweg der außergewöhnlichen Frau in Zeitsprüngen rekonstruieren. Da ist zum Beispiel eine auktoriale Stimme, die den Überblick zu haben scheint. Plötzlich aber mischt sich eine andere Stimme ein, und man realisiert: Hoppla, das ist ja die Protagonistin selbst, die den Leser ganz ganz nah an die Erzählsituation ranzieht.
Die unmerklichen perspektivischen Wechsel haben den Effekt, dass man stockt und sich immer wieder vergewissert, wer denn nun spricht. Und als sei das nicht genug, ist da auch noch eine neutrale Interviewstimme, die die Protagonistin immer wieder befragt, warum sie das denn alles macht. Das kann reizvoll sein, etwa wenn deutlich wird, dass es um eine Frau geht, die in den 1930er Jahren genauso auf verlorenem Posten gegen die Menschheitsverbrechen der europäischen Faschisten kämpft, wie ihre Nichten und Neffen das machten, als die argentinischen Militärs Ende der 1970er Jahre das eigene Volk massakrierten. Man fragt sich letztlich aber doch, warum Elsa Osorio mit den Ergebnissen ihrer Recherche nicht freier umgegangen ist.
Das Lebensende Mika Echebéhères etwa erscheint als Einübung in Einsamkeit. Ein Detail wie das Zimmer in einem Pariser Altenheim, das die außergewöhnliche Frau bis zu ihrem Tod im Jahr 1992 bewohnte, erwähnt Elsa Osorio aber nur nebenbei und weist darauf hin, genau dieses Zimmer sei die letzte Pariser Wohnstätte Samuel Becketts gewesen. So unverbunden stört es einmal mehr den Erzählfluss. Auch in diesem Fall wäre Elsa Osorio besser beraten gewesen, das Detail entweder wegzulassen oder es erzählend auszubauen. Immerhin war Samuel Beckett genau in jener Zeit Mitglied der südfranzösischen Résistance, da Mika Echebéhère in Spanien gegen Franco kämpfte.
JÜRGEN BERGER
■ Elsa Osorio: „Die Capitana“. Aus dem Spanischen von Stefanie Gerhold. Insel Verlag, Berlin 2011, 333 Seiten, 19,95 Euro