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Der immergleiche Ausnahmezustand

Mit „The Crash“ hat das Staatstheater Oldenburg eine Oper uraufgeführt, die sich dem Platzen der US-Immobilienblase widmet. Und seiner Ursache, der heillosen Gier nach Geld und mehr Geld

Von Jens Fischer

Geld, noch mehr Geld und dann richtig fetter Reichtum. Dieser Dreischritt treibt Menschen zum Zocken in Spielcasinos, Wettbüros, zu Hedgefonds-Manager:innen oder gleich an die Börse: Es geht um Macht – und deswegen ist es eine gute Wahl, diese Form des Finanzkapitalismus zum Thema einer Oper zu machen. In Oldenburg hat nun das Werk „The Crash“ am Staatstheater Uraufführung gefeiert, komponiert von Russell Hepplewhite. Es widmet sich einer Krise, die von dieser Gier nach immer mehr Geld 2008 verursacht wurde.

Die brachte damals die Immobilienblase in den USA und damit auch den amerikanischen Traum vom eigenen Haus auf eigenem Grund und Boden zum Platzen. Die Folge: eine weltweite Rezession, deren Niedrigzinsen bis heute jede brave Spar­er:in nerven. Beispielhaft für die Entwicklung wurden bald Aufstieg und Fall der Lehman Brothers künstlerisch verarbeitet. Insider berichteten bücherweise und Analysten obduzierten den Finanzkapitalismus. 2011 kamen erste Filme über die abgewickelte Investment-Bank heraus, Stefan Massimos Familiensaga „Lehman Brothers“ feierte 2013 als Schauspiel Premiere. Aber auch die Oper will halt nicht immer nur mit radikalen Regieeingriffen oder Überschreibungen den alten Stückekanon mit seinen kruden Inhalten, Rassismen, überholten Männer- und Frauenbildern noch irgendwie spielbar halten. Fürs Libretto von „The Crash“ hat der US-Amerikaner Seth Bockleys weniger auf eine Abrechnung mit der asozialen Geldzockerei gesetzt, die Millionen Menschen arbeits- und wohnungslos gemacht.

Stattdessen entfaltet sein Text die Behauptung, jeder, der die Chance bekommen hätte, wäre bei den Betrügereien dabei gewesen. Und natürlich auch jede. Im Stück sind es die polnischen Reinigungskräfte Agata, lebenslustig offen fürs schnelle Geld und Magdalena, die von den Ratenzahlungen fürs Eigenheim ihrer Familie zu Doppelschichten gezwungen ist. Die beiden sollen in den fluchtartig verlassenen Büros der hier Centurion Securities genannten Pleite-Bank für Sauberkeit und Ordnung sorgen.

Gestört werden sie von einem für die Steuerbehörde und einen Fonds-Manager noch schnell Dokumente sichernden Doppelagenten, einem suizidalen Abteilungsleiter sowie einem Pärchen im Scheidungskrieg. „It’s a tangled fucked up web of fuckery“, ist der lebensnahe Jargon, der die Kunst des Operngesangs erdet. Während Agata und Magdalena aus neugierig beäugten Papieren und Mails sowie den Aussagen ehemaliger Mitarbeiter Fakten sammeln. Ihr gemeinsames Ziel: mit dem belastenden Material zehn Millionen Dollar von vertuschungswilligen Bankern zu erpressen. „Please take these mops and put them up your asses“, lautet das gesungene Ausrufezeichen.

Protzig aufgemotzt ziehen die neureichen Frauen nach Florida und investieren in Schrottimmobilien: „gold-colored retirement cages“ für „middle class fools“. Bis ein Hurricane naht und die Wohnungen einfach wegpustet. Agata versucht mit einem Koffer voller Geld zu fliehen, Magdalena zieht ihr Geld aus dem Immobiliengeschäft und pumpt es in eine Wette auf dessen Niedergang. So funktioniert Finanzkapitalismus. Und zerstört wieder einmal „ordinary people’s hopes and dreams“.

Regisseur Nils Braun erzählt die Geschichte präzise mit einem fidel agierenden und formidabel singenden Ensemble

Aus jeder Situation, auch aus dem Elend anderer den eigenen Vorteil ziehen, dieser Zynismus ist eben das Thema des Abends. Er möchte wohl an Restbestände moralischer Selbstreflexion appellieren und die Verweigerung von Börsengeschäften & Co. anregen. Aber nicht mit anklägerischem Ernst, sondern grelllustig.

Als Comic-Comedy erzählt Regisseur Nils Braun die Geschichte höchst präzise mit einem fidel agierenden und formidabel singenden Ensemble. Clou der Inszenierung: Ein das Geschehen apokalyptisch deutender Banker tritt in der Maske von Karl Marx auf, der ja revolutionär motiviert die selbstzerstörerischen Tendenzen des Kapitalismus als Apokalypse für die Gewinnmaximierungspraxis und Idee vom ewigen Wachstum beschrieben hat. Und in Oldenburg nun mit dem Hammer den Rhythmus der herbeistürmenden Endzeit vorgibt. Wirklich komisch.

Die traditionsbewusst moderne Musik des britischen Komponisten Russell Hepplewhite prunkt weniger mit einem ausgeprägt eigenen Stil, sondern beeindruckt durch den souveränen Umgang mit Kompositionstechniken der letzten Dekaden, mit Jazzeinsprengseln und einigen klassischen Operneffekten.

Neun Instrumentalisten illustrieren die Atmosphäre des Widerstreits auf der Bühne, treiben sie an und lassen klangmalerisch den Hurricane toben. Die Musik verharrt auf dem immer gleich hochdramatischen Intensitätslevel, behauptet so den permanenten Ausnahmezustand. Die Tonalität der Gier. Das ist auch anstrengend. Notwendigerweise.

Oper „The Crash“, Staatstheater Oldenburg, wieder am 6. 4. und 30. 4., jeweils 20 Uhr

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