Ausgehen und rumstehen von Fabian Schroer: Italienischer Abend à la Kreuzberg
An diesem Freitagnachmittag im April regnet es in Berlin. Mit J und O bin ich verabredet um mir „La Chimera“ im FSK am Oranienplatz anzusehen. Seit einiger Zeit habe ich ein Faible für neue italienische Filme, mir gefallen der unaufdringliche Humor und die originellen Figuren. Alice Rohrwachers letzten Spielfilm „Glücklich wie Lazzaro“ mochte ich besonders wegen seines liebenswerten Protagonisten und dessen Herz für arbeitende Menschen.
Wir stehen bei Amici Amici am Mehringdamm, essen Calzone und trinken große Peronis al banco. O erzählt, wie er seine Freundin während ihres Erasmus-Semesters in Neapel besucht hat, und preist das dortige Street Food wegen seines hohen Fettgehalts. „Die haben da so was, das heißt Pizza Fritta. Das ist wie eine Calzone, aber frittiert“, erzählt er. „Innen drin sind zwei verschiedene Sorten Käse und ein paar Stücke Tomate. Wenn du’s isst, ist es extrem geil für 10 Minuten und danach geht es dir richtig schlecht“, sagt O begeistert.
Satt machen wir uns auf den Weg durch das sehr unitalienische Wetter Richtung Oranienplatz. Im FSK stellen wir fest, dass ich Karten für die nächste Woche gekauft habe, und werden trotzdem reingelassen.
„La Chimera“ ist stimmungsvoll bis zum Schluss. Kamerafrau Hélène Louvart zeigt uns in wechselnden Formaten warme analoge Bilder eines magischen, karnevalesken Italiens der kleinen Leute in den frühen 80er Jahren. Ich denke dabei an meine Mitbewohnerin, die gerade an einem Filmset im verregneten Erkelenz sitzt und davon träumt, sich ein kleines heruntergekommenes Häuschen in der Toskana zu kaufen.
Heruntergekommen sind auch die Figuren in Rohrwachers Film, entweder auf materieller oder moralischer Ebene. Es geht um eine Bande armer Grabräuber, die wie Zirkusartisten um den geheimnisvollen Engländer Arthur herumspringen und gemeinsam, ständig auf der Hut vor dem Gesetzt, antike Gräber ausbeuten und die Beigaben an zwielichtige Kunsthändler verkaufen. Arthur kommt dabei eine besondere Rolle zu, da er die Fähigkeit besitzt, die Schätze mittels Wünschelrute aufzuspüren, was immer wieder von einem Barden besungen wird. Die Lieder, die von seinen großen Heldentaten erzählen, mahnen zugleich vor den Schandtaten, die auf der Jagd nach dem Geld niemals fern sind. Als die Bande in der zweiten Hälfte des Films ein etruskisches Heiligtum mit einer kostbaren Göttinnenfigur aushebt, beginnt ein Aushandlungsprozess zwischen Gier und Genügsamkeit, zwischen dem Sakralen und Profanen.
Nach dem Film treten wir heraus ins nasse Kreuzberg. Ich blinzle und frage mich, wie viele religiöse Verweise ich nun wegen meiner fehlenden katholischen Erziehung nicht verstanden habe. Oder ob man vielleicht doch einfach in Italien geboren sein müsste, um ganz hinter den modernen Mythos zu steigen. Wir rauchen. „Nach Italien könnte man auch mal wieder fahren“, sagt J, während sie ihr Fahrrad aufschließt. Wir sprechen über das Politische in Rohrwachers Film, über das von Kommunardinnen besetzte Bahnhofsgebäude, das entweder keinem oder allen gehört, und dann über die schmutzige Mittelmeerküste, die Armut, die Industrie, den Eingang zur Unterwelt zwischen Bauruinen aus Beton.
Die Kreuzberger Straßen sind leer, Leute huschen von Innenraum zu Innenraum, um dem Regen zu entfliehen. Im Licht einer Straßenlaterne schimmert der weiße Lack eines Fiat 500 hybrid. Lachend und wenig auf den Verkehr achtend fahren wir auf unseren Rädern zurück Richtung Gräfekiez. Im Logo, der Eckkneipe an der Urbanstraße, setzen wir uns durchnässt unter die Plastikpalme in der Mitte des Raums. Hier findet der italienische Abend nach weiteren Bieren, diesmal Schultheis, mit einem Glas Fernet sein Ende. Er schmeckt wie eine Mischung aus Orangensaft und Kräuterzahnpasta.
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